Neuwied/Bad Neuenahr-Ahrweiler

Neuwieder Helfer schildern ihre Eindrücke aus dem Ahrtal: „Es ist ein sehr beklemmendes Gefühl“

Von Markus Kilian

Schlamm. Überall Schlamm. In ihrem Badezimmer watet eine 75-jährige Senioren umher, steckt dabei knietief in dem braunen Matsch, den die Flutkatastrophe vergangene Woche ins Erdgeschoss gespült hat. Ihr Blick mustert den Morast. Fast eine Stunde ist sie dort, während Ehrenamtliche im Wohnzimmer unermüdlich den Dreck herausschippen. Erst spät wird Helfer Martin Monzen aus Neuwied klar: „Sie hat ihr Hörgerät gesucht.“ Finden wird sie es nicht.

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Es sind Erinnerungen wie diese, die eine Handvoll Helfer der Neuwieder Gruppe „Cleanup“ und Iyad Asfour von Eirene in Neuwied an diesem Sommerabend erzählen – und die den Zuhörer betroffen machen. Zwar gehen die Bilder der verheerenden Flutschäden im Ahrtal schon seit Tagen um die Welt, aber Asfour stellt schon zu Anfang der Gespräche klar: „Ich habe die Bilder davor gesehen, aber die Wahrheit ist viel schlimmer.“

Zahlreiche Neuwieder Helfer, darunter auch Migranten der Eirene aus Neuwied, packten bei den Aufräumarbeiten mit an. Teils mussten Fenster eingeschlagen werden, um Möbel herauszubekommen, ein Verpflegungsstand in der Wiese sorgte für Stärkung. In einer Garage lagern (von links) Thorsten Dreistein-Faustmann, Volker Schölzel, Martin Monzen und Iyad Asfour das oft gespendete Werkzeug.

privat/M. Kilian

Zahlreiche Neuwieder Helfer, darunter auch Migranten der Eirene aus Neuwied, packten bei den Aufräumarbeiten mit an. Teils mussten Fenster eingeschlagen werden, um Möbel herauszubekommen, ein Verpflegungsstand in der Wiese sorgte für Stärkung. In einer Garage lagern (von links) Thorsten Dreistein-Faustmann, Volker Schölzel, Martin Monzen und Iyad Asfour das oft gespendete Werkzeug.

privat/M. Kilian

Zahlreiche Neuwieder Helfer, darunter auch Migranten der Eirene aus Neuwied, packten bei den Aufräumarbeiten mit an. Teils mussten Fenster eingeschlagen werden, um Möbel herauszubekommen, ein Verpflegungsstand in der Wiese sorgte für Stärkung. In einer Garage lagern (von links) Thorsten Dreistein-Faustmann, Volker Schölzel, Martin Monzen und Iyad Asfour das oft gespendete Werkzeug.

privat/M. Kilian

Zahlreiche Neuwieder Helfer, darunter auch Migranten der Eirene aus Neuwied, packten bei den Aufräumarbeiten mit an. Teils mussten Fenster eingeschlagen werden, um Möbel herauszubekommen, ein Verpflegungsstand in der Wiese sorgte für Stärkung. In einer Garage lagern (von links) Thorsten Dreistein-Faustmann, Volker Schölzel, Martin Monzen und Iyad Asfour das oft gespendete Werkzeug.

Markus Kilian

Rückblick: Am vergangenen Samstag sucht die Kreisverwaltung Neuwied ehrenamtliche Helfer für Unterstützung im Krisengebiet. „Wir haben uns noch am gleichen Tag gemeldet“, schildert Volker Schölzel von „Cleanup“, eine Gruppe Freiwilliger, die sich normalerweise immer samstags trifft, um Neuwied von Müll zu befreien oder um Bäume zu pflanzen. Diesmal ist ihre Aufgabe eine größere.

Rasch hatten sich 23 Helfer, darunter auch zahlreiche syrische Migranten der Neuwieder Eirene, gemeldet. Der internationale christliche Friedensdienst fördert Integration und gesellschaftlichen Zusammenhalt. „Blauäugig wie wir sind, dachten wir: Vielleicht fahren wir nächstes Wochenende hin“, gibt Schölzel zu. Doch schon an besagtem Samstag steht fest: Am Sonntag darauf kann es losgehen.

„Wir sind um 10 Uhr mit mehreren Autos an der Heilig-Kreuz-Kirche losgefahren“, berichtet Martin Monzen, bevor Helfer Thorsten Dreistein-Faustmann ergänzt: „Es war Aufbruchstimmung, alle waren motiviert.“ Schippen, Eimer und Besen stapeln sich auf dem Anhänger genauso wie Essen und Trinken, Desinfektionsmittel und Toilettenpapier. „Bis zum Ortsschild war alles in Ordnung – danach war Armageddon“, beschreibt Monzen die unübersichtliche Verkehrssituation bei der Ankunft in Bad Neuenahr-Ahrweiler.

Die Neuwieder haben alle ein Ziel: Der Eichenweg – eine kleine Straße, die sich in unmittelbarer Nähe der Ahr ringförmig um eine Eiche windet. Doch der Weg dorthin ist schwierig: Zahllose Ahrbrücken sind gesperrt, insgesamt ist es sehr voll, die Truppe muss teils größere Umwege fahren. Sie verliert sich aus den Augen, parkt an unterschiedlichen Stellen. „Es lagen überall kaputte Autos und Bäume auf den Straßen“, schildert Dreistein-Faustmann. Schweres Gerät der Bundeswehr ist im Einsatz. Iyad Asfour erzählt, er hat in sein geparktes Auto einen Zettel gelegt, aus Angst, es könnte versehentlich zusammen mit den andern Trümmern abgeschleppt werden.

Einige Zeit vergeht, bis sich die Truppe im Eichenweg wieder trifft. „Ich wusste vier Stunden lang nicht, wo mein Sohn war“, sagt Schölzel. Alle packen an – sie schippen den Schlamm aus den Häusern und schaffen Mobiliar aus den nun unbewohnbaren Zimmern. „Draußen wuchs der Sperrmüllhaufen“, sagt Monzen. Nur kurz bleibt zwischendurch Zeit für eine kleine Stärkung an der selbst aufgebauten Verpflegungsstation.

Und dann war da noch der groß gewachsene, schlanke Mann in roter Latzhose, wie die Neuwieder ihn beschreiben. Im Chaos hatte er den Überblick, wo Leute gebraucht werden. Während Monzen und Schölzel der älteren Frau mit Hörgerät und ihrem Mann helfen, findet auch Thorsten Dreistein-Faustmann seine Aufgabe: Im bis ins Erdgeschoss überflutete Haus eines dänischen Ehepaars, das seit 40 Jahren dort lebt, räumt er auf.

Die Leute seien über die unkomplizierte Hilfe sehr dankbar, sagt er. „Sie waren im Tunnel, sie funktionierten.“ Auch ihm sei es so ergangen. „Solange man arbeitet, denkt man nicht darüber nach. Erst später beginnt es dann zu rattern.“

Und wie gehen die Helfer selbst mit den Bildern um, die sie im Eichenweg gesehen haben? „Man heult“, antwortet Martin Monzen knapp. Dreistein-Faustmann beschreibt: „Es ist ein sehr beklemmendes Gefühl.“ Auf der Heimfahrt erschweren zudem im Alltag sonst ganz banale Dinge die Rückkehr nach Neuwied: So ist der Diesel an der Tankstelle aus, da zahlreiche Einsatzfahrzeuge dort schon getankt haben. An der nächsten gibt es zwar Sprit, ohne Strom ist aber nur Barzahlung möglich.

Schließlich kommen die Neuwieder zu Hause an – mit dem Wissen, dass es in den Räumen an der Ahr noch eine Menge zu tun gibt. Thorsten Dreistein-Faustmann berichtet von großen Fragezeichen, die bei Abfahrt in den Augen der Ehepaare standen, denen sie geholfen hatten. Wie geht es weiter? „Wir haben uns Hausaufgaben gegeben“, sagt Monzen. Also: Schon am Folgetag kommen einige der Neuwieder Helfer zurück in den Eichenweg und machen dort weiter, wo sie am Vortag aufgehört hatten. „Die waren baff“, erinnert sich Dreistein-Faustmann an die Reaktion des dänischen Paares, als er erneut vor deren Tür stand.

Nun stehen auch organisatorische Dinge an, wie Monzen und Schölzel schildern: Wo sind wichtige Unterlagen wie Bankkarten und Personalausweis? Sie rufen Hausrats- und Autoversicherung an. „Ihr seid da drüben schon fast zu Hause“, sagt Tina Monzen zu ihrem Mann augenzwinkernd. Sie hat inzwischen über einen Facebook-Aufruf zahlreiche Werkzeuge für die Neuwieder Helfer gesammelt. Am Sonntag wollen sie wieder ins Ahrtal fahren und anpacken – auch bei der Senioren, die ein neues Hörgerät braucht.

Von unserem Redakteur Markus Kilian