Lahnstein
Nach Zugunglück in Lahnstein: Debatte über Sicherheit im Rheintal wieder aufgeflammt
dpa

Ein Güterzug springt im Mittelrheintal aus den Gleisen. Rund 100.000 Liter Diesel sickern in die Erde. Was wäre passiert, wenn der Zug Benzin geladen hätte? Anwohner sind besorgt. Eine Alternativtrasse rückt wieder in den Fokus.

Ein Anwohner scherzt: „Ich muss mir jetzt einen Staubsauger ans Bett stellen, sonst kann ich nicht mehr einschlafen.“ Das berichtet eine Polizistin mit Blick auf Lahnstein bei Koblenz, wo nach einer Zugentgleisung vor zweieinhalb Wochen immer noch sehr viele Güterzüge umgeleitet werden – plötzlich ist es hier nachts vorerst still geworden. Der Scherz hat einen ernsten Hintergrund: Die Debatte über die Unfallgefahr einer vor rund 160 Jahren gebauten Bahnstrecke mit vielen Gefahrguttransporten ist wieder aufgeflammt.

Die Polizistin berichtet: „Die Feuerwehrleute haben gesagt, sie waren froh, dass der Zug nicht Benzin geladen hat.“ Der Vorsitzende der Bürgerinitiative im Mittelrheintal gegen Umweltschäden durch die Bahn, Willi Pusch, vermutet: „Wäre es Benzin gewesen, wäre wohl alles in die Luft geflogen.“ Und bei einem Unfall nur zwei Kilometer weiter wäre das Wasserreservoir eines Mineralbrunnen-Unternehmens mit Diesel verunreinigt worden, ergänzt er.

Die Gleise im Welterbe Oberes Mittelrheintal sind Teil der meistbefahrenen Güterzugstrecke Europas zwischen Rotterdam und Genua. Ein Güterzug des privaten Berliner Bahnunternehmens Laeger & Wöstenhöfer ist am 30. August auf dem Weg von Rotterdam nach Basel im Bahnhof Niederlahnstein entgleist. Von seiner Dieselladung sind rund 100 000 Liter ins Erdreich gesickert. Die Deutsche Bahn hat etwa 20 000 Tonnen Erdreich und Gestein ausgetauscht. Nun beginnt sie mit der Reparatur der Bahnstrecke. Wie lange sich dies noch hinzieht, ist unklar. Der Personennahverkehr rollt hier wieder.

Schadenshöhe und Unfallursache bleiben vorerst unbekannt. Der Schaden dürfte in die Millionen gehen. Beschädigte Gleise, zu rasche Zugfahrt? Eine Polizeisprecherin will nicht spekulieren. Sie sagt lediglich: „Bundespolizeiliche Ermittlungsergebnisse sollen in den nächsten Tagen oder in der nächsten Woche an die Staatsanwaltschaft Koblenz abgegeben werden.“ Auch die Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung nimmt den Fall unter die Lupe.

Das Unglück weckt Erinnerungen an den Februar 2019: Damals sind an der rechtsrheinischen Bahnstrecke in Unkel drei Güterwaggons mit Spraydosen und Kosmetikartikeln in Flammen aufgegangen – wegen einer festen Bremse. Manche Räder haben Zeugen zufolge rot geglüht.

Pusch sagt: „Die Gleise führen direkt durch viele Wohngebiete.“ Bis zu 600 Meter lang seien die Güterzüge im burgengesäumten Welterbe. Natürlich sind Gleise und Signaltechnik in den vergangenen 160 Jahren immer wieder modernisiert worden. Die Kurvenradien aber bleiben eng und die Hangrutschgefahr bei Starkregen nimmt nach Aussage von Kritikern infolge des Klimawandels zu – auch wenn die Deutsche Bahn längst zahlreiche massive Fangnetze angebracht hat. Der Bahnlärm in dem schalltrichterartigen Tal ist extrem. Er verscheucht Anwohner und Touristen und lässt Preise von Häusern und Wohnungen sinken.

Die Mainzer Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner (Grüne) hat kürzlich an die seit langem geplante Machbarkeitsstudie für den Bau einer Alternativtrasse abseits des Rheins durch Westerwald und Taunus erinnert. Der Westerwälder Bundestagsabgeordnete Erwin Rüddel (CDU) erklärt unter Berufung auf das Bundesverkehrsministerium, die Studie solle voraussichtlich noch in diesem Herbst in Auftrag gegeben werden und Ende 2021 vorliegen. Pusch sagt, günstigstenfalls könnte ein 108 Kilometer langes Tunnelsystem in 15 Jahren fertig sein. Es wäre 40 Kilometer kürzer als die jetzige Trasse. Und mehr Güterzüge könnten mit höherem Tempo fahren. „Die Schweizer zeigen, dass so was geht.“

Erst Anfang September hat die Alpenrepublik den Ceneri-Basistunnel eröffnet – zusammen mit dem Gotthard- und dem Lötschberg-Tunnel gilt er als Herzstück des Bahnkorridors zwischen Nordsee und Mittelmeer. Der reguläre Betrieb beginnt im Dezember. Damit hat die Schweiz ihren Teil zur europäischen Vision eines umweltfreundlichen Eisenbahntransports auf der Schiene durch Europa erfüllt. Die deutschen Bauarbeiten hinken dagegen weit hinter dem Zeitplan her.

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