Neubrandenburg

Richter krank, Richter pensoniert: Prozess um Sarah H. ist geplatzt – Täter auf freiem Fuß

Der erneute Prozess um eine zu Tode gefolterte Frau aus Rheinland-Pfalz, der seit April in Mecklenburg-Vorpommern lief, ist geplatzt. Grund ist die längere Erkrankung eines Richters und die baldige Pensionierung eines weiteren Richters der Schwurgerichtskammer am Landgericht Neubrandenburg.

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Damit könne das durchgehend nicht öffentlich geführte Verfahren nicht mehr rechtzeitig beendet werden und ein dritter Prozess sei nötig. „Das war so nicht absehbar“, sagte ein Sprecher des Gerichts.

Sarah H.-Prozess geplatzt: Axel G. ist auf freiem Fuß

Kreis Birkenfeld. Der Prozess am Landgericht Neubrandenburg um die zu Tode gefolterte Sarah H. aus Fischbach, die 2011 durch eine Kuppelshow auf Sat.1 bekannt geworden war, ist nach viereinhalb Monaten vorerst geplatzt. Der Haftbefehl gegen den 53 Jahre alten Angeklagten Axel G., der seit 2016 hinter Gittern saß, sei aufgehoben worden. Begründung des Landgerichts: Von dem Mann gehe keine Gefahr aus.

Der Angeklagte soll die 32-jährige Sarah H. im Sommer 2016 gefesselt und derart mit einer Peitsche geschlagen haben, dass sie an den Verletzungen starb. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil in einer Revision auf. Nun platzte auch der zweite Prozess. Ein dritter wird im Frühjahr 2019 folgen. Unterdessen wurde der Haftbefehl gegen Axel G. (im Vordergrund) aufgehoben. Foto: Bernd Wüstneck/dpa
Der Angeklagte soll die 32-jährige Sarah H. im Sommer 2016 gefesselt und derart mit einer Peitsche geschlagen haben, dass sie an den Verletzungen starb. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil in einer Revision auf. Nun platzte auch der zweite Prozess. Ein dritter wird im Frühjahr 2019 folgen. Unterdessen wurde der Haftbefehl gegen Axel G. (im Vordergrund) aufgehoben.
Foto: Bernd Wüstneck/dpa

Grund für das Platzen des Prozesses: die längere Erkrankung eines Richters und die Pensionierung von Carl Christian Deutsch, eines weiteren Richters der Schwurgerichtskammer, wie ein Sprecher des Landgerichts am Dienstag erklärte. Damit wird ein dritter Prozess in dem aufsehenerregenden Fall nötig.

Der 53-jährige Axel G. soll seine Lebensgefährtin im Sommer 2016 in seinem Haus in Alt Rehse bei Neubrandenburg im Streit nackt an ein Bett gefesselt und mit einer Peitsche misshandelt haben. Danach ließ er die 32-jährige Frau, die er im Internet kennengelernt hatte und die aus Fischbach im Kreis Birkenfeld zu ihm gezogen war, laut Staatsanwaltschaft weiter gefesselt liegen, wo sie Hunger und Durst litt und später starb.

Der Mann hatte angegeben, sich verfolgt zu fühlen. Ihre Leiche wurde erst Wochen später durch Zufall – die Beamten waren zum wiederholten Male wegen Ruhestörung zum Haus des Angeklagten gerufen worden – gefunden: Sarah H. war in Malervlies gewickelt auf eine Sackkarre geschnallt und soll etwa zwei Monate vorher gestorben sein, wie Gerichtsmediziner später angaben. Die genaue Todesursache blieb unklar.

Der IT-Fachmann war in einem ersten Prozess im März 2017 wegen Körperverletzung mit Todesfolge und Freiheitsberaubung mit Todesfolge zu fünf Jahren Haft verurteilt worden – für viele ein zu mildes Urteil. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil in einer Revision auf und ordnete die Neuverhandlung an. Der psychische Zustand des Mannes zur Tatzeit sollte genauer geprüft werden. Seit April war nicht öffentlich verhandelt worden. Zu den Zeugen, die bereits gehört wurden, zählt auch Hans-Walter Rienhardt, der Direktor des Idar-Obersteiner Amtsgerichts: Dort hatte der Angeklagte am 23. Dezember 2015 einen sehr fragwürdigen und aggressiven Auftritt.

Ein psychologisches Zwischengutachten liegt mittlerweile vor: Die Gutachterin kommt nach vielen Gesprächen und Analysen zu dem Ergebnis, dass der Angeklagte nicht psychisch krank sei. Deutsch betonte auf Nachfrage unserer Zeitung, dass aus Sicht des Gerichts keinerlei Fluchtgefahr besteht. Der Angeklagte habe zwei Jahre in Untersuchungshaft gesessen, eine höhere Strafe als fünf Jahre könne er im nächsten Prozess ohnehin nicht erhalten. Die zu erwartende Freiheitsstrafe sei insofern überschaubar.

Auf die Frage, inwieweit einzuschätzen sei, dass vom Angeklagten eine Gefahr für die Allgemeinheit ausgehe, antwortete Deutsch: „Ich sage nicht, dass von ihm keine Gefahr ausgeht.“ Er habe Axel G. allerdings nun häufig vor Gericht erlebt und komme persönlich ebenfalls zu der Erkenntnis, dass der Mann nicht psychisch krank sei.

Der Idar-Obersteiner Rechtsanwalt Damian Hötger, der die Nebenklage vertritt und bei vielen Terminen beim zweiten Prozess vor Ort dabei war, kommentiert die aktuelle Entwicklung: „Der Fall wurde sehr akribisch aufgearbeitet. Manches, was eigentlich schon vorher in der Ermittlungsarbeit zu leisten gewesen wäre, folgte erst jetzt. Es gab mehr Termine als geplant: Und die zogen sich in die Länge. Es gab einen Ersatzrichter. Dass dieser erkrankt ist, kann man niemanden vorwerfen. Der Prozess hätte theoretisch bis Jahresende durch sein können.“

Er könne nachvollziehen, dass die Nachricht, der Angeklagte sei nun wieder auf freiem Fuß, für manche ein Schock sei: „Aber auch für diesen Mann gilt die Unschuldsvermutung.“ Hötger geht davon aus, dass im März 2019 der Start für den neuen Prozess erfolgt: Er selbst werde weiterhin die Nebenklage vertreten.

Von unserer Redakteurin Vera Müller

Vera Müller kommentiert: Gefühle sind kein geeigneter Leitfaden

Nichts macht Sarah wieder lebendig. Auch Rachegefühle, Hass und Wut nicht. Emotional ist es nachvollziehbar, dass viele nicht verstehen können, wieso ihr Peiniger nun erst einmal auf freiem Fuß ist, viele schockiert sind, laut aufschreien.

All das ist erlaubt in diesem so tragischen, auch Jahre später noch fassungslos machenden Fall. Aber Gefühle dürfen – gerade in Zeiten wie diesen, in denen die Rechtsstaatlichkeit von bestimmten Gruppierungen torpediert und mit Füßen getreten wird – nicht Leitfaden fürs Handeln sein.

Insofern ist es richtig und zudem wichtig, dass die Neubrandenburger Justiz eine klare, stringente und völlig korrekte Linie fährt: Was für alle anderen Straftäter gilt, gilt auch für den Angeklagten im Fall Sarah.

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Unser Rechtssystem gilt aus gutem Grund als eines der besten der Welt – auch wenn es manchmal behäbig, undurchsichtig und äußerst zäh erscheint.

Für Demokratie und eine unabhängige, nur der Rechtsstaatlichkeit verpflichtete Justiz einzutreten, ist anstrengend und fordernd – womöglich so fordernd wie noch nie zuvor in der deutschen Geschichte. Und dieser spektakuläre Fall in Alt Rehse ist ein Puzzleteilchen dieser Herausforderung. Das gilt es auszuhalten, auch wenn es schwer fällt. Bizarr ist allerdings, dass Axel G. jetzt genau jenes System zur Freiheit verhilft, das er als Reichsbürger ablehnt.

E-Mail an vera.mueller@rhein-zeitung.net

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