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Neuwied

Neue RZ-Serie 75 Jahre nach dem Ende der Naziherrschaft: Stolpersteine geben den Toten ihre Namen wieder

Von Ulf Steffenfauseweh
Rolf Wüst (links) und seine Mitstreiter vom DIF haben mittlerweile fast 300 Stolpersteine in Neuwied verlegt. Sie wollen den Opfern des Holocaust Ihren Namen zurückgeben. Die Aktion soll in der heutigen Zeit aber auch eine Mahnung für Toleranz sein.
Rolf Wüst (links) und seine Mitstreiter vom DIF haben mittlerweile fast 300 Stolpersteine in Neuwied verlegt. Sie wollen den Opfern des Holocaust Ihren Namen zurückgeben. Die Aktion soll in der heutigen Zeit aber auch eine Mahnung für Toleranz sein. Foto: Jörg Niebergall (Archiv)

75 Jahre ist es her, dass die Alliierten die Schreckensherrschaft der Nazis beendeten. Zwischen dem 23. Juli 1944 und dem 9. Mai 1945 befreiten hauptsächlich Rote Armee und US-Truppen die Konzentrations- und Vernichtungslager der Deutschen. Für rund 6 Millionen Menschen kam das jedoch zu spät. Und unter den Opfern des Holocaust waren auch zahlreiche Neuwieder.

Lesezeit: 3 Minuten
Doch wer waren sie? Ihnen zumindest ihre Namen wieder zu geben, ist Ziel des Deutsch-Israelischen Freundeskreises (DIF). Zum 25-jährigen Jubiläum 2003 beschlossen die Mitglieder auf Anregung von Charlotte Fichtl-Hilgers, sich an dem „Stolpersteine“-Projekt des Kölner Künstlers Gunter Demnig zu beteiligen. Unter Federführung von Rolf Wüst hat die Aktion in Neuwied seitdem ...
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Verschleppt, getrennt und ermordet: Ein Schicksal aus Neuwied

In einer neuen RZ-Serie erzählt Rolf Wüst (DIF) von den menschlichen Schicksalen hinter den Namen auf den verschiedenen Stolpersteinen. Für den Auftakt hat er die Lebensgeschichte der Familie Bodenheimer ausgewählt, die zwei Mitglieder im Vernichtungslager Auschwitz verlor. Kurt Bodenheimer wurde nur 15 Jahre alt.

Viele jüdischen Familien in Neuwied gehörten dem gewerblichen Mittelstand an. Darunter waren auch die Bodenheimers, die ein Bekleidungsgeschäft an der Ecke Mittelstraße/Kirchstraße führten. Schaufensterdekorateur Sally Bodenheimer aus der Pfalz hatte Herta Moser geheiratet, deren Eltern das Geschäft in Neuwied gegründet hatten. Er galt als feinsinniger, künstlerisch begabter Mann. Gemeinsam hatten sie drei Kinder: Edith, Hilde und Kurt.

Im Zuge der Pogromnacht im November 1938 wurde Sally nach Dachau deportiert, kam aber noch im gleichen Monat wieder frei. Um nicht gegen geltende Verordnungen zu verstoßen, teilte er dann im Dezember der Gestapo mit, dass die Familie nach Amerika auswandern will. Im März 1939 jedoch schickte er seine Frau Herta und die Kinder nach Holland. Dort durchliefen Edith und Hilde mehrere Quarantäne-Stationen und fanden bei unterschiedlichen Familien Unterschlupf.

Nach dem Einmarsch der Nazis 1940 wurden die Kinder ins Sammellager Westerbork geschickt und nach Bergen-Belsen beziehungsweise Theresienstadt deportiert. In einem späteren Brief an Neuwieds Oberbürgermeister Schmelzer erinnerte sich Herta Bodenheimer an die schmerzhafte Trennung der Familie: „Fünf Jahre war ich von meinen Kindern getrennt. Im Jahre 1942 kamen mein Mann und ich nach Theresienstadt. Januar 1944 plötzlich kam ein Transport von Holland mit meiner Tochter, zehn Tage später die zwei Kleinen aus Bergen-Belsen.“

Die Wiedervereinigung war jedoch nicht von langer Dauer. Am 28. September 1944 deportierten die Nazis Vater Sally und den da 15-jährigen Kurt ins Vernichtungslager Auschwitz. Sie überlebten es nicht. „Weine nicht, Mama. Ich muss dann auch weinen und kann die Leute nicht bitten, mich hier zu lassen“, waren die letzten Worte, die Herta von ihrem Sohn hörte.

Auch ihr eigenes Flehen, die Familie nicht zu trennen, blieb ohne Erfolg. Als Tochter Hilde ebenfalls verschleppt werden sollte, schrieb sie erneut Briefe. Diesmal nahm man das Kind aus dem Transport. Mutter und Töchter überlebten, weil Herta Soldatenuniformen nähen konnte. Als sie im Mai 1945 befreit wurden, konnte sie aber zunächst wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes nicht zurück nach Neuwied. Ein Jahr später reisten die Frauen dann mit der Unterstützung ihres bereits in den USA lebenden Schwagers nach New York aus. Dort arbeitete sie als Näherin.

In hohem Alter schrieb sie im Oktober 1979 den bereits erwähnten Brief an OB Schmelzer: „Da ich nicht mehr die Jüngste bin, möchte ich zu gerne mit meinen Mädels noch einmal in die Stadt wo wir alle geboren sind“, notierte sie. Dieser Besuch fand dann 1980 im Rahmen eines städtischen Besuchsprogramms statt. Rolf Wüst

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