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Kreis Neuwied

Vom Biomarkt über den Hofladen bis zum Supermarkt: Der Appetit auf Regionalität wächst an Rhein und Wied

Von Sofia Grillo
Frisches Gemüse – unverpackt und von den Äckern aus der Region (rechts): Die Hofläden im Kreis merken ein wachsendes Interesse an ihrem Angebot.
Frisches Gemüse – unverpackt und von den Äckern aus der Region (rechts): Die Hofläden im Kreis merken ein wachsendes Interesse an ihrem Angebot. Foto: Sofia Grillo

Lokale Produkte sind gefragt: Vor allem seit Corona wollen die Kunden gesunde und nachhaltige Lebensmittel – und zwar nicht nur beim Einkauf auf dem Biohof, sondern auch im Supermarkt.

Lesezeit: 4 Minuten
Während des Lockdowns konnten sich die Hofläden im Kreis Neuwied vor Kunden kaum retten. Immer mehr Menschen kamen auf die Idee, ihre Lebensmittel regional zu kaufen – dort, wo Obst und Gemüse noch ortsnah gepflanzt und geerntet, wo Fleisch und Milch direkt weiterverarbeitet werden. Doch nicht erst seit Corona erlebt ...
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„Weißt du, wo dein Gemüse wächst?“: Warum Biomarkt in Buchholz und Solawi in St. Katharinen immer beliebter werden

Buchholz/St. Katharinen. Der Biomarkt in Buchholz und die Solidarische Landwirtschaft Katringer Grünzeug in St. Katharinen zeigen, was die Natur und die Produzenten in der Region abseits der großen Industrie zu bieten haben.

Ein Verkaufsanhänger nach dem anderen rollt auf den Platz vor dem Buchholzer Heimathaus. Auf den Feldweg zum Anbaugebiet Katringer Grünzeug in St. Katharinen rollen die Pkw. In Buchholz werden die Anhänger zu Ständen aufgeklappt und Pavillons aufgestellt. In St. Katharinen öffnet sich ein Scheunentor. Hier stapeln sich Kisten mit Mangold, Spitzkohl, Brokkoli, Zwiebeln oder Salat. In den Auslagen in Buchholz lassen Wurstwaren, Käse, Eier, Geflügelfleisch, Brot oder Öle das Wasser im Munde zusammenlaufen. Eines ist in beiden Szenen gleich: Menschen mit Körben, die auf die frische Ware warten. In Buchholz und St. Katharinen haben regionale Lebensmittel bereits Einzug in den Alltag der Dörfer und der Menschen im Umkreis erhalten: Die solidarische Landwirtschaft Katringer Grünzeug zieht immer mehr Interessenten an, und der regionale Biomarkt in Buchholz muss seit dem ersten Markttag nicht auf Kunden warten.

Nachdem in der Ortsgemeinde Buchholz vor rund vier Jahren ein Tante-Emma-Laden für immer schloss, kam man im Ort nicht mehr an Lebensmittel heran. Ulrich Dammann hat das in diesem Jahr ändern können: Donnerstags ist seit April in Buchholz Markttag. Es regnet. „Komischerweise regnet seitdem immer wieder donnerstags“, sagt Ulrich Dammann schmunzelnd. Doch das hält die Kunden nicht ab – mit Regenschirm bewaffnet kommen sie trotzdem zu den inzwischen fünf Ständen, an denen regional hergestellte Bioprodukte verkauft werden.

Auch Dammann und seine Frau füllen ihren Korb mit Käse und Grillgut. Das Auto bleibt stehen, die Lebensmittel kommen wieder in den Ort – und dazu auch der Kontakt zu den regionalen Produzenten: Fleisch und Wurstwaren aus dem Biohof Seegers aus Rott, frisch gepresste Öle aus der Ölmühle Gilles, Biowein vom Weingut Sturm aus Leutesdorf, Käse vom Heinrichshof in Burglahr oder Hühnerfleisch und Eier aus Kleins Geflügelhof aus Hennef und vieles mehr. „Wer hier seine Waren anbietet, muss sie selbst erzeugen, biozertifiziert sein und im Umkreis von 50 Kilometern angesiedelt sein“, erklärt Dammann die Regeln für den Verkauf.

Um ökologisch hergestellte Lebensmittel direkt aus der Region, ohne überflüssigen Verpackungsmüll, ohne lange Transportwege und unabhängig von der großen Lebensmittelindustrie, geht es auch seit vergangenem Jahr in St. Katharinen: Bürger aus der Gemeinde haben sich zusammengetan und die Solidarischen Landwirtschaft (Solawi) Katringer Grünzeug gegründet. Hier kommen die Kunden zum frischen Obst und Gemüse – direkt dorthin, wo es gepflanzt, gepflegt und geerntet wird.

Jede Woche können sie die üppige Ausbeute des ersten Erntejahres in der Scheune des Hofes bewundern: Dort stapeln sich Kisten voll saftigem Gemüse in den schönsten Farben, die die Natur erzeugen kann. Bis zu vier Kilogramm dürfen sich die Kunden der Solawi jede Woche aus diesem verlockenden Sortiment in ihre Körbe packen – ganz nach eigenem Geschmack. Dafür müssen sie für ein Jahr Mitglied der Genossenschaft sein. Sie zahlen einmalig einen Genossenschaftsanteil und einen monatlichen Beitrag für die Lebensmittel. Der Richtwert für diesen monatlichen Anteil wird vor dem Erntejahr in Anbetracht aller anfallenden Kosten für den Anbau der Lebensmittel ausgerechnet. In der sogenannten Bieterrunde am Anfang des Jahres kommen alle Mitglieder und Interessenten zusammen. Sie können dann je nach finanzieller Situation auf eine jährlichen Gemüseanteil bieten. Kommt die errechnete Gesamtsumme zusammen, kann losgelegt werden.

Und das machen dann vor allem die zwei Gärtner Rico und Marlon Reich. Die beiden Brüder kommen aus der Nähe von Berlin und sind für die neu entstandene Solawi in die VG Linz gezogen. Soweit das Auge reicht sieht man all das, was sie seit Januar auf dem gepachteten Land in St. Katharinen auf die Beine gestellt haben. Weite Felder zeigen üppiges Grün und Streifen bunter Blumen. Hier wachsen Möhren, Salat, Mangold, Kohl, Porree, Knoblauch und vieles mehr.

Und dann ist da noch das Gewächshaus, aus dem zurzeit vor allem Tomaten und Paprika kommen, die die Körbe der Genossenschaftsmitglieder füllen. Marlon Reich ist kaum zwischen den hochgewachsenen grünen Pflanzen zu finden. Er geht Reihe für Reihe durch und bindet die Paprikapflanzen fest, sodass sie nicht umknicken. Manche tragen noch grüne Früchte, viele rote sind auch zu erkennen. Sicher bewegen er und sein Bruder Rico sich durch das Pflanzenlabyrinth, und schon stehen sie in einem anderen Rankendschungel – hier wachsen Stangenbohnen, deren Pflanzen schon bis zur Decke des Gewächshauses reichen.

Die Arbeit der Brüder richtet sich ganz nach der Natur: nach Klima, Wasser, Wetter, Bodenbeschaffenheit und Schädlingen. „Gerade in der Biolandwirtschaft müssen wir täglich auf neue Situationen reagieren“, sagt Rico Reich, der auf einem Demeterhof in den Niederlanden gelernt hat. „Tauchen beispielsweise neue Schädlinge auf, müssen wir Nützlinge suchen, um diese zu beseitigen.“ Statt mit Chemie wird hier also mit dem gearbeitet, was die Natur anbietet, und so sind im Gewächshaus beispielsweise Hummeln die besten Mitarbeiter der beiden Gärtner, die fleißig beim Bestäuben helfen. Dadurch, dass die Kunden der Solawi jede Woche am Anbaugebiet ihre Lebensmittel holen, sehen sie auch, wie viel Arbeit hinter dem steckt, was sie sonst billig und in Massen das ganze Jahr über im Supermarkt finden.

Hintergrundinfos zur Solawi und zum Biomarkt

Die Gemüsegenossenschaft Katringer Grünzeug wurde im Juni 2020 gegründet. Sie bestand ganz am Anfang aus 20 Mitgliedern, heute sind es mehr als 200 und 160 Verträge für die wöchentliche Gemüseration. Die Solawi St. Katharinen hat inzwischen mehrere Ausgabestellen eingerichtet: Neben der am Anbaugebiet auch zwei in Linz, eine in Bad Honnef, eine in Unkel und eine in Bonn. Nähere Informationen zum Projekt und über die Teilnahme gibt es auf www.katringer-gruenzeug.de.

Ulrich Dammann begann im April 2020 mit der Suche nach regionalen Biohöfen für einen Wochenmarkt in Buchholz. Der erste Markttag war ein Jahr später. Aus anfänglich fünf Anbietern sind inzwischen zehn geworden. Weitere Anbieter sind willkommen. Der Markt findet jeden Donnerstag von 15 bis 18 Uhr auf dem Platz vor dem Heimathaus statt. Geplant ist, die Termine bis Weihnachten einzuhalten. Von Januar bis März soll eine Winterpause eingelegt werden. Informationen zu Terminen oder außerplanmäßig abgesagten Markttagen gibt es unter 02683/936.780 oder unter www.buchholz-westerwald.de/aktuelles

Gleichzeitig sehen sie aber auch, was die Natur alles leisten kann und dass sie von ihr abhängig sind, sagt Martin Lang, der Vorstandsvorsitzende. „Man merkt schon, dass viele Menschen weit weg sind von der Natur und dem Ackerbau. Der Trend in der Lebensmittelindustrie geht ja eher in Richtung fertig gekochter und verpackter Gerichte. Damit verliert man den Bezug zum Lebensmittel und dessen Zubereitung. Die Industrie und unser Ackerbau sind zwei verschiedene Welten“, sagt Lang.

In die Welt der Lebensmittel abseits der Industrie tauchen auch Kunden des Buchholzer Biomarkts ein. Der Einkauf hier hat nichts mit dem im Supermarkt zu tun. Statt Masse und Schnelligkeit geht es um Klasse und Geselligkeit. Wer hier einkauft, kommt zwangsläufig auch mit den Händlern ins Gespräch – alles Menschen aus der regionalen Landwirtschaft, die über ihre Arbeit berichten können.

Die 28-jährige Hanna Westhues verkauft hier Käse, den sie und ihr Mann Max Reifenhäuser auf ihrem Heinrichshof in Burglahr herstellen. Sie weiß: „Die Menschen wissen gar nicht, was alles in ihrer Umgebung hergestellt wird und sind meist erstaunt, wenn sie es erfahren.“ Als sie und ihr Mann vor einigen Jahren wieder Milchkühe angeschafft hatten, schüttelten viele Landwirte mit dem Kopf. Schon lange ist der Milchpreis so gering, dass sich die Milchwirtschaft kaum noch für die Bauern lohnt. Doch das Ehepaar Westhues hatte nicht vor, mit seiner Milch auf dem Weltmarkt zu konkurrieren. Stattdessen stellen sie den eigenen Käse her und vermarkten ihn selbst – ganz unabhängig vom Preiskampf in der Lebensmittelindustrie.

Hanna Westhues und Heike Seegers beobachten die Entwicklung in der Landwirtschaft schon lange mit Sorge und haben ihre Konsequenzen daraus gezogen: Für Landwirte heißt es „Wachsen oder Weichen“, um sich auf dem Markt behaupten zu können. Doch auch wenn die Betriebe wachsen, stehen sie meist mit dem Rücken an der Wand – zumal unsere Region gar nicht die Voraussetzungen bietet, um als Landwirtschaftsbetrieb immer weiter zu wachsen. Das heißt, dass viele Betriebe, die noch da sind, sich eine Alternative zur Industrie und zum Wachsen suchen und auf die Selbstvermarktung umsteigen, sagen die beiden. Familie Seegers vermarktet auf dem Biohof Seegers in Rott das Fleisch, Wurstwaren und die Milch ihrer Rinder ebenfalls selbst. 2015 haben sie auf Biolandwirtschaft umgestellt. „Alles was die Tiere fressen, wird auf unseren Wiesen und Äckern erzeugt und geerntet. Wir verzichten dabei auf chemische Pflanzenschutzmittel. Und das war eine gute Entscheidung.“ Schon vor 20 Jahren hat die Familie Seegers dem Bauernverband den Rücken gekehrt. Sie fühlte sich von ihm nicht mehr richtig vertreten, da sie merkte: „Der Verband vertritt die Schiene des Wachstums und damit immer mehr die Interessen der Industrie“, so die Meinung der Landwirtin aus Rott.

Wachstum gibt es in der Solidarischen Landwirtschaft nur in Bezug auf Pflanzen und die Mitgliederzahl. Mit 100 Verträgen für wöchentliches Gemüse startete Katringer Grünzeug in das Erntejahr. Jetzt sind es schon 160, und die Nachfrage steigt. Doch seinen Auftrag sieht das Team der Solawi nicht nur in der Versorgung der Region mit ökologischen Lebensmitteln, sondern auch in der Bildung. Die Nutznießer der Solawi sind regelmäßig eingeladen, auf dem Acker zu mitzuhelfen – etwa beim Unkraut jäten. Und auch Kindergärten kommen vorbei.

In einem Newsletter gibt es zudem Rezepte für das saisonale Gemüse aus der Ernte sowie Tipps zum Einmachen. „Der Mensch trägt die Entscheidung selbst, was er kauft. Und er muss sich fragen, ob es wirklich nötig ist, Obst und Gemüse aus aller Welt ständig zur Verfügung zu haben. Er sollte sich auch fragen, was ihn und vor allem die Umwelt das kostet. Jeder Cent, den er der großen Industrie gibt, investiert er in ein System, das die Natur und damit den Menschen zerstört und dazu haben wir keine Zeit mehr“, sagt Barbara Büsch vom Solawi-Team, während sie an den grünen Äckern der Landwirtschaft steht, für die sie einstehen möchte.

Wer den Weg zu diesen Äckern herauffährt, wird auf einem großen Plakat gefragt: „Weißt du, wo dein Gemüse wächst?“ Die Mitglieder von Katringer Grünzeug kennen nun die Antwort darauf. Und die Kunden des Biomarktes in Buchholz wissen, welche Gesichter, welche Geschichten und Arbeit hinter den Produkten stehen, die ihren Kühlschrank füllen.

Von unserer Mitarbeiterin Sofia Grillo

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