Ahr/Rhein-Lahn

Nach Einsatz im Ahrtal: Notfallseelsorge und Psychologen in der Region bieten Rettern Erste Hilfe für die Seele

Zwei Notfallseelsorger im Einsatz in den Hochwassergebieten. Die Notfallseelsorge gehört zur Rettungskette dazu.
Zwei Notfallseelsorger im Einsatz in den Hochwassergebieten. Die Notfallseelsorge gehört zur Rettungskette dazu. Foto: dpa

Die Rettungskräfte im Ahrtal sind Bildern und Erlebnissen ausgesetzt, die die Seele stark belasten. Zurückkehrende Helferinnen und Helfer werden deshalb auch von der Notfallseelsorge Rhein-Lahn/Westerwald betreut. Zusammen mit Psychotherapeuten der Fachklinik in Katzenelnbogen hat sie die Nachsorge der Einsatzkräfte aus der hiesigen Region übernommen.

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Ulrike Braun-Steinebach, Leiterin der Notfallseelsorge Rhein-Lahn/Westerwald, kennt die psychologische Belastung von Rettungskräften seit mehr als 20 Jahren, ob sie schwer verletzte oder sterbende Menschen aus einem Autowrack frei schneiden müssen oder Personen in einem brennenden Haus ums Leben kommen und nur noch als verkohlte Leichen geborgen werden.

Und trotzdem tut auch sie sich schwer, in Worte zu fassen, was sie aus dem Krisengebiet von dort arbeitenden Seelsorgerinnen und Seelsorgern an surreal wirkenden Vorfällen berichtet bekommt. Da ist etwa ein junges Mädchen, das mit ansehen muss, wie ihre ältere Schwester in den Fluten ertrinkt.

„Aber ich habe ja noch die Puppe, also ist alles gut“, habe ihr ein Kollege der Notfallseelsorge der rheinischen Landeskirche von dem Geschehnis berichtet. Aber natürlich sei überhaupt nichts gut. „Nur irgendwann macht die Psyche dicht, um das Erlebte ertragen zu können“, so Braun-Steinebach. Auch die Seelen von Rettungskräften, die mit solchen Situationen konfrontiert werden, seien derzeit überfordert.

„Damit das irgendwie verarbeitet werden kann, ist Reden wichtig“, so die erfahrene Seelsorgerin, für die aber auch die Schilderungen von der Flutkatastrophe eine neue Herausforderung darstellen. Und dafür sei eben das Reden mit professionellen Kräften wie denen der Fachklinik in Katzenelnbogen notwendig.

„Im Gegensatz zu Familienangehörigen oder guten Freunden kann der psychologische Experte einordnen, was hinter dem Reden steckt“, so Braun-Steinebach. Die teilweise grausamen Bilder aus dem Krisengebiet, aber auch die Angst ums eigene Überleben oder um das Schicksal von Kameradinnen und Kameraden seien für die Psyche und den Körper stark belastend. Nicht schlafen zu können, sei da völlig normal, aber nach der Heimkehr eine enorme Belastung für den Alltag und das Familienleben.

Etliche Feuerwehrkräfte waren und sind im Katastrophengebiet im Einsatz – auch aus dem Rhein-Lahn-Kreis. Das Erlebte ist eine enorme Belastung für Körper und Seele.
Etliche Feuerwehrkräfte waren und sind im Katastrophengebiet im Einsatz – auch aus dem Rhein-Lahn-Kreis. Das Erlebte ist eine enorme Belastung für Körper und Seele.
Foto: dpa

„Irgendwann ist die Psyche auch wieder stark genug, das Erlebte zu verarbeiten“, so Braun-Steinebach. Aber dafür brauche es professionellen Beistand, und es bedürfe der Ersten Hilfe für die Seele. Aus gutem Grund gehöre die Notfallseelsorge zur Rettungskette hinzu.

„Jeder geht anders mit belastenden Ereignissen um, ohne dass das gleich zu einer Traumatisierung führen muss“, weiß Magdalena Rodowsky, Leiterin der psychiatrischen Tagesklinik in der Fachklinik in Katzenelnbogen. Deshalb sei das Gespräch über den Einsatz nach der Rückkehr aus dem Krisengebiet so wichtig. Denn dabei müsse niemand seine Seele von innen nach außen kehren, sondern es werde unter anderem darüber informiert, welche Symptome auftreten können.

Durchschlafstörungen, eine höhere Schreckhaftigkeit, Grübeln und innere Nervosität nennt die Psychotherapeutin Beispiele, auch Magen-Darm-Beschwerden könnten auftreten. „Bis zu einem gewissen Grad ist das vollkommen normal“, so Rodowsky. Schwierig werde es, wenn sich das über Wochen hinzieht; auch Familienangehörige bekämen häufig den gereizten Zustand zu spüren. „Entscheidend für uns ist es, die inneren Ressourcen, die Resilienz zu stärken und zu erklären, was man selbst dazu tun kann.“

Ein solcher Einsatz sei mit den üblichen Hilfeleistungen bei Bränden oder Verkehrsunfällen nicht zu vergleichen, für den die Kräfte ausgebildet worden seien. Die Flutkatastrophe sei eine Ausnahmesituation, zu deren Unberechenbarkeit nicht zuletzt die eigene Gefährdung hinzukomme.

Vonseiten des Kreisfeuerwehrverbandes Rhein-Lahn in Zusammenarbeit mit der Fachklinik in Katzenelnbogen und der Notfallseelsorge gab es bereits erste Gesprächsangebote, welche schon von einigen Einsatzkräften angenommen wurden. Sicher würden noch viele weitere folgen. Alle Beteiligten hätten dies als sehr wohltuend empfunden, dass Profis ihnen zugehört haben, so ein Vertreter des Verbandes. Ihr größter Wunsch: „Niemand sollte Scheu haben, diese professionelle Hilfe auch in Anspruch zu nehmen.“ Denn: Auch die Seele von Helfenden ist nur begrenzt belastbar.

Psychotherapeutin: Recht rausnehmen, sich um sich selbst zu kümmern, fällt insbesondere Helfern sehr schwer

„An alle Einsatzkräfte der Feuerwehren im Rhein-Lahn-Kreis, die im Katastrophengebiet tätig waren oder sind. Niemand muss mit den schlimmen Bildern und Gedanken alleine fertig werden.“ Das hatte der Kreisfeuerwehrverband in einer Einladung zu einem Gesprächstreffen in Rettert mit einer Vertreterin der Fachklinik Katzenelnbogen am 21. Juli geschrieben.

Es war der erste von mehreren vorgesehenen Terminen, um Einsatzkräfte nach der Rückkehr aus dem Katastrophengebiet zu beraten und um Tipps für den Umgang nach einem belastenden Ereignis zu geben. Fünf Wehrleute waren nach Rettert gekommen. Für Sophie Neidhöfer eine gute Zahl. In kleinem Kreis öffnen sich die Menschen leichter, weiß die Psychologische Psychotherapeutin im Bereich Verhaltenstherapie an der Psychiatrischen Institutsambulanz Katzenelnbogen. Das ist gar nicht so einfach und selbstverständlich.

„Die Eindrücke, die geschildert wurden, haben es in sich“, sagt die Expertin. Umso wichtiger sei es, darüber zu sprechen. Neidhöfer verwendet den Begriff „von der Seele reden“. Es seien traumatische Ereignisse, die nie mehr verschwinden. Deshalb sei das Ziel einer Traumatherapie immer, „die Einsätze sinnvoll in die normale Lebenswelt zu integrieren“.

Neben Gesprächen seien Sport, gesunde Ernährung und Entspannungsübungen hilfreich – sowohl als präventive Maßnahme als auch für die Verarbeitung schlimmer Dinge. Körperliche Fitness diene dazu, das Stressniveau zu senken. Laut Neidhöfer gilt es darüber hinaus, eine Hoffnungsperspektive einzunehmen. „Ich konnte helfen! Ich habe getan, was ich konnte!“

Die Rettungskräfte müssten sich die eigenen Stärken bewusst machen – was man bewältigt hat und was man in Zukunft schaffen kann. Gleichzeitig heißt es, sich das Recht herauszunehmen, sich auch um sich selbst zu kümmern. „Das fällt insbesondere Helfern schwer“, weiß Neidhöfer.

Die Resonanz auf das Treffen in Rettert war positiv, sagt die Psychotherapeutin im Gespräch mit unserer Zeitung und hofft, dass auch die Akzeptanz noch ein bisschen steigt. An die Helfer richtet sie den Appell, das Angebot der Fachklinik wahrzunehmen, um das Erlebte zu bewältigen. 2019 wurde die Kooperation zwischen dem Kreisfeuerwehrverband und der Fachklinik Katzenelnbogen ins Leben gerufen.

Neben präventiven Maßnahmen wie Vorträgen werden – und wurden bereits – nach Bedarf auch kurzfristig Gespräche mit betroffenen Einsatzkräften geführt. Angesichts des Einsatzes im Hochwassergebiet schreibt der Kreisfeuerwehrverband: „Wenn hier ganze Gruppen oder einzelne Mitglieder Unterstützung benötigen, sprecht bitte unseren Kameraden Markus Hansmann an. Er wird eine schnelle und kostenlose Hilfe organisieren. Die Kontaktdaten stehen unter Vorstand auf der Internetseite kfv-rhein-lahn.de. Alternativ kann auch die jeweilige Wehrleitung angesprochen werden.“ Markus Eschenauer

Flutkatastrophe im Ahrtal
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