Rhein-Lahn-Kreis

Corona behindert Lieferketten: Autohändler und Werkstätten an Rhein und Lahn müssen Kunden vertrösten

Von Bettina Tollkamp
Nach diesem Anblick sehnen sich Autokäufer und Autohändler gleichermaßen: Über alle Marken hinweg gibt es Lieferschwierigkeiten bei Neuwagen, mangelnden Nachschub bei gebrauchten und lange Wartezeiten auf Reparaturtermine.
Nach diesem Anblick sehnen sich Autokäufer und Autohändler gleichermaßen: Über alle Marken hinweg gibt es Lieferschwierigkeiten bei Neuwagen, mangelnden Nachschub bei gebrauchten und lange Wartezeiten auf Reparaturtermine. Foto: dpa

Das Auto gibt den Geist auf und die Reparaturwerkstatt zuckt auch nur noch ratlos mit den Achseln? Ganz schlechtes Timing! Wer derzeit mal eben einen neuen oder guten gebrauchten Wagen kaufen will, muss sich darauf einstellen: Schnell geht nichts, und teurer wird's immer. Über die Situation im Rhein-Lahn-Kreis hat sich unsere Zeitung mal bei den regionalen Autohändlern umgehört.

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Schon die Gründe für den Mangel sind vielfältig und lassen sich nur zum Teil mit der Corona-Lage erklären. Die Lieferketten weltweit sind gestört. So müssen zum Beispiel die meisten Autohersteller seit vielen Monaten bereits ihre Produktion vor allem wegen fehlender Elektronikbauteile drosseln. Der chinesische Hunger nach den unverzichtbaren Halbleiterchips frisst die Märkte leer, und was dann doch in den Häfen in Fernost, in Südkorea und Taiwan auf Containerschiffen landet, sitzt oft fest wegen der höchst unsicheren politisch-wirtschaftlichen Lage.

Der Effekt beeinträchtigt die Neuwagenproduktion und die -lieferung ebenso wie die Herstellung und Verfügbarkeit von Ersatzteilen – und die Preise sowieso. „Es gibt keine Nachlässe für Neuwagen mehr, über alle Marken hinweg“, stellt Jürgen Rutkowski fest, Obermeister der Kraftfahrzeughandwerker-Innung Unterlahn. „Der Weltmarkt versprach billigere Produkte, produzierte aber auch Abhängigkeiten, die uns jetzt teuer zu stehen kommen.“

Im nördlichen Rheinland-Pfalz gibt es außerdem noch einen Sondereffekt: die Flutkatastrophe an der Ahr. Wer die Bilder der riesigen Halden von Schrottautos gesehen hat, kann sich vorstellen, wie groß dort der Bedarf nach Ersatz ist.

„Alle Kollegen haben das gleiche Problem“, betont auch Hans-Werner Norren, am Mittelrhein Obermeister der Kraftfahrzeughandwerker-Innung, gegenüber unserer Zeitung, „wir bekommen zu wenige oder gar keine Autos“.

Autohändler leiden unter den Lieferengpässen

Über ein Jahr auf das neue Auto warten? Das war vor Corona die Ausnahme, derzeit kommt der Neuwagenkäufer mit einem halben Jahr Wartezeit geradezu schnell davon. Zwölf Monate sind wahrscheinlicher, im Extremfall können es auch schon mal 18 Monate werden – unabhängig von bestimmten Automarken.

Auch bei den Gebrauchtwagen, vor allem den begehrten jungen Gebrauchten, sieht es nicht besser aus. Die Prozesse sind eng verflochten und setzen sich von oben nach unten durch, simpel gesagt: von neu über gebraucht bis kaputt.

„Wir leiden als Händler aktuell unter der Verknappung der Fahrzeuge durch den Lieferengpass bei Neufahrzeugen“, betont denn auch Daniel Singhof vom Nastätter Mercedes-Benz Autohaus Otto Singhof. Weil Neuwagen nicht geliefert werden, kommen weniger junge Gebrauchte in den Markt. 65 Prozent aller Händler bundesweit beklagten bereits Mitte vergangenen Jahres einen Mangel. Nun schlägt der voll durch: „Normalerweise befinden sich auf unserer Händlerdrehscheibe etwa doppelt so viele Fahrzeuge“, meint Singhof mit Blick auf die Internetportale, die jeder Branchenteilnehmer im Blick hat.

Im Autohaus Birkenstock in Klingelbach will Senior Werner Birkenstock die Lage nicht zu pessimistisch sehen und setzt auf die Flexibilität und Geduld der Käufer im Neu- und Gebrauchtwagensegment: „Wir können unsere Kunden schon noch bedienen, aber die Auswahl ist halt kleiner. Da muss man bei einigen Wunschkonfigurationen Kompromisse machen, und der Wagen wird dann eben nicht rot, sondern doch schwarz.“

Birkenstock setzt auf den größeren „Vorlauf“: Derzeit wartet der Peugeot-Händler dringend auf circa 30 Neuwagen, für die dann an die 20 Gebrauchte zurückkommen werden. Unter diesen kann sich ein Interessent bereits jetzt einen geeigneten Wagen aussuchen – dann heißt es ebenfalls warten. Die Preissteigerungen bei Gebrauchtwagen sieht der Senior auch, weist aber darauf hin, dass in den vergangenen Jahren die Kurve stetig bergab gegangen sei, insoweit reguliere der Markt sich jetzt neu.

Für die Neuwagenhändler muss das im Übrigen nicht unbedingt von Nachteil sein: Legten sie früher oft bei der Inzahlungnahme drauf, bleibt für sie nach dem Weiterverkauf des Gebrauchten nun häufig sogar ein Plus. Beim Ford-Händler Schöntges in Braubach spürte Daniel Tomic die Vorbeben in der Autoindustrie bereits vor mehr als einem Jahr, als Corona-Kurzarbeit und erste Lieferkettenprobleme zu eingeschränkter Produktion führten.

Das verstärkte sich und seit dem Frühjahr 2021 wurde es heftig: „Unser Neuwagenbestand hat sich inzwischen fast komplett aufgelöst“, sagt Tomic. Nur noch zehn Prozent der Autos stehen zu Verfügung im Vergleich zur Situation vor anderthalb Jahren. „Wir haben uns dann auch früh auf den Zukauf von Jungwagen konzentriert, damit wir unseren Kunden überhaupt etwas anbieten können.“

Angebote sinken, Preise steigen

Im Gebrauchtwagenbereich konnte man bei Schöntges das Schrumpfen des Angebots bis heute wenigstens bei circa 30 Prozent halten. Doch den Preisanstieg in den Händlerbörsen merkt man auch hier: „Aktuell zahlen wir 15 bis 20 Prozent mehr für die Fahrzeuge im Zukauf.“ Auch wer sich als Händler in alternativen Foren und Versteigerungen umschaut: Überall sind die Fahrzeuge sehr knapp und die Einkaufspreise der Gebrauchten hoch – für den Händler wächst das unternehmerische Risiko. Für den Autokäufer bedeutet das, „die Endkundenpreise haben sich um circa 10 bis 15 Prozent erhöht. Und ich sehe aktuell keine Entspannung der Lage“, so zieht der Nastätter Singhof nüchtern Bilanz.

Auch Marc Beck vom Volkswagen-Autohaus Wöll in Katzenelnbogen fasst die Situation kurz zusammen: „Da keine Neuwagen auf den Markt kommen, wird auch wenig auf den Gebrauchtwagenmarkt gegeben – und wenn, dann zunehmend überteuert. Da werden junge Gebrauchte inzwischen zu Neuwagenpreisen angeboten.“ Sein Rat für Kunden: „Wer aktuell auf einen Wechsel verzichten kann, sollte noch abwarten.“

Susanne Gemmer vom Nissan-Autohaus Gemmer weist darauf hin, dass einige Hersteller aufgrund der CO2-Norm ihre Modellpaletten verkleinert haben. In ihrem Singhofener Unternehmen gingen die Neuwagenverkäufe insgesamt um zehn Prozent zurück, doch der Anteil an Diesel- und Benzin-Pkw lag sogar bei durchschnittlich minus 30 Prozent – mit den üblichen Folgen für das Gebrauchtwagenangebot. Die erhöhten Preise sieht Susanne Gemmer allerdings nicht nur im knappen Angebot: Zum 1. Januar 2022 trat ein neues Gewährleistungsrecht in Kraft, das es Käufern erlaubt, Mängel an Gebrauchtwagen bis zu zwölf Monate nach dem Erwerb des Autos vom Verkäufer beheben zu lassen. Bislang konnte der Händler dieses möglicherweise teure Risiko schon nach einem halben Jahr abwehren.

Auch Werkstätten sind betroffen: „Früher galt, dass es von Weihnachten bis Karneval ruhig ist in der Werkstatt. Jetzt ist das ganz anders."

Also dann doch vielleicht den alten Wagen noch einmal reparieren lassen? Tatsächlich entscheiden sich viele Kunden notgedrungen auch für aufwendigere Reparaturen. Jürgen Rutkowski aus Hahnstätten, Obermeister der Kraftfahrzeughandwerker-Innung Unterlahn, berichtet mit Blick auf seine Innungsbetriebe: „KFZ-Service ist im Moment der Gewinner! Das gilt für die Vertragswerkstätten ebenso wie für die Freien – gebrauchte Autos müssen eben gewartet werden.“

Rüdiger Glodek mit seinem Kfz-Service in Nievern erlebt das seit Wochen so: „Früher galt, dass es von Weihnachten bis Karneval ruhig ist in der Werkstatt. Jetzt ist das ganz anders, wir sind momentan mehrere Wochen im Voraus ausgebucht. Die Leute kommen mit Schäden, da sage ich schon mal, 'das rentiert sich doch nicht!' „Doch“, heißt es dann, „muss, ich bekomme kein anderes Auto'.“ Und dann, wenn das alte Auto endlich auf die Hebebühne kommt, geht die Jagd nach den Ersatzteilen los: Das ist bei Autos schlimm, bei spezielleren Fabrikaten oder gar bei Quads, auf die sich der Nieverner Glodeck auch spezialisiert hat, eine echte Nervenprobe mit Wartezeiten bis zu einem Jahr.

Die Lieferkettenproblematik auch hier: Wenn ein Hersteller keine Steuergeräte für Neuwagen bekommt, fehlen die erst recht bei den Ersatzteilen. Und es betrifft nicht nur komplizierte Elektronik. Glodeck: „Wenn es auf dem Weltmarkt an Plastikgranulat mangelt, dann gibt es auch keine daraus gefertigten Kühler mehr.“

Dennoch: Der Verschleißteilemarkt ist, so Innungsobermeister Rutkowski, noch relativ stabil, außer bei der Elektronik steigen die Preise für Ersatzteile nur leicht an. Die Reparaturen werden trotzdem teurer sein in Zukunft. Denn die steigenden Allgemeinkosten wie zum Beispiel Gas und Strom werden auch in halbjährlich angepasste Stundensätze der Handwerksbetriebe einfließen.

Wie geht es also weiter? In der Branche rechnet man damit, dass die Sonderlage noch das ganze Jahr 2022 anhält – mit Blick auf Corona und die weltweiten politischen Spannungen eher länger. Innungsobermeister Rutkowski sieht allerdings auch einen Silberstreif am Horizont: „Im Laufe des Jahres, wenn sich die Situation auf dem Neuwagenmarkt entspannt, könnte es eine Schwemme an Gebrauchten geben.“