Rhein-Hunsrück

Stefan Bohnenberger (RKI): Helfer stoßen an der Ahr an ihre Grenzen – Eindrücke nach einer Woche im Katastrophengebiet machen betroffen

Von Thomas Torkler
Verschnaufpause: Am gestrigen Mittwoch kam der Brand- und Katastrophenschutzinspekteur des Rhein-Hunsrück-Kreises, Stefan Bohnenberger, am Vormittag um 11 Uhr von seiner Schicht nach Hause. Heute um 18 Uhr ist er in der Verbandsgemeinde Ahrweiler wieder im Einsatz.  Foto: Werner Dupuis
Verschnaufpause: Am gestrigen Mittwoch kam der Brand- und Katastrophenschutzinspekteur des Rhein-Hunsrück-Kreises, Stefan Bohnenberger, am Vormittag um 11 Uhr von seiner Schicht nach Hause. Heute um 18 Uhr ist er in der Verbandsgemeinde Ahrweiler wieder im Einsatz. Foto: Werner Dupuis

Eine Woche ist vergangen seit dem ersten Einsatz von Stefan Bohnenberger im Katastrophengebiet an der Ahr. Der Brand- und Katastrophenschutzinspekteur (BKI) des Rhein-Hunsrück-Kreises war am Mittwoch, 14. Juli, ab 18 Uhr an Ort und Stelle und dort bis nach Mitternacht im Einsatz. Einen Tag später nach seinem gut sechsstündigen Einsatz schloss sich eine 23-Stunden-Schicht an, von 0 bis 23 Uhr. Und so liest sich Bohnenbergers Einsatzbericht weiter. „Normale“ Einsatzzeiten wechseln einander ab mit Nonstop-Einsätzen von 19 und 22 Stunden.

Lesezeit: 6 Minuten

Aber normal ist an der Ahr nichts mehr. „Man muss sich das Ausmaß vor Augen halten, welche Wassermassen mit extrem hoher Strömungsgeschwindigkeit dort durchgerauscht sind und alles mit sich gerissen haben“, erzählt Bohnenberger im heimischen Garten in Klosterkumbd in Shorts und T-Shirt. Seine Einsatzkleidung liegt im Kofferraum seines roten Feuerwehr-Pkw. Eineinhalb Tage Auszeit kann Bohnenberger nehmen, bevor es am heutigen Donnerstag wieder ins Ahrtal geht.

Und als während des Gesprächs mit unserer Zeitung plötzlich der Piepser und das Handy gleichzeitig Alarm geben, springt Bohnenberger auf, bereit in seine Montur zu schlüpfen und wieder loszurasen. Doch diesmal ist es „nur“ ein brennender Traktor auf der Horner Straße. Den schwarzen Qualm sieht Bohnenberger von seinem Grundstück aus. Die Blaulichter der Kollegen auch. Die haben die Sache im Griff, weiß er und setzt sich wieder. Als noch ein weiteres Feuerwehrfahrzeug mit Tatü-tata an den Brandort kommt, springt Bohnenberger wieder auf und schaut auf die Rauchsäule. „Ah es qualmt schon weniger“, ist er beruhigt.

An vielen Stellen wie hier in Rech kommen Helfer gar nicht an die Einsatzstellen.  Foto: Andreas Roth
An vielen Stellen wie hier in Rech kommen Helfer gar nicht an die Einsatzstellen.
Foto: Andreas Roth

Aber beruhigt ist er eigentlich zurzeit überhaupt nicht. Auch wenn er gegenüber unserer Zeitung versichert, er schlafe genug, zwei Sätze später räumt er ein: „Dann liegst Du da und tausend Dinge gehen Dir durch den Kopf, da ist nichts mit Einschlafen.“ Außer am Sonntag, als er nach mehr als 20 Stunden Einsatz daheim angekommen war und im Dorf noch ein Bier trinken wollte. „Da haben sie mich nach ner halben Stunde geweckt, schnarchen könnte ich auch daheim. Da bin ich dann mal nach Hause“, berichtet der erste Feuerwehrmann im Landkreis, der betont, dass sämtliche Frauen und Männer aus dem Kreisgebiet genauso viel leisten wie er. „Ich allein kann da gar nichts machen, da sind alle mit im Boot.“

Leere, teilnahmslose Gesichter

Und das probiert so gut es eben geht, durch das Katastrophengebiet zu manövrieren. „Man muss so sehr aufpassen wie man etwas sagt, wenn man mit den Leuten dort spricht“, erzählt er. So könne es sein, dass ein falsches Wort von einem Moment auf den anderen einen Nervenzusammenbruch auslöst. „Man schaut in leere teilnahmslose, apathische Gesichter“, berichtet Bohnenberger. Am zweiten Einsatztag beobachtete er eine Frau, die im ersten Stock eines stark beschädigten Hauses aus dem Fenster auf die zerstörte Umgebung hinunterblickte und die Helfer aufforderte: „Stellen Sie mal das Fahrrad an die Wand.“ Den Satz habe die Frau mindestens 20 mal am Stück wiederholt, sagt der BKI. Den Feuerwehrleuten biete sich häufig ein grässliches Bild. Auch Tote haben die Einsatzkräfte aus dem Rhein-Hunsrück-Kreis entdeckt. „Die melden wir dann der Polizei, die sich dann um die Bergung kümmert“, so Bohnenberger. Aber die Bilder, die sich den Kameraden einbrennen, sind schwer zu ertragen, Leichen, die die meterhohe Flutwelle in Baumkronen hinterlassen hat, in Sträuchern oder an Gittermasten. Und wenn dann eine ertrunkene Person an einer zerstörten Brücke nur noch mit Hilfe eines Krans geborgen werden kann, weil das Gelände unzugänglich ist, dann braucht es nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass bei deren Bergung die Grenzen der Pietät leider manchmal überschritten werden müssen.

Was für die Bergung der Toten gilt, trifft natürlich auch auf alle anderen Hilfs- und Aufräumeinsätze zu. Man kommt schlichtweg nicht überall hin mit dem notwendigen schweren Gerät, aber auch einfach nur mit der Schaufel. Die Verbandsgemeinde Ahrweiler mit ihren 24 Ortsgemeinden sind das Gebiet, in dem Stefan Bohnenberger mit seinen Kollegen täglich Dienst tut. In der technischen Einsatzleitung ist er mit 20 bis 25 Personen und zwei Löschzügen im Einsatz. Die Besetzung kommt vom Leitstellenbereich Bad Kreuznach, zu dem Feuerwehreinheiten aus den Landkreisen Birkenfeld, Bad Kreuznach und Rhein-Hunsrück gehören. „Momentan sind wir im Schichtrhythmus mit dem Landkreis Kusel, Cochem-Zell und Kaiserslautern. Alle zwölf Stunden werden wir abgelöst“, sagt Bohnenberger. Vorerst geplant ist der Einsatz bis zum Sonntag. Der BKI geht aber davon aus, dass es die gesamte nächste Woche noch so weiter geht. Auf die Frage, ob die Anzahl der Helfer von Feuerwehr, THW, DRK und anderen Organisationen ausreiche, antwortet Bohnenberger: „Hilfskräfte sind in ausreichender Zahl vorhanden, man kommt aber durch die massive Zerstörung mitunter gar nicht ran an die Einsatzorte.“ Die gesamte Infrastruktur sei zerstört, die Häuser massiv geschädigt, Straßen kaputt – all dies seien Faktoren, die es erschweren, schnell voranzukommen. Und die freiwilligen Helfer, die aus allen Regionen ins Katastrophengebiet strömen? „Natürlich kriegen 20 Mann mit Schaufeln schneller eine Straße frei als ein halb so großer Feuerwehrtrupp“, räumt Bohnenberger ein, dass die Freiwilligen mitunter wichtige Arbeit leisten. Auf der anderen Seite gebe es aber auch Helfer und Helfer: „Die einen kommen in Arbeitskleidung mit Handschuhen und Sicherheitsschuhen, andere kommen in Schlappen“, schildert Bohnenberger salopp das durchaus unterschiedliche Bild. Der Durchsatz an Verbandmaterial sei gestiegen, weil sich Helfer mit ungenügender Ausrüstung eben mitunter Verletzungen zuzögen. Und es könne sehr wohl in manchen Situationen der Eindruck entstehen, dass es an einzelnen Stellen einfach nicht voran geht. Beispielsweise sei das Wasser in einigen Gebieten zwei Tage lang nicht abgelaufen. „Wir konnten immer nur da arbeiten, wo das Wasser wieder ein Gebiet freigegeben hat. Wir kommen manchmal einfach nicht voran, weil die Straßen kaputt sind und kein Durchkommen ist.“ Manchmal scheitern die schweren Einsatz-Lkw von THW und Feuerwehr auch daran, dass freiwillige Helfer ihre Pkw einfach irgendwo abgestellt und so die Durchfahrt für große Fahrzeuge blockiert haben. Wer als Freiwilliger helfen möchte, sollte dies lieber nicht einfach auf eigene Faust tun, auch wenn Bohnenberger zugibt, dass solche Freiwillige in bestimmten Situationen sicher auch den Menschen wertvolle Hilfe geleistet haben. Fehl am Platz seien aber Aussagen von Helfern wie: „Wir brauchen keine Feuerwehr, denn wir sind doch da.“ Und für gänzlich überflüssig hält Bohnenberger die sogenannten Querdenker, die nicht davor zurückschreckten, im Katastrophengebiet zu demonstrieren: „Jedem Einzelnen von denen sollte man ne Schippe in die Hand drücken und sie zum Schlamm wegräumen schicken“, sagt Bohnenberger.

Zu tun gibt es genug. Auf keinen Fall sei es so, dass das Ganze unkoordiniert ablaufe. Wenn es irgendwo hakt, ist das große Ausmaß der Zerstörung der Grund dafür, dass Hilfe eben nicht oder verspätet eintrifft. „Momentan, nach einer Woche, geht es langsam voran. Es wird fieberhaft daran gearbeitet wieder Strom zu bekommen und Wasser. Handyempfang und Funk funktionieren wieder besser. Aber neben der körperlichen Anstrengung geht das Ausmaß der Katastrophe den Bewohnern an der Ahr wie den Helfern einfach auch psychisch an die Grenzen der Belastbarkeit. „Wir erleben ein Wechselbad der Gefühle und alle paar Minuten eine andere Grundsituation. Da erzählt ein Beamter aus der Verbandsgemeindeverwaltung ganz rational, was als nächstes zu tun ist und bricht mitten im Satz in Tränen aufgelöst ab.“ Der Einsatz an der Ahr sei mit nichts zu vergleichen, was sich auch bei Großeinsätzen in der Heimatregion abspiele. Wie diese Woche in Nannhausen, als ein Einfamilienhaus durch ein Feuer zu Schaden kam. „Wenn Du in solchen Situationen mit den Hauseigentümern sprichst, sind diese Leute zwar geschockt, traurig und bestürzt, aber reagieren den Umständen entsprechend normal. Hier an der Ahr weiß man überhaupt nicht, wie die Menschen reagieren. Du stehst da und weißt nicht, wie du etwas sagen sollst. Ich muss jedes Wort überlegen, ob es nicht einen Zusammenbruch auslösen könnte. Es ist ein Wechselspiel der Gefühle, rauf und runter“, schildert Bohnenberger die ungeheure Belastung der Einsatzkräfte. Gestern wurde Bohnenberger um 8.30 Uhr abgelöst, aber: „Raus gekommen bin ich erst um 11 Uhr, denn da kam dann noch der Büroleiter der Verbandsgemeinde Ahrweiler mit einem Anliegen. Ich kann dann auch nicht einfach fortgehen. Dann dauert es eben länger.“

Keine Zeit zu schlafen

Das geht an die Substanz. „Die Einsatzkräfte werden nach einer Woche langsam müde“, berichtet Bohnenberger. Gut, dass jetzt 450 Kräfte aus Mildenberg bei Aschaffenburg für Verstärkung sorgen. Die Verschnaufpause nutzt Stefan Bohnenberger für eine kleine Auszeit. Auch wenn er im Gespräch mit unserer Zeitung alle zwei Minuten herzhaft gähnt, sich aufs Ohr zu hauen, funktioniert nicht. Zu sehr ist er im Tunnel. Anstatt die Augen zu schließen, denkt er an das vergammelnde Fleisch von zerstörten Metzgereien, an stinkende Kühltruhen aus Supermärkten, die es nicht mehr gibt und – „das lässt sich alles gar nicht in Wort fassen“, sprudelt es aus Bohnenberger heraus. Still zu sitzen fällt ihm trotz aller Erschöpfung schwer: „Ich muss jetzt noch ein bisschen Rasen mähen, hab keine Zeit zu schlafen.“

Von unserem Redaktionsleiter Thomas Torkler