Kreis Bad Kreuznach

Aus Rüdesheim direkt ins Katastrophengebiet an der Ahr – Appell: Vorerst keine kleineren Sachspenden mehr

Von Stefan Munzlinger
Hans-Martin Grünewald und Andreas Ulrich mit Einsatzkleidung vor der dauerlaufenden DLZ-Waschmaschine.
Hans-Martin Grünewald und Andreas Ulrich mit Einsatzkleidung vor der dauerlaufenden DLZ-Waschmaschine. Foto: Stefan Munzlinger

Ob Flüchtlingswelle 2015 oder Jahrtausendflut 2021: In der Zeit anfänglicher (Hilfs-)Euphorie wollen die Leute, Vereine, Organisationen nicht untätig zuschauen. Enthusiastisch sammeln sie drauflos, was die blauen (Müll-)Säcke halten: Altkleider & Co. Unvermeidlich: Hier und da setzt gar ein in „Chaosphasen“ üblicher Sperrmülltourismus ein. Den aber braucht kein Mensch.

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Lagerraum für Hilfsgüter fehlt

Hans-Martin Grünewald und Andreas Ulrich mit Einsatzkleidung vor der dauerlaufenden DLZ-Waschmaschine.

Stefan Munzlinger

Karten und Koordination: Marco Schmitz von der technischen Einsatzleitung am Dienstag im DLZ Rüdesheim.

Stefan Munzlinger

Nach einem Einsatz rund um die Uhr in Ahrweiler kehrten die Feuerwehrleute etwa aus Bärweiler und Abtweiler am späten Dienstagmorgen ins Rüdesheimer Dienstleistungszentrum zurück. Hier sitzt der Katastrophenschutz-Einsatzstab des Kreises um Leiter Werner Hofmann und koordiniert die täglichen Ahr-Fahrten. Fotos: Stefan Munzlinger

Stefan Munzlinger

Folge: Die Abgabestellen sind rasch überfüllt. „Stopp“, rufen daher Kreis-Einsatzleiter Werner Hofmann und VG-Bürgermeister Markus Lüttger allen Kleinspendern in Rüdesheim zu. Von hier werden die täglichen Fahrten der ehrenamtlichen Feuerwehrleute mit ihren Hochwasserpumpen und Generatoren ins Ahrtal organisiert. Im Dienstleistungszentrum (DLZ) hat der Kreis sechs Plätze für Katastrophenschutzcontainer und -material.

„Selbst wenn wir weiter heimische Hilfsgüter auf unsere Lkw laden und sie an die Ahr bringen: Dort gibt es fast keine Lagerräume mehr, die nicht mit Evakuierten belegt sind“, hat Rüdesheims VG-Wehrleiter Christian Vollmer am Wochenende vor Ort festgestellt.

„Körpernahe“ Artikel wie Kleider sind momentan nicht gefragt, eher Gummistiefel, Besen und Schaufeln. Doch auch die müssen gelagert werden; eine Aufgabe, die im Koordinationszentrum auf einer Neuenahrer Höhe samt der Beschaffung übernommen wird. Das bis dato landesweit zentrale Hilfsgüter-Sammellager auf dem Nürburgring ist schon seit Tagen voll.

Spendenkonten in VGs erfragen

Also gilt für alle Bürger im Naheland: Wer wirklich helfen will, spendet am besten auf eines der offiziellen Sonderkonten bei den Verbandsgemeinden oder beim Land. „Ja“, erklärt Bürgermeister Lüttger mehrfach und nachdrücklich, „jeder Cent kommt bei den Flutgeschädigten an.“ Geldspenden helfen!

Im Flutgebiet außerdem dringend gebraucht: professionelle Maschinen und die „Manpower“ dazu. Ein heimisches Bauunternehmen stellt Bagger, Lkw und Personal für drei Tage. Schlamm und Unrat aus den Häusern und angespültes Treibgut müssen schleunigst weg von den verstopften Straßen. Keine Minute vergeht in diesen Tagen ohne eine Nachricht, einen Anruf auf Markus Lüttgers Handy. Einer will eine satte Zahl Grills spenden, einer bringt einen großen Kärcher-Hochdruckreiniger als Geschenk. Dixi-Klos sind im Flutgebiet gefragt: Ein Lüttger-Kontakt sichert zunächst zehn zu, 50 sollen es am Ende werden, gedacht für eine Klinik im Ahrtal. Funktionierende Toiletten fehlen dort, nachdem so viele Gebäude und auch einige Kläranlagen zerstört sind – mit der Gefahr einer sich ausbreitenden Epidemie. VG-Chef Lüttger setzt die blau-weißen Dixis augenblicklich in Bewegung.

Apropos Hygiene: Die Corona-Verhaltensregeln sind ständiger Einsatzbegleiter der Aktiven. „Unsere Leute sind instruiert, wir geben FFP-2-Masken und natürlich Desinfektionsmittel mit“, sagt Leiter Werner Hofmann. Doch auch er weiß nur zu gut um die Praxis, wenn das Wasser aus engen Kellern herausgepumpt werden muss. Abstand halten wird dann echt schwer.

Pumpen, was das Zeug hält

Was sie im Flutgebiet neben schwerem Räumgerät vor allem brauchen: Pumpen. Der Kreis Bad Kreuznach hat weit und breit die meisten solcher Pumpen, bringt bis dahin fast 30 Geräte an die Ahr und legt los. Tiefgaragen, Keller... Große wie kleine Pumpen laufen nonstop. Manche gibt den Geist auf und wird zeitnah ersetzt. Fünf der Pumpen sind momentan abgängig – sind sie geklaut oder nur an unbekanntem Ort im Einsatz? Das wird später geklärt.

Ihre Eindrücke der Zerstörung schildert am Dienstag eine Bärweilerer Feuerwehrgruppe, die nach fast 20 Stunden aus Ahrweiler nach Rüdesheim zurückgekehrt ist: „So etwas haben wir noch nie gesehen.“ Sicher, bei solchen Katastrophen – die letzte Jahrtausendflut (Magdalenenhochwasser) wird auf 1342 datiert – geht nicht alles reibungslos. Doch dem Gerücht chaotischer Einsatzabläufe an der Ahr widersprechen sie sofort und vehement.

Einsätze ab jetzt in zwei Schichten

Ob im Ahrtal oder in Rüdesheim: Die Haupt- wie Ehrenamtlichen aus dem Kreis KH sind an ihrer Belastungsgrenze. Daher der Zwei-Schichtbetrieb, der ihnen auch mal eine Pause gönnt. „Noch vier Wochen“, sieht Werner Hofmann die Aktiven gefragt. 2500 Ehrenamtliche sind in den Feuerwehren und 600 in den anderen fünf Hilfsorganisationen (DRK, THW, ASB, MHD und DLRG) registriert. Durch die Sommerferien ist ein Drittel weg. Seit sieben Tagen sind bis dahin 600 im Einsatz, dankt Hofmann ihnen wie deren Arbeitgebern für ihre „große Geduld“.

Auf den Internetseiten der Verbandsgemeinden sind die offiziellen Spendenkonten benannt.

Von unserem Redakteur Stefan Munzlinger

200 akkugespeiste und ausfallsichere Sirenen als Flutwarner im Kreis Bad Kreuznach?

In Katwarn-App-Zeiten längst aus der Mode geglaubt: die alten Warnsirenen. Etliche Kommunen haben sie nach dem Kalten Krieg abgebaut. Nicht so der Kreis Bad Kreuznach mit seinen rund 160 Sirenen auf Bürgerhäusern und Gemeindehallen.

Nachteil der Altanlagen: Bei Stromausfall infolge Hochwassers tönen die Sirenen nicht mehr. Daher bräuchte es rund 200 neue Sirenen, wie BKI Werner Hofmann schätzt: akkugespeist und damit stromausfallsicher. Angeschlossen an die Warner: Lautsprecher, über die man eine Computerstimme mit allgemeinen Hinweisen hören oder spezielle Durchsagen für Teilregionen, ja Dörfer absetzen könne. In Schweppenhausen gibt es eine solche Sirene schon, in Daxweiler ist die nächste geplant. 84 Millionen Euro für das Bundessirenenprogramm? „Das reicht bei Weitem nicht aus“, sagt BKI Hofmann. mz
Flutkatastrophe im Ahrtal
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