„Tue Muße!“: L’una Theater lenkt im Sevenicher Chapitol den Fokus wieder auf Freude um
Von Langeweile war in dem 90-minütigen Werk aus der Feder von Gabi Mohr allerdings nichts zu spüren. Mit enormer Spiellust, Vielfalt und Ausdruckskraft bearbeitete das Duo Gabi Mohr/Gieselbert Hoffmann dieses für unsere heutige Zeit nicht leicht zu greifende Thema, das es eine helle Freude war. Bereits an der Theaterkasse gab es eine Überraschung für die Zuschauer – wann wird man schon mal von zwei Engeln abgeholt und in spielerisch verlangsamtem Tempo in den Saal gebracht. Durch einen wolkig-weißen Bogen traten die Zuschauer in den himmlisch gestalteten Saal, waren gleich eingenommen von der besonderen Atmosphäre, die durch gedämpftes Licht und sphärische Klänge noch verstärkt wurde.
Blick der Engel auf die Erden-Menschheit
Himmlisch eingestimmt erlebte das Publikum so in der ersten Hälfte den Blick der Engel auf die Erden-Menschheit. „Eine Frage: Warum tun sie das?“, wollte Hoffmann in der Rolle des Praktikanten nicht nur einmal von seiner Mußelehrerin Mohr erfahren. Ihm war es nicht begreiflich, warum die Erdenbewohner etliche Dinge tun, obwohl sie ihnen keine Freude machen. „Sie denken, das Leben sei so gedacht“, lautete die Antwort. Die Menschen würden deshalb neben Anstrengung und Mühsal kaum Zeit für Erholung einplanen. Die Muße verstaube so nach und nach im Keller und damit all die kindliche Leichtigkeit, die die Menschen einmal gehabt hätten. Und genau da setzten die Engel mit ihrer Mußeschulung an.
Zunächst wurde das Wort „müssen“ in Form einer witzigen Tanznummer mit Livemusik feierlich gestrichen, und im Anschluss das Märchen von der faulen Kati auf sinnliche Weise, mit viel schauspielerischem Talent und fantasievoller Klanguntermalung, zum Beispiel durch die singende Säge, zelebriert. Denn schließlich sollten die auserwählten Schüler im Chapitol erst wieder zurück zur Erde entlassen werden, wenn sie in der Lage sind, den Fokus von Pflicht und Arbeit wieder auf Spiel, Freiheit, Zeit und Freude umzulenken.
Damit tat sich die erfolgreiche Managerin eines Zahnseidekonzerns, die den zweiten Teil des Theaterstücks bestimmte, allerdings mehr als schwer. Kein Wunder, war sie doch gerade dabei, einen Milliardendeal in China zu unterzeichnen, als sie plötzlich völlig gestresst ins Jenseits verfrachtet wurde. Businessmäßig aufgeladen war das Lernen von Muße gerade das Letzte, was mit ihrer To-do-Liste kompatibel war. Dementsprechend biss sich der Mußepraktikant an der rasenden Geschäftsfrau mächtig die Zähne aus.
Fassade bröckelt langsam
Erst, als sie durch das Fernrohr auf ihr Leben zurückschaute und dort ihren Sohn als einzigen Menschen neben dem Pfarrer auf ihrer Beerdigung sah, bröckelte die Fassade langsam. Ob sie die Gelegenheit bekommt, in ihr Leben zurückzureisen und ihm eine neue Wendung zu verleihen?
Eins ist in jedem Fall klar: Im Laufe der Mußestunde machte sich eine wohltuende Entspannung im Publikum breit. Der eine oder andere dürfte sich zwischendurch ertappt gefühlt haben und vielleicht etwas aus dem Unterricht in der Mußeschule des L‘una Theaters mit in den Alltag nehmen. Die Zuschauer im siebten Himmel der Sevenicher Kulturstätte Chapitol dankten es den Künstlern mit einem begeisterten Applaus. Als Essenz des Gelernten gab es noch einen groovigen Song mit auf den Heimweg: „Weil’s keinen Spaß macht, lass ich es sein – Weil’s keinen Spaß macht, sag ich klar nein“. Mit Inbrunst schmetterte das Publikum diesen Ohrwurm mit – die Botschaft des L’Una Theaters ist angekommen und hat berührt.
Kathrin Lauer