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Vor 85 Jahren: „Gross Aktion“ der Gestapo gegen die Zeugen Jehovas im Oberwesterwald

Von Dr. Markus Müller
Louis Pfeifer und Selma Klimaschewski sind zwei von einigen Westerwäldern, die von der nationalsozialistischen Regierung in Konzentrationslagern inhaftiert worden waren.
Louis Pfeifer und Selma Klimaschewski sind zwei von einigen Westerwäldern, die von der nationalsozialistischen Regierung in Konzentrationslagern inhaftiert worden waren. Foto: Individuelle Unterlagen Buchenwald, Archiv

Am 9. Dezember 1936 machte sich ein geheimnisvoller Mann auf den Weg von seinem Wohnort Zinhain im Oberwesterwaldkreis in die hessischen Orte Haiger, Steinperf, Fellingshausen, Burgsolms und Niederweisel. In einem Handkoffer trug er rund 60 sonderbare Zeitschriftenabschriften und weitere Druckerzeugnisse bei sich. Erhalten hatte er solches Schriftgut zuletzt in monatlichen Abständen durch einen Motorradfahrer aus dem Raum Siegburg. Im Futter zwischen Hosenbund und Stoff hielt der Mann ein Verzeichnis seiner Adressaten sicher verborgen. Vielleicht würde der 41-Jährige in Steinperf bei Otto Becker eine Zwischenübernachtung einplanen, wie er es gelegentlich im letzten halben Jahr getan hatte. Auf der Straße bei Haiger wurde der gebürtige Marienberger Louis Pfeifer schon gespannt erwartet, allerdings nicht von einem Kontaktmann, sondern von einem Polizisten, der ihn sofort verhaftete und das Schriftmaterial sicherstellte.

Lesezeit: 6 Minuten
Schlag gegen die Gruppe Zinhain der Bibelforscher 1936/37 Vermutlich war Louis Pfeifer der Geheimen Staatspolizei Frankfurt/Main am 14. November 1936 aufgefallen, als sie Otto Becker in Steinperf festnahm, den Pfeifer am selben Tag aufgesucht hatte. Pfeifers Verhaftung als Schlüsselfigur löste eine koordinierte „Gross Aktion“ im Gebiet um Marienberg aus, die ein ...
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Eindringliche Einzelschicksale

Die Schlüsselfigur der Verhaftungswelle, der Kurier Louis Schneider, durchlief die berüchtigten Emslandlager mit mörderischer Zwangsarbeit im Moor, die Gefängnisse Hamm und Frankfurt/Main, die KL Buchenwald, Lublin (Majdanek), Auschwitz und Mauthausen, litt im Steinbruch oder schuftete in Schlosserei und Rüstungsbetrieb.

Bei seiner Ankunft in Mauthausen, das nach der Einteilung des Reichssicherheitshauptamtes von 1940 als Endstation für „kaum noch erziehbare“ Gefangene galt, soll Pfeifer völlig erschöpft zusammengebrochen sein und verstarb am 20. Februar 1945. Auch Karl Steup, Heinrich Klimaschewski und Heinrich Schütz blieben nicht in Buchenwald, sondern wurden ebenso in die KL Wewelsburg bzw. Sachsenhausen und Ravensbrück verschleppt.

Selma Klimaschewskis Leidensgeschichte, beginnend in den KL Lichtenburg und Moringen, ist gut zu rekonstruieren, zumal ein Erinnerungsbericht von ihr im United States Holocaust Memorial Museum in Washington D.C. verwahrt wird. Als die SS-Oberaufseherin Langefeld im KL Ravensbrück den Auftrag erhielt, ein Frauen-KZ in Auschwitz einzurichten, erwirkte sie beim Reichsführer SS Heinrich Himmler die Mitnahme von Klimaschewski.

In Auschwitz handelte sie sich einen Gehörschaden und einen schweren Herzfehler ein. Die „Todesmärsche“ 1945 führten sie vor der Befreiung in die KL Groß-Rosen, Mauthausen und Bergen-Belsen.

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