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Boppard

Am Sonntag heißt es in Boppard: Neuser oder Haseneier? Beide Kandidaten antworten auf unsere Fragen

Von Philipp Lauer
Am Sonntag, 14. März, standen in Boppard gleich mehrere Wahlen an. In den Wahllokalen, wie etwa in der Stadthalle, wurden nach der Auszählung der Landtagswahl die ersten Urnen mit Wahlzetteln zur Bürgermeisterwahl geöffnet.  Foto: Suzanne Breitbach
Am Sonntag, 14. März, standen in Boppard gleich mehrere Wahlen an. In den Wahllokalen, wie etwa in der Stadthalle, wurden nach der Auszählung der Landtagswahl die ersten Urnen mit Wahlzetteln zur Bürgermeisterwahl geöffnet. Foto: Suzanne Breitbach

Im ersten Wahlgang am 14. März haben Niko Neuser (SPD) und Jörg Haseneier (CDU) die meisten Stimmern erhalten. Sie treten am Sonntag, 28. März, in einer Stichwahl für das Amt des Bürgermeisters der Stadt Boppard gegeneinander an.

Lesezeit: 1 Minute
Zur Stichwahl von 8 bis 18 Uhr sind die 12.417 Wahlberechtigten der Stadt aufgerufen. Laut Auskunft des amtierenden Bürgermeisters und Wahlleiters Walter Bersch haben bis zum Mittwochnachmittag rund 6067 Wahlberechtigte Briefwahlunterlagen für die Stichwahl beantragt. Das entspricht einem Anteil von 48,9 Prozent. „Eine so große Anzahl an Briefwählern hatten wir ...
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Niko Neuser im Interview: Wir in der Stadt müssen nachhaltig und ökologisch wirtschaften

Niko Neuser, 42 Jahre alt, lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Boppard. Er hat Bankkaufmann gelernt und Wirtschaftswissenschaften studiert. Nach einem zweiten Studium in Geografie und Politikwissenschaften arbeitet er seit 2010 am Gymnasium auf dem Asterstein Koblenz. Er ist seit 1999 im Stadtrat, war damals das jüngste Ratsmitglied, ist heute Fraktionsvorsitzender der SPD. Seit 2019 ist er Ortsvorsteher von Boppard. Fußball spielt er seit der Kindheit und war später als Jugendtrainer aktiv sowie einige Jahre Vorsitzender des SSV Boppard.

Wie wird sich der Klimawandel in Boppard bemerkbar machen?

Niko Neuser: Wir werden unsere Gewohnheiten umstellen müssen. Im Moment machen die Geschäfte morgens um acht Uhr auf und abends um 18 Uhr wieder zu. Ich bin eben mit Roger Lewentz durch die Oberstraße gelaufen und mit vielen Gewerbetreibenden ins Gespräch gekommen. Es wird eine heiße Mittagszeit geben, in der man sich nicht mehr draußen auf den Plätzen aufhalten will. Dann wird es eine Frage der Beschattung, der Belüftung und der Begrünung sein. Das ist ein Punkt, an dem uns der Klimawandel direkt zu schaffen machen wird. Zudem werden uns extremere Wetterereignisse stärker treffen, in unserer Hang- und Tallage sind das insbesondere Starkregenereignisse und Hochwasser. Wir erstellen gerade ein Starkregenkonzept für alle Nebenflüsse und -bäche des Rheins. Für den Hochwasserschutz müssen wir weitere Retentionsflächen bereithalten.

In welchem dieser Bereiche sehen Sie in der Stadt den größten Handlungsbedarf: Bau- und Gebäudewirtschaft, Verkehr oder Industrie?

In allen. Um den Klimawandel wirksam zu bekämpfen, muss man die Emissionen reduzieren, das gilt sowohl für den Individualverkehr als auch für die Industrie. Die beiden Bereiche tragen am meisten zum Klimawandel bei. Wir in der Stadt müssen schauen, wie wir nachhaltig und ökologisch wirtschaften. Das heißt vor allem etwa bei Bauprojekten, dass wir immer mitdenken, welche Auswirkungen hat das auf Klima und Umwelt. Das hat der Stadtrat auch schon so in seinem Klimaschutzkonzept beschlossen. Und dabei geht es natürlich auch um Oberflächengestaltung. Wir müssen Beschattungen zulassen und dürfen keine großen, offenen Flächen haben, die sich über den Tag extrem aufheizen. Wir werden ein ähnliches Klima wie in Südeuropa bekommen. Wir werden uns von Nadelwäldern verabschieden müssen und wirklich aufpassen, dass wir den Klimawandel moderierend mitgestalten mit den Menschen. Das geht auch mit kleinen Maßnahmen, wie etwa in Ruanda, wo ich viel bin. Dort gilt seit 15 Jahren Plastiktütenverbot. Diese können wir auch einschränken. Wir sind Fairtrade-Stadt. Und wir machen bei der Refill-Aktion mit und haben auch Trinkwasserbrunnen aufgestellt, an denen sich Einheimische und Touristen Trinkwasser in Flaschen füllen können. Das sind viele verschiedene Projekte, an denen wir teilnehmen können. Natürlich müssen wir unseren großen Stadtwald bewahren und gemeinsam mit unserem Forstamt und Landesforsten so umgestalten, dass er den Klimawandel übersteht. Das geht mit klimaresilienten Arten. Von der Fichte müssen wir uns verabschieden, das ist klar.

Wie wollen Sie als Bürgermeister den Folgen des Klimawandels entgegenwirken?

Wir müssen unsere Kulturlandschaft umgestalten und auf ökologische Vielfalt achten. Mit der Landespflege führen wir gerade Entbuschungsmaßnahmen durch. Insbesondere wollen wir Streuobstwiesen und Blühflächen bereit halten. Für die Beschattung der Innenstädte war meine Aktion 1400 Bäume und 2400 Sträucher ein Erfolg. Wir sollten Flächen vermeiden, die sich aufheizen, wie Steingärten. Das heißt letztendlich auch, die Stadt muss grüner werden, weniger Flächen versiegeln. Als Geograf weiß ich, dass die Albedo eine ganz wichtige Rolle spielt, also die Farb- und Oberflächenbeschaffenheit. Je mehr Grün wir hinbekommen, desto geringer wird die Aufwärmung hier im Mikroklima.

Ich unterrichte seit zwölf Jahren Geografie an der Schule, bin viel im Ausland unterwegs und bekomme viel mit, welche architektonischen Möglichkeiten es gibt. Angefangen von PV-Anlagen, die man nicht nur aufs Dach, sondern auch auf die Hausfassaden anbringen kann. Dass man also erneuerbare Energien noch viel mehr nutzt und fördert. Die Reduzierung von Flächenversiegelung. Eine Feuchtwiese, ein Sumpf oder ein Moor, wie wir sie etwa in der hinteren Dick oder in manchen Flussbereichen der Stadt haben, spart viel mehr CO2 ein, als ein Baum. Es ist wichtig, solche Feuchtgebiete zu erhalten. Man könnte etwa das Naturschutzgebiet Hintere Dick, für das ich mich schon lange engagiere, wiederbewässern, indem man die Verrohrung der Bäche auflöst und die Feuchtwiesen wieder Feuchtwiesen werden lässt. Das hätte den schönen Nebeneffekt, dass wir damit auch etwas für Amphibien tun und die Artenvielfalt fördern. Ein anderes Projekt ist das Urban Gardening im Marienberger Park. Dort wird ein kommunaler Garten angelegt mit 30 bis 40 neuen Streuobstbäumen, wo sich die Menschen bedienen können. Es gibt auch die Möglichkeit, andere Lebensmittel anzubauen und diesen städtischen Garten zu nutzen. Das trägt auch zu mehr Regionalität und Saisonalität bei. Wir haben die Möglichkeit hier, uns im Sinne einer Essbaren Stadt wie in Andernach, noch besser selbst zu versorgen.

Wo drängt es in Sachen Digitalisierung in der Stadt am meisten?

Das ist der Glasfaserausbau, jedes Haus soll einen Anschluss bekommen. Da ist unsere Stadt gemeinsam mit den anderen Kommunen im Rhein-Hunsrück-Kreis aktiv und Teil eines Förderprogramms von Olaf Scholz, das dafür sorgen soll, dass Häuser mit Glasfaser und schnellem Internet versorgt werden. Bei jedem Straßenausbau wird es automatisch Glasfaseranschlüsse geben. Gerade werden die letzten Lücken geschlossen, die etwa im Mühltal und in anderen Bereichen der Stadt entstanden sind. Bei der Mobilfunkversorgung beheben wir aktuell die Funklöcher, die es noch überall gibt. Ein dritter Punkt ist die moderne digitale Verwaltung, damit Bürger nicht mehr von Öffnungszeiten abhängig sind. Sie sollen rund um die Uhr ihre Verwaltungsangelegenheiten erledigen können, etwa einen Reisepass oder Personalausweis auch einfach online beantragen können.

Was halten Sie von der Idee der Boppard-App, die Philipp Loringhoven im Wahlkampf vorgestellt hat?

Ich bin mit Philipp Loringhoven in vielen Dingen völlig einer Meinung und wir tauschen uns aus. Er hat mir zugesagt, mich als Bürgermeister bei der Digitalisierung zu unterstützen. Ich fand einige seiner Ideen sehr gut und würde sie auch als Bürgermeister weiter verfolgen. Von der Boppard-App halte ich allerdings nichts. Ich bin der Auffassung, dass sich Touristen eher an der gesamten Region, wie etwa dem Schwarzwald orientieren, nicht an einzelnen Orten. So ist es bei uns am Mittelrhein auch. Was wir bräuchten ist also eine App – ja – aber nicht eine einzelne für jeden Ort, jeden Kirchturm, sondern eine Mittelrhein-App. Und da bin ich mit dem Geschäftsführer der Bundesgartenschau und dem Zweckverband Welterbe Oberes Mittelrheintal schon in intensivem Austausch. So eine Mittelrhein-App ist im Rahmen der Buga mit Sicherheit gewinnbringender als eine reine Boppard-App.

Warum setzen Sie für ein neues Gewerbegebiet weiterhin auf die Fläche an der Autobahnabfahrt Koblenz Mitte, obwohl der Stadtrat im vergangenen Jahr beschlossen hat, diese Option nicht weiter zu verfolgen?

Wer sich die potenziellen Gebiete anschaut, wird schnell feststellen, dass wir nicht viele Flächen zur Auswahl haben. Ich weiß, der Stadtrat hat sich mit knapper Mehrheit dagegen entschieden, das habe ich sehr bedauert. Aus vielen Gesprächen, wie etwa mit dem Koblenzer Oberbürgermeister David Langner und den Gewerbetreibenden im Hellerwald weiß ich aber, wie groß die Nachfrage nach weiteren Gewerbeflächen im Großraum Koblenz ist. Wir können es uns nicht leisten, keine Gewerbegebiete zu finden. Bürgermeister Walter Bersch hat in 24 Jahren Amtszeit insgesamt 64 Hektar Gewerbeflächen im Hellerwald vermarktet. Damit kann aber nicht Ende sein. In vielen Kommunen sind Betriebe einfach abgewandert, weil es versäumt wurde, neue Flächen auszuweisen. Die Digitalisierung bietet große Chancen, eins ist aber auch klar: Sie wird Arbeitsplätze kosten. Und ich möchte Arbeitsplätze in der Stadt erhalten und insbesondere neue schaffen. Ich möchte auch aus Klimaschutzgründen, dass die Menschen regional und lokal arbeiten können und nicht Hunderte von Kilometern zu ihren Arbeitsplätzen fahren müssen. All das spricht dafür, dass wir vor Ort Gewerbeflächen ausweisen. Die Gewerbesteuer ist unsere Haupteinnahmequelle. Boppard steht deshalb sehr gut da, weil wir eben gute Gewerbesteuerzahler haben, die auch in der Pandemie sehr solide dastehen.

Und wo soll das Gewerbegebiet hinkommen?

Das Gelände an der Autobahnausfahrt Emmelshausen kommt nicht in Frage, die Geländetopografie der städtischen Flächen lässt es nicht zu. Wir haben dort teilweise ein Gefälle von 50 Metern. Da müssten gigantische Stützmauern gebaut werden. Im Übrigen ist die benachbarte Verbandsgemeinde an einer interkommunalen Zusammenarbeit nicht interessiert, wie sie unserem Stadtrat schriftlich mitteilte. Die benachbarte Ortsgemeinde Dörth kann ihr Gelände sehr gut eigenständig über die L 213 direkt an die Autobahn anbinden. Es wäre absurd, dort ein Gewerbegebiet hinzubauen. Die Fläche an der A 61/B 327 auf Höhe Pfaffenheck-Nassheck an der Autobahnausfahrt „Koblenz-Mitte“ ist eine Alternative. Wir reden hier nicht vom Horstkopf, wir reden nicht von einem alten Baumbestand oder einem besonders ökologisch wertvollen Gebiet. Sondern wir reden von einem Gebiet, etwa 42 Hektar groß, auf dem viele Fichten stehen, die den Klimawandel nicht überstehen werden. Die meisten sind schon abgestorben, der Borkenkäfer hat sein Übriges dazu getan. Wenn Sie sich das Gebiet anschauen, da ist vieles schon braun. Das Gebiet liegt günstig an der A 61. Deshalb halte ich es nach wie vor für gut und halte daran fest. Ich bin aber der letzte, der sagt, es muss dieses Gebiet sein. Wenn es eine bessere Fläche gibt, sollten wir darüber in den Dialog treten. Nur bislang hat noch kein Kritiker eine bessere Fläche nennen können. Bei der Besichtigung vor Ort, hat sich im Nachhinein herausgestellt, dass wir uns das falsche Gebiet, einen tatsächlich alten und wertvollen Baumbestand angeschaut haben. Um dieses Gebiet geht es aber ausdrücklich nicht.

Die Kritiker sehen dort Probleme bei der Entwässerung, fürchten ein Starkregenereignis könnte das Mühltal fluten.

Dazu muss man zwei Dinge wissen. Ein Großteil des Gebietes entwässert nicht zum Rhein, sondern an die Mosel, die Wasserscheide läuft genau da entlang. Das zweite ist das Thema Bewässerung: Wir müssen künftig den Bopparder Hamm bewässern, sonst wird es uns dort zu heiß. Die Winzer haben uns schon händeringend um Unterstützung gebeten. Das wäre natürlich auch eine Möglichkeit, das Oberflächenwasser von dort zur Bewässerung der Weinreben im Bopparder Hamm zu nutzen, um den Weinbau hier zu erhalten und weiter zu stärken.

Das Gespräch mit Niko Neuser führte Philipp Lauer

Jörg Haseneier im Interview: Digitalisierung überall vorantreiben

Jörg Haseneier ist 53 Jahre alt, wurde in Moselweiß geboren. Er ist nicht verheiratet, hat keine Kinder. Seit 1989 ist Haseneier in der Kommunalpolitik aktiv, als Verbandsgemeinderatsmitglied, war später auch als Beigeordneter der Verbandsgemeinde Montabaur tätig. Seit 2004 ist Haseneier Bürgermeister in Simmern/Westerwald. Er ist Vorsitzender des CDU-Gemeindeverbands Montabaur. Der Rechtsanwalt mit den Schwerpunkten Strafrecht, Verkehrsrecht und Verwaltungsrecht geht in der Freizeit gern auf die Jagd, Laufen oder Golfspielen.

Wie wird sich der Klimawandel in der Stadt Boppard bemerkbar machen?

Jörg Haseneier: Der Klimawandel wird sich letztendlich genauso bemerkbar machen, wie überall anders auch. Wir müssen in der Sache zwar global denken, aber auch lokal handeln. Wir müssen es irgendwie schaffen, klimaneutral zu werden, das heißt CO2 runter.

Wie wollen Sie als Bürgermeister den Folgen des Klimawandels entgegenwirken?

Wie der Klimawandel sich bemerkbar macht, hängt auch davon ab, wie hoch der CO2-Ausstoß eigentlich ist. Den müssten wir für die Stadt Boppard erstmal berechnen, deswegen bin ich auch direkt dafür, dass man endlich einen Klimaschutzbeauftragten einstellt. (Anm. der Redaktion: Der Stadtrat hat bereits beschlossen, diese Stelle zu besetzen.) Wenn ich nicht weiß, wie viel ich ausstoße, kann ich auch nicht gegensteuern. Das Ziel muss es sein, CO2 zu vermeiden, wo es nur geht. Das heißt letztendlich, ganz einfach gesagt: Licht aus. Das will natürlich niemand. Das CO2, das ich nicht vermeiden kann, muss ich an anderer Stelle ausgleichen können. Etwa das von Fahrzeugen, bei Betrieben und Schulen. Boppard tut ja schon viel: Ob es die Umstellung auf LED-Beleuchtung ist, E-Fahrzeuge oder Radwegenetze – das ist sicherlich alles richtig. Und es gibt sicher auch kleine Dinge, die eine Rolle spielen können, wie etwa Streuobstwiesen. Aber wenn man das Thema ernst nehmen will, muss das Stadtbild grüner werden. Fotosynthese ist ein ganz einfaches Spiel. Wir müssen die Klimaveränderung auch in den Bebauungsplänen berücksichtigen. Da fängt es bei ganz kleinen Dingen an. Ich kann es immer noch nicht verstehen, dass man einen Kirschlorbeer in einem Baugebiet findet. Da geht kein Tier, kein Vogel rein, es bringt der Natur überhaupt nichts. Und man muss endlich mal lernen, dass auch in Gewerbegebieten Bäume gepflanzt werden müssen. Ein Vorschlag von mir ist ja auch, in einem Baugebiet nur Holzbauweise zuzulassen. Ein Holzhaus speichert bis zu 80 Tonnen CO2 – da sieht man mal, was man vor Ort tun kann. Wenn wir erstmal dieses Verständnis dafür bekommen, gelangen wir in die richtige Richtung. Und mit der CO2-Zertifizierung für Waldflächen könnten wir sogar Geld verdienen. Da ist richtig was möglich. (Anm. der Redaktion: Hierfür will sich Haseneier auf Landes- und Bundesebene einsetzen, wir berichteten).

In welchem dieser Bereiche sehen Sie in der Stadt den größten Handlungsbedarf: Gebäudewirtschaft, Verkehr oder Industrie?

In der Stadt Boppard ist es sicher im Verkehr. Da haben wir generell ein Problem. Wir müssen im Autobereich zu anderen Lösungen kommen. Ob das zukünftig sogar über die Schifffahrtsstraße zu lösen sein wird, wird man sehen. Da werden häufig die Alternativen Wassertaxen und Wanderbusse genannt. Ob da viel zu machen ist, wird sich zeigen. Als ich an der Uni Trier studiert habe, wurde dort gerade das Semesterticket eingeführt. Damals kamen Volkswirte zu dem Schluss, dass Busfahren eigentlich kostenfrei sein müsse. Der wirtschaftliche Vorteil für die Allgemeinheit sei viel höher, als der Erlös aus dem Verkauf der Tickets.

Sie würden sich also auf Kreisebene für einen kostenfreien ÖPNV einsetzen wollen?

Natürlich. Denn wir haben ja auch Probleme mit der Anbindung der Ortsbezirke. Das ist ein Problem im ländlichen Bereich, nicht nur in Boppard. Da ist die Frage, ob man das nicht neu denken kann. Ein Beispiel: Ich wohne derzeit noch in Simmern im Westerwald. In Vallendar fährt alle 20 Minuten der Bus. Genau an der Grenze liegt Simmern, aber hier fährt er nicht. Er könnte noch ein ganzes Gebiet abfahren, mit 8000 bis 10.000 Menschen. Geht nicht, anderes Kreisgebiet – was ist das für ein Blödsinn? Das versteht doch keiner mehr. Ein Problem ist aber auch, dass die Leute gerne Auto fahren. Wir Menschen müssen neu denken. Deshalb sage ich auch, die Kinder müssen es von früh auf anders lernen. Der Klimaschutz muss in die Schulen und Kitas rein, den Kindern vermittelt werden, dass es um ihre Zukunft geht. Erwachsene sind eben schon sehr eingefahren in gewissen Dingen.

Sehen Sie für den Klimaschutz nun die nächste Generation in der Pflicht?

Eckart von Hirschhausen hat es einmal auf den Punkt gebracht, dass die Erwachsenen es der nächsten Generation schuldig sind, unter anderem ihr Reiseverhalten zu ändern, erst recht wenn sie schon 25 Kreuzfahrten gemacht haben. Das kann er locker sagen und ich kann ihn locker zitieren. Aber in der Politik braucht man auch mal den Mut, zu sagen, dass da eine Änderung nötig ist.

Wo drängt es in Sachen Digitalisierung in der Stadt am meisten?

Das ist wahrscheinlich wie überall der Ausbau der Glasfaser. Ich bin mir nicht ganz bewusst, inwieweit das Netz ausgebaut ist, wahrscheinlich nur in Teilen. Ich habe von Firmen gehört, dass ihnen die Kapazität der Leitungen nicht reicht, um weiterzukommen. Mein Ansatz ist: Wir müssen die Digitalisierung überall vorantreiben, sonst sterben uns auch die Dörfer irgendwann aus. Schnelles Internet ist die Voraussetzung für alles, das ist die Zukunft. Denken Sie mal an Telemedizin, an Homeschooling und anderes. Meiner Auffassung nach muss man mal für das gesamte Stadtgebiet ermitteln, wie der Stand beim Ausbau der Glasfaser ist. Und dann muss man dafür sorgen, dass das gesamte Gebiet versorgt wird. 1000 Mbit pro Sekunde ist der Standard, das müssen wir in alle Häuser bekommen. Natürlich muss die Digitalisierung auch in der Verwaltung ankommen, das ist alles klar. Aber wir brauchen zuerst überall die Versorgung mit Glasfaser. Solange wir da keine Struktur haben, mit der wir das schaffen, wird es schwierig. Es wird eine Zeit lang dauern, aber wir werden es hinkriegen.

Was halten Sie von der Idee der Boppard-App, die Philipp Loringhoven im Wahlkampf vorgestellt hat?

Ich fand die Idee gar nicht schlecht, aber wahrscheinlich werden wir mehrere brauchen. Eine App kann immer nur einen Bereich abdecken. Die App, wie er sie vorgeschlagen hat, war für den Tourismus- und Freizeitbereich sowie für die Verwaltung, wenn ich das richtig verstanden habe. Da wird man sicher einiges machen können. Es darf nur nicht so ausgehen, wie mit der Corona-App, dass nichts dabei rumkommt. Wir haben mittlerweile so viele Apps auf unseren Smartphones, die wir nicht benutzen. Es muss also etwas sein, womit wir auch etwas machen können. Eine Verwaltung können sie nicht über eine App verwalten – dafür bin ich zu sehr Verwaltungsmensch. Da bin ich eher für einen neuen Auftritt der Stadt im Internet. Das hätte man schon längst umsetzen können.

Warum setzen Sie für ein neues Gewerbegebiet weiterhin auf interkommunale Gewerbegebiete mit den Nachbargemeinden, obwohl die VG Hunsrück-Mittelrhein bereits deutlich gemacht hat, dass kein Interesse besteht?

Dass kein Interesse besteht, kann man so erstmal nicht sagen. So wie ich es mitbekommen habe, hat die Verbandsgemeinde in diesem Fall gesagt, sie wollen derzeit Abstand nehmen. Ich hatte mich mit dieser Möglichkeit beschäftigt, nachdem der Stadtrat sich gegen ein Gewerbegebiet an der Autobahnabfahrt Koblenz Mitte ausgesprochen hat – aus Kosten- und Naturschutzgründen. Ich habe mir dieses Gebiet mit dem ehemaligen Forstamtsleiter Dr. Gerd Loskamp angeschaut. Ein Gewerbegebiet dort steht meiner Ansicht nach mit dem Klimaschutzkonzept der Stadt nicht im Einklang. Auch die Starkregenereignisse wurden immer wieder thematisiert. Da ist es die Frage, ob das Wasser dann das Mühltal runterknallt. Der Stadtrat hat da glaube ich eine ganz vernünftige Entscheidung getroffen. Es sollten ja auch andere Gebiete untersucht werden, etwa die Flächen rechts und links der Mühltalstraße (L 207), das Gebiet im Dreieck zwischen B 327 und A 61 nahe an der Autobahnausfahrt Waldesch und die Fläche gegenüber dem Gewerbegebiet Hellerwald auf der anderen Seite der A 61. Soweit ich weiß, liegen noch keine Ergebnisse vor. Außerdem erstellt das Land wohl gerade eine Studie, wo entlang der A 61 noch Gewerbegebiete entstehen könnten. Das waren für mich die Gründe, über ein interkommunales Gewerbegebiet zu sprechen. Ich habe damit gute Erfahrungen gemacht und hier vor Ort in Simmern eines umgesetzt. Das ist eine Möglichkeit, die allen hilft, bei der man viele Kosten für die Erschließung sparen kann. Wenn ein Stadtrat sich gegen ein Gebiet ausspricht, dann ist das für mich erstmal gesetzt. Da kann ich als Bürgermeister nicht darüber hinweggehen.

Der Bürgermeister der VG Hunsrück-Mittelrhein hat einem interkommunalen Gewerbegebiet in einem Schreiben an den aktuellen Bürgermeister Walter Bersch eine recht deutliche Absage erteilt. Sie wollen sich weiter dafür einsetzen?

Das Schreiben lässt für mich erstmal alles offen. Man muss reden mit den Menschen, sich mal treffen und schauen, was sich machen lässt.

Worum geht es bei der Kritik in der Facebook-Gruppe Besser Boppard zu ihrer Kandidatur 2012 in Nagold im Schwarzwald?

Nagold ist eine wunderschöne Kreisstadt, das muss man mal klipp und klar sagen, angesiedelt in einem sehr interessanten Gebiet in der Nähe von Stuttgart. Dort hatte ich als Bürgermeister kandidiert. Bekannte, mit denen ich zusammen studiert habe, hatten mir berichtet, dass dort eine Finanzdezernentenstelle frei wird. Ich war Landesvorsitzender im RCDS (Ring Christlich Demokratischer Studenten) und in dieser Funktion beschäftigte ich mich mit hochschulpolitischen Fragen, unter anderem auch mit der Finanzausstattung der Fachbereiche. Ich habe mich dann auf diese Stelle beworben, eine reine Fachdezernentenstelle. In Baden-Württemberg heißen die Beigeordneten Bürgermeister. Für dieses Amt wird man nicht von den Bürgern gewählt, sondern vom Stadtrat. Bevor man dem Stadtrat als Kandidat vorgestellt wird, wird man fachlich geprüft. In meinem Fall ging es vor allem um Haushaltsfragen, auch um die Doppik, die damals neu eingeführt wurde. Als die Wahl im Stadtrat für den anderen Bewerber ausgefallen ist, habe ich einen Dank vom Oberbürgermeister, zwei Flaschen Wein und einen Blumenstrauß bekommen und bin mit dem Auto wieder nach Hause gefahren. Und das ist auch gar kein Problem, so hatte ich mich mal auf eine Stelle beworben. Es war aber keine Bürgermeisterstelle, wie jetzt in Boppard.

Haben Sie sich denn noch andernorts für ein Bürgermeisteramt beworben?

Ich habe ehrlicherweise schon einmal mit einer Kandidatur in der Verbandsgemeinde Montabaur geliebäugelt. Weil aber schon zwei Kandidaten feststanden und ich keinen unnötigen Streit auslösen wollte, habe ich darauf verzichtet. So ist das in der Politik.

Das Gespräch mit Jörg Haseneier führte Philipp Lauer

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