Bei den Grünen-Abgeordneten ist die Aufbruchstimmung greifbar: Habeck will (noch) nicht über Ämter sprechen
Alles „sehr, sehr aufregend“, sagt Roth, als wäre sie Novizin, obwohl sie schon sechs Legislaturperioden im Bundestag hinter sich hat. Gleich versammeln sich die alten und die neuen Bundestagsabgeordneten der Grünen im Plenarsaal des Reichstagsgebäudes. Vorn in der Nähe des Rednerpultes schmücken Sonnenblumensträuße den Saal. Dass Roth bei den Grünen gewissermaßen als „Mutter der Kompanie“ betrachtet wird, freut die 66 Jahre alte Politikerin. „Naja, ich könnte auch schon als Großmutter gesehen werden.“
Roth freut sich auf die vielen neuen Mitstreiter in der Fraktion. Was haben beispielsweise die Abgeordnete Katrin Uhlig aus Bonn und der Volksvertreter Robert Habeck aus Flensburg gemeinsam? Beide haben ihr Direktmandat für die Grünen gewonnen und betreten am Dienstag erstmals als Mandatsträger den Plenarsaal des Bundestages. Uhlig freut sich. Spannende Zeiten stehen bevor – auch für Habeck. Doch der 52 Jahre alte Politiker, der neben Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock Spitzenkandidat der Grünen bei der Bundestagswahl war, muss vorher noch etwas klarstellen.
Seit dem Vorabend kursieren Meldungen, wonach schon abgesprochen sei, dass der Grünen-Chef im Falle erfolgreicher Koalitionsverhandlungen Vizekanzler einer nächsten Bundesregierung wird. Habeck selbst hatte am Vortag bei einem gemeinsamen Auftritt mit Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock noch gesagt: „Gehen Sie davon aus, dass wir komplett sortiert sind.“ Man wolle das jetzt aber „nicht zu Markte tragen“. Habeck hat damit nicht dementiert.
Aber hinter den Kulissen muss es dann doch ordentlich gerumst haben. Die Sache mit dem Vizekanzler hat Wellen geschlagen. Baerbock wehrt sich gegen den Eindruck, dass Habeck ihr nach einem Wahlergebnis mit Luft nach oben gewissermaßen das Heft des Handelns aus der Hand genommen hat. Gerade noch haben die beiden Fraktionschefs Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter davon gesprochen, dass sie „mit dieser großen Fraktion dieses Land in eine bessere Zukunft führen wollen“. Dann stellt sich – überraschend – Habeck an das Mikrofon, das normalerweise für die Fraktionschefs aufgebaut ist.
Aber der Parteichef ist jetzt eben auch Abgeordneter. Deswegen wolle er „etwas klarstellen“: Baerbock und er würden „in großer Geschlossenheit die Koalitionsgespräche gemeinsam führen und gemeinsam vorbereiten“. Vor allem: „Die Frage, wer Vizekanzler wird, ist völlig irrelevant. Wir haben noch nicht einmal einen Kanzler.“ Die Partei stehe „zu 120 Prozent“ hinter dem Vorstand und hinter Baerbock.
Sollten die Grünen tatsächlich in eine nächste Bundesregierung eintreten, bekommt die Bundestagsfraktion ein größeres Gewicht. Sie muss Gesetzesvorhaben der Regierung im Plenum mit absichern. Wenn etwa Habeck, würde er Bundesminister, seine Politik in ein Gesetzesvorhaben gießen will, muss die Fraktion das mittragen.
Hofreiter sagt denn auch dazu: „Die Bundestagsfraktion ist zentral.“ Und wenn es so komme, „wie wir es vorhaben, wird es eine Regierungsfraktion. Und die Regierungsfraktion muss die Regierung tragen.“ Für die nächsten Grünen-Fraktionschefs bedeutet das: Ihr Einfluss wird wachsen. Indirekt bis mit an den Kabinettstisch.Holger Möhle