Frankfurt/Rhein-Lahn

Sterbehilfe, Flüchtlinge oder Missbrauch: So positioniert sich die EKHN in heiklen Fragen

Suizidbeihilfe ist ein schwieriges Thema, zu dem sich Kirchenpräsident Volker Jung bei der bis heute tagenden EKHN-Synode geäußert hat.
Suizidbeihilfe ist ein schwieriges Thema, zu dem sich Kirchenpräsident Volker Jung bei der bis heute tagenden EKHN-Synode geäußert hat. Foto: dpa

Sterbehilfe, die Flüchtlingspolitik, der Stand der Ökumene, Corona und die Missbrauchsthematik hat Kirchenpräsident Volker Jung vor der digital tagenden Synode der Evangelischen Kirche in Hessen (EKHN) und Nassau zum Gegenstand seines Lageberichts gemacht.

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Sterbehilfe

Die bevorstehende gesetzliche Neuordnung des assistierten Suizids muss sich „daran orientieren, dass in erster Linie Menschen auch in schwierigen Situationen zum Leben ermutigt werden“, sagte Jung. Es gehe darum, „weder den Suizid moralisch zu verurteilen, noch Menschen paternalistisch zu bevormunden“.

Es bedeute auch nicht, aus dem Blick zu verlieren, „dass es tragische Einzelfälle geben kann, in denen Menschen durch einen assistierten Suizid beim Sterben geholfen werden kann“. Es sei auf jeden Fall erforderlich, zwischen dem Suizidwunsch in einem Sterbeprozess und in anderen Lebenssituationen zu unterscheiden, sagte Jung.

Außerdem sei es nötig, alle Möglichkeiten der palliativen Begleitung zu stärken. Dies habe auch zur Konsequenz, dass der „assistierte Suizid kein Regelangebot in diakonischen Einrichtungen sein soll“. Jung: „Wer hierher kommt, sollte wissen: Hier wird alles für mich getan, um mich in allen Situationen gut zu begleiten. Und hier wird mir niemand den Suizid ungefragt als eine Option nahebringen.“

Flüchtlinge

Jung ging in seinem Bericht vor der Synode auch auf die derzeit angesichts der Corona-Pandemie wenig beachtete Situation von Geflüchteten ein. So werde die „Lage von Schutzsuchenden immer besorgniserregender, sowohl an den europäischen Außengrenzen als auch hier in Deutschland“. Die gegenwärtige Flüchtlingspolitik setze immer stärker auf „Abschottung und Abschreckung“.

Tausende Geflüchtete säßen an der Grenze zu Kroatien nur notdürftig versorgt fest. Noch immer werde ihnen in Kroatien das Recht auf ein faires Asylverfahren in der EU „systematisch verweigert“. Zudem säßen weiter Tausende Geflüchtete in den Lagern auf den griechischen Inseln fest. Dies sei „kein schicksalhaftes tragisches Ereignis, sondern Ergebnis einer hochproblematischen Flüchtlingspolitik“.

Gleichzeitig sei auch eine „zunehmende Verschärfung der Flüchtlingspolitik in Deutschland zu beobachten. „Trotz der Corona-Pandemie wird weiter abgeschoben, inzwischen auch gut integrierte Menschen – unter anderem nach Somalia, Afghanistan und Pakistan.“ Gleichzeitig gebe es immer noch keine Landesaufnahmeprogramme in Hessen und Rheinland-Pfalz. Jung: „Statt gelungene Integration zu fördern, wird so vermehrt Integration behindert.“

Corona

Angesichts der fortdauernden Corona-Pandemie befürchtet Kirchenpräsident Jung ein Auseinanderdriften der Gesellschaft. Jung: „Was wir in der hoch angespannten Situation auch erleben, sind extreme Polarisierungen.“

Auf der einen Seite stehe beispielsweise der Wunsch, alles zentral zu regulieren und für maximale Beschränkung zu sorgen. Und auf der anderen Seite werde Freiheit ohne jede Einschränkung eingefordert. Diese Positionierungen fänden sich auch in manchen Forderungen wieder, die an die Kirche herangetragen würden. Sie changierten zwischen dem Verbot von Präsenzgottesdiensten bis zum Wunsch nach Feiern mit Gesang und ohne Maske.

Nach Meinung Jungs „liegt unsere besondere kirchliche Aufgabe darin, gerade in dieser schwierigen Situation ideologische Verabsolutierungen zu vermeiden und zu bestreiten“.

Ökumene

Volker Jung sprach sich im Vorfeld des Ökumenischen Kirchentags (13. bis 16. Mai) für eine gegenseitige Akzeptanz von Abendmahlsfeiern aus. Entscheidend sei die Frage, ob geglaubt wird, dass Christus in der Mahlfeier der jeweils anderen Konfession gegenwärtig ist. Dann sei auch aus Gewissensgründen eine Teilnahme an der Feier der anderen Konfession möglich.

Nach Worten Jungs ist damit zwar noch keine gemeinsame Abendmahlsfeier ermöglicht, „wohl aber die in einer jeweils persönlichen Gewissensentscheidung begründeten Teilnahme an der Feier der anderen Konfession“.

Sexualisierte Gewalt

Im zurückliegenden Jahrzehnt ist laut Jung „sehr offensichtlich geworden, dass sexualisierte Gewalt eine sehr dunkle Seite in vielen Bereichen unserer Gesellschaft ist – leider auch in den Kirchen“. Öffentlich werde vor allem der Umgang der katholischen Kirche mit Opfern und Tätern immer wieder stark kritisiert.

Jung: „In diesen Debatten wird auch immer die Frage neu aufgeworfen, wie es denn mit der Aufarbeitung in der evangelischen Kirche steht. Bei allem, was wir wissen, gibt es Unterschiede hinsichtlich der Anzahl der Betroffenen und auch hinsichtlich der systemischen Probleme.

In der EKHN haben wir deutlich gesagt, dass wir jeden einzelnen Fall sexualisierter Gewalt in unserer Kirche zutiefst bedauern und alles tun wollen, um aufzuklären, aufzuarbeiten und Leid anzuerkennen. Daran darf man uns messen.“ Bereits vor 2010 habe sich die EKHN intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt und mittlerweile umfassende Schutzkonzepte etabliert.

Nach aktuellem Kenntnisstand hätten sich seit Gründung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau im Jahre 1947 bis heute 70 Verdachtsfälle ergeben, bei denen die Befürchtung bestand, dass Menschen im Bereich der EKHN Betroffene sexualisierter Gewalt sind. In dieser Gesamtzahl seien auch Fälle aus Heimen in evangelischer Trägerschaft enthalten. Dabei seien seit 1947 insgesamt 20 Mal Pfarrer verdächtigt worden.

Auch wenn in der Mehrzahl der Fälle keine Ermittlungen mehr geführt werden konnten, weil die Beschuldigten verstorben waren, habe die EKHN versucht, den Betroffenen gerecht zu werden. Mehrere Verdachtsfälle hätten sich als unbegründet erwiesen. Dreimal seien in den letzten zehn Jahren kirchliche Disziplinarverfahren eingeleitet worden, in den Jahrzehnten davor hatte es bereits elf Disziplinarverfahren gegeben.

50 Anschuldigungen hätten sich gegen Erziehende sowie Ehrenamtliche oder Mitarbeitende im kirchenmusikalischen Bereich gerichtet. In Abstimmung mit den Betroffenen seien Strafanzeigen erstattet worden. Die EKHN berate jeden Fall individuell und zahle entstehende Behandlungskosten, wie etwa Psychotherapie auch ohne Nachweis des Vorfalls, „unbürokratisch und schnell“. Außerdem seien in Anerkennung des Leids individuell Leistungen erbracht worden.