Zwischen Heldenmythen und Opfergedenken: Ein Blick in die deutsche Geschichte am Beispiel Rheinbreitbach - Wie uns die Erinnerung mahnt
Zwischen Heldenmythos und Opfergedenken: Was Kriegerdenkmäler in der Region heute leisten können
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Der Obelisk in Rheinbreitbach erinnert an den Deutsch-Französischen Krieg.
Thomas Napp

Es ist ein unscheinbarer kleiner Obelisk, der auf dem Plateau zwischen der Hauptstraße, der Straße „Auf Staffels“ und der Bürresheimer Straße in Rheinbreitbach steht. Darauf abgebildet ist Kaiser Wilhelm I., umrandet von einem Lorbeerkranz und dem Eisernen Kreuz. Im unteren Teil sind die Namen von zwei Rheinbreitbachern eingetragen, die im Krieg haben. Es ist eines von vielen Kriegerdenkmälern in der Region, die uns heute als Mahnmal dienen sollen.

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Der Obelisk in Rheinbreitbach erinnert an den Deutsch-Französischen Krieg.
Thomas Napp

Die Inschrift auf dem Obelisken in Rheinbreitbach lautet übrigens: „Zur Erinnerung an die im glorreichen Feldzuge 1870/71 gefallenen Krieger Georg Küpper und Theodor Runkel.“ Es handelt sich um das Kriegerdenkmal für die Gefallenen des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71. Wer vor dem Denkmal verweilt, kann zunächst oberflächlich gesehen nichts mit dem Obelisken anfangen. Wer jedoch genauer hinsieht, kann eine vielfältige und spannende Geschichte mit vielen wechselnden Deutungen dahinter erkennen. Ursprünglich wurde das Denkmal kurz nach der Gründung des Kaiserreichs 1871 als Verehrung und Erinnerung an die „gefallenen Helden“ von Rheinbreitbach errichtet, die für die Einigung Deutschlands ihr Leben gelassen hatten. Die Menschen sahen es damals als Heldentum an, wenn sich ein einzelner Mensch für eine größere Sache hingab. Dementsprechend wurde sein Vermächtnis glorifizierend auch weiter in der Gesellschaft durch Kriegerdenkmäler wach gehalten.

Militärdienst: Soldaten wurden in jedem Ort eingezogen

Ob die Gefallenen dies ebenfalls so sahen, kann wohl angezweifelt werden, da oftmals nur die bürgerlichen Milieus diesem Heldenkult zugetan waren. Der einfache Bauer oder Arbeiter vom Land war froh, wenn er seine Felder bestellen und sein Leben einigermaßen bestreiten konnte. Doch durch den verpflichtenden Militärdienst, der durch Preußen im Rheinland eingeführt worden war, musste eine bestimmte Anzahl Soldaten aus jedem Ort in den Kampf erst gegen Österreich (1866) und später gegen Frankreich ziehen. Diese Kriege führten dazu, dass Deutschland als vereinte Nation in einem Kaiserreich unter dem preußischen König Wilhelm I. (dann als Kaiser Wilhelm I.) zusammengeführt wurde.

Diesen Plan hatte sich der preußische Ministerpräsident und spätere Reichskanzler Otto von Bismarck ausgedacht und geschickt umgesetzt. Er hatte damit die vorwiegend bürgerliche und lauter werdende Forderung aufgenommen, endlich einen deutschen Nationalstaat mit eigener Verfassung zu gründen. Aus diesem Grund wuchsen neben zahlreichen Kriegerdenkmälern auch viele Bismarckdenkmäler empor, so wie es in Rengsdorf beispielsweise mit dem Bismarckturm der Fall ist.

Aus den Einigungskriegen gründeten sich auch zahlreiche Kriegervereine, die es sich zur Pflicht machten, die Denkmäler in Erinnerung an die gefallenen Kameraden zu pflegen und Feste zu den nationalen Feiertagen (wie dem Sedantag oder dem Kaisergeburtstag) auszurichten. Es entstand ein Kult, der sich als Freiheits- oder Einigungskampf bezeichnen lässt und die Teilnehmer des Feldzuges mit Stolz erfüllen sowie der Gesellschaft die militärische Stärke des geeinten Deutschlands bewusst machen sollte.

Das Militär als Waffe der Abschreckung

Otto von Bismarck wusste jedoch zu diesem Zeitpunkt, dass er mit seinen Einigungskriegen die Sorge bei den anderen Nationen geschürt hatte, das neue deutsche Kaiserreich wolle militärisch weiter expandieren. Zudem fürchtete er die Rache Frankreichs, welches er nicht nur militärisch, sondern auch politisch in eine tiefe Krise stürzte (Stichwort Pariser Kommune). Aus diesem Grund betonte Bismarck immer wieder bis zu seiner Entlassung, dass das Deutsche Reich keinerlei Interesse an einer weiteren Expansion habe. Gleichzeitig schuf er ein kompliziertes Bündnisnetz, welches Frankreich vom Rest Europas isolierte.

Er setzte damit die preußische Denkungsweise fort, die einen militärischen Überfall auf deutsches Kernland verhindern sollte. Denn das Trauma der Preußen und der Grund für deren jahrhundertelange militärische Aufrüstung lag darin begründet, dass das preußische Kernland im Dreißigjährigen Krieg arg verwüstet worden war. Das oberste Ziel des preußischen Militärs war daher die Abschreckung und die Abwehr jedes potenziellen Feindes. Dies konnte nur mit modernster Militärtechnik und einer perfekt gedrillten und disziplinierten Armee erreicht werden, die über Jahrhunderte ihresgleichen suchte und später zur Bürde Deutschlands werden sollte.

Der junge Wilhelm will einen „Platz an der Sonne“

Nach dem Tod seines Großvaters Wilhelm I. sowie dem überraschenden Ableben seines Vater Friedrich III. übernahm Kaiser Wilhelm II. 1888 die Macht in Deutschland – und entließ kurz darauf Bismarck aus seinen Diensten. Die Politik des jungen Monarchen war nationalistisch und imperialistisch ausgerichtet und setzte auf Expansion anstatt auf den Erhalt des Status quo. Die Friedensbündnisse mit den Nachbarstaaten wurden nicht mehr erneuert, Frankreich aus der Isolation befreit. Ein übersteigerter Militarismus zog in Deutschland ein, der die Gesellschaft zur Geisel des Militärapparates machte.

Ein Wettkampf um Ressourcen und Ländereien begann. Jede Nation rüstete militärisch immer weiter auf. Die Stimmung innerhalb der Kriegervereine schlug um und wurde immer nationalistischer. Die Kriegerdenkmäler der Einigungskriege wurden umgedeutet als heroische Vorbilder, denen man nacheifern sollte. Deutschland müsse sich seinen „Platz an der Sonne“ (frei nach Wilhelm II.) erkämpfen.

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Das Kriegerdenkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs zeigt: Im ersten industriell geführten Krieg starben viele Rheinbreitbacher.
Thomas Napp

Das spannungsgeladene Wettrüsten entlud sich dann letztlich im August 1914 im Ersten Weltkrieg. Millionen Menschen starben auf den Schlachtfeldern an den Grenzen zu Frankreich und Russland. Ganze Landstriche wurden auf Jahrzehnte verwüstet. Menschen wurden wie Material auf den Landkarten hin und her verschoben und an der Front verheizt.

Diese Zeit verlangte den Menschen nicht nur an der Front, sondern auch zu Hause alles ab. Eine knappe Nahrungsmittelversorgung und Rationierungen gehörten zum Alltag der Zivilbevölkerung. Es gärte unter den Soldaten sowie den Zivilisten. Als im November 1918 dann die Revolution losbrach, der Kaiser abdankte und eine Republik ausgerufen wurde, entwickelte sich schnell aus nationalistischen und monarchischen Kreisen die „Dolchstoßlegende“ heraus, die behauptete, dass die „heldenhaften siegreichen deutschen Truppen“ von den Demokraten hintergangen worden seien, indem sie Verhandlungen mit den Alliierten aufnahmen, einen Waffenstillstand herbeiführten und den Versailler Vertrag unterschrieben.

Die Konsequenz hieraus war, dass Deutschland einen Teil seiner Gebiete im Osten verlor sowie Teile des Rheinlands von Franzosen, Amerikanern, Briten und Belgiern besetzt wurden. Dies galt als ein Verrat an den Helden von 1870/71 und den Toten des Ersten Weltkrieges, die tapfer für die Einigung und später für die Verteidigung Deutschlands gestritten hatten. Gleichzeitig entwickelte sich aber durch die Weimarer Republik eine Gegenbewegung, die die Soldaten der Kriege von 1870/71 sowie des Weltkrieges als Opfer einer nationalistischen, imperialistischen und militaristischen Politik sahen. Der Volkstrauertag wurde 1925 eingeführt, um der „Toten zu Gedenken und die Lebenden zu mahnen“.

Lehren aus dem Krieg: Aus Helden werden Opfer

Das Kriegerdenkmal von 1870/71 wurde somit bis 1924 ein Anlaufpunkt für die Menschen in Rheinbreitbach, um auch den Gefallenen des Weltkrieges nicht blind als Helden zu gedenken, sondern sie auch als Opfer zu sehen. Daraus resultierend wurde ein Denkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs errichtet, welches auf einer Bronzetafel die Namen der Gefallenen von Rheinbreitbach sichtbar macht. Doch der Ansatz, die Gefallenen als Opfer von Militarismus und Nationalismus zu sehen, konnte sich nur bei den demokratischen Kräften durchsetzen. In rechtskonservativen und nationalistischen Kreisen wurde durch die Dolchstoßlegende weiterhin am Verrat der heldenhaften deutschen Frontkämpfer festgehalten. Die Gefallenen waren hier zwar auch in gewisser Weise Opfer, deren Ehre aber wiederhergestellt werden musste, damit ihr Heldentod nicht sinnlos gewesen sei.

Die Nationalsozialisten griffen diesen Kerngedanken sowie die Enttäuschung der Menschen über den verlorenen Weltkrieg auf, übernahmen die Macht in Deutschland und begannen im September 1939 den Zweiten Weltkrieg, unter anderem in der Hoffnung, nun die Ehre der gefallenen deutschen Soldaten des Ersten Weltkrieges wieder herzustellen. Auch in diesem noch verheerenderen Krieg ließen viele Rheinbreitbacher ihr Leben. Der Krieg am Rhein endete erst mit dem Durchmarsch der US-Armee im März 1945. Jedem Einwohner war im Gegensatz zu 1918 nun klar, dass Deutschland und seine Soldaten den Krieg verloren hatten. Der propagierte Heldenmythos war vollkommen in die Brüche gegangen.

Zeitenwende begründet Deutsch-Französische Freundschaft

Mit dem Untergang des Dritten Reichs im Mai 1945 sowie der Gründung der beiden deutschen Staaten begann eine neue Sicht auf die Gefallenen der vorangegangenen Kriege. Durch die schmerzlichen Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges setzte sich langsam aber sicher die Ansicht durch, dass die Gefallenen aller Nationen Opfer des Krieges seien, um die man gemeinsam trauern solle. Hieraus entstand unter anderem die bis heute andauernde Deutsch-Französische Freundschaft.

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Der „Tränenbaum“ einer lokalen Künstlerin für die Opfer des Zweiten Weltkrieges wagt eine andere Herangehensweise.
Thomas Napp

Natürlich gab es auch in der Bundesrepublik rechtsgerichtete Initiativen, die versuchten, wiederum einen Heldenmythos zu etablieren, indem zum Beispiel Regimentskameradschaften betonten, dass sie im Zweiten Weltkrieg bis zum Schluss ihre Stellung gehalten hätten. Durch die Aufklärung der Bundesrepublik bezüglich der Gräueltaten der Nationalsozialisten in den 1960er-Jahren konnte sich dieser Mythos jedoch nicht nachhaltig etablieren.

Die Erinnerung an die Gefallenen als Opfer steht hierbei mittlerweile im Mittelpunkt. Dies spiegelt sich auch in dem Denkmal für die Gefallenen des Zweiten Weltkrieges wider, der als „Tränenbaum“ von der lokalen Künstlerin Helene Ramershoven in Rheinbreitbach geschaffen wurde. Es etablierte sich die gesellschaftliche Einstellung, dass nie wieder ein Krieg ausbrechen und solche Opfer verursachen dürfe. Nationalismus, Imperialismus und Militarismus dürften nie wieder einen Platz in der Gesellschaft haben. Diese Überzeugung nahm sogar so radikale Züge an, dass Kriegerdenkmäler von 1870/71 sowie aus dem Ersten Weltkrieg entfernt (beispielsweise in Erpel) oder in den 1980er-Jahren mit Graffiti beschmiert wurden.

Wird Sachliche Auseinandersetzung verhindert?

In Rheinbreitbach sah man wohl den einstigen aus Metall gefertigten Preußenadler mit Krone, der auf dem Obelisken für die Gefallenen des Kriegerdenkmals von 1870/71 befestigt war, als Ausdruck einer nationalistischen Gesinnung an, dass man ihn bei Renovierungsarbeiten wohl verschrotten ließ. Überhaupt ist es ein Wunder, dass das Kriegerdenkmal von 1870/71 diese Zeit überstanden hat, da an seinen ursprünglichen Standort der heutige Tränenbaum gesetzt wurde.

Aus historischer Perspektive kein passender Umgang, da man die Wort- und Interpretationshoheit über preußische Symbole und deren ursprünglicher Herkunft nun links- oder rechtsradikalen politischen Kräften überlässt, die diese entweder im Namen einer „damnatio memoriae“ verteufeln oder überspitzt verherrlichen. Eine sachliche Auseinandersetzung des normalen Bürgers mit der eigenen Geschichte wird durch die fehlende Symbolik somit verhindert. Es bleibt abzuwarten, ob nicht in Zukunft dieses wichtige Detail des Kriegerdenkmals wieder dort oben auf der Spitze seinen Platz findet. Schließlich ist der Preußenadler bis heute auch das Wappentier der Bundesrepublik Deutschland.

Es wird auch abzuwarten bleiben, ob und wie der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland die Gedenkkultur in Deutschland noch einmal verändern wird. Mit dem Einmarsch Russlands in der Ukraine 2022 begann nach mehr als 75 Jahren Kriegsende wieder ein kriegerischer Konflikt in Europa. Die Frage lautet, ob ich mein eigenes Leben für die Demokratie, das eigene Land und menschliche Grundwerte geben würde? Häufig wird hierbei auf das preußische Urprinzip zurückgegriffen, welches Bismarck bereits im Kopf hatte: Eine schlagkräftige Armee bereitzuhalten, die jeden Gegner schon im Vorfeld von einem Angriff abhält. Denn wer den Frieden will, der bereite den Krieg vor. Das wussten schon bereits die alten Römer. Aber ob dies die passende Lösung ist, um Kriege und deren Opfer zu verhindern, dies sei dahingestellt. Walter Benjamin meinte 1926 bereits: „Wer Frieden will, der rede vom Krieg.“ Und diese Funktion erfüllen die Kriegerdenkmäler als Mahnmale bis heute. Thomas Napp

Zum Autor

Thomas Napp ist Lehrer, Autor und Heimatforscher aus Rheinbreitbach. Neben seinen historischen Werken „Ein Dorf im Großen Krieg. Rheinbreitbach 1914 bis 1918“ und „Für Gott, König und Vaterland! Zum 150. Jahrestag des deutschen Kaiserreichs in Rheinbreitbach und Umgebung“ hat er sich mit dem auf wahren Begebenheiten basierenden Buch „Das Blutkreuz“ 2021 in den Bereich der Kriminalromane begeben. red

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