Plus
Kasbach-Ohlenberg

Kasbach als Refugium für DDR-Flüchtlinge: Neues Buch über den roten Doktor

Von Simone Wittig
Das Foto mit dem Blick auf Kasbach hat Autor Gerd Laudert im Juli 2018 während seiner zweiten Recherchetour vom linksrheinischen Ufer aus aufgenommen.
Das Foto mit dem Blick auf Kasbach hat Autor Gerd Laudert im Juli 2018 während seiner zweiten Recherchetour vom linksrheinischen Ufer aus aufgenommen. Foto: Gerd Laudert

Über seine Recherchen zum „Roten Doktor“ von Kasbach könnte Gerd Laudert ein eigenes Buch schreiben. Drei Jahre lang sammelte der bei Bacharach geborene und in Niedersachsen lebende Autor Informationen über den Arzt, Kommunisten und Antistalinisten Joseph Schölmerich, sprach mit Zeitzeugen und folgte seinen Spuren. Viele führten nach Kasbach, wo Schölmerich am 19. August 1913 geboren wurde und wo er in den späten 50er-Jahren ein Netzwerk und Refugium für Dissidenten und DDR-Flüchtlinge gründete.

Lesezeit: 3 Minuten
Schölmerich bot den Flüchtlingen die Möglichkeit, im Ort zu wohnen und zu arbeiten. Er etablierte einen Diskussions- und Arbeitskreis, der versuchte, die Opposition in der DDR zu unterstützen. Zu diesem „Kasbacher Kreis“ gehörten unter anderem Wolfgang Leonhard, Autor des Buches „Die Revolution entlässt ihre Kinder“ und ein Freund Schölmerichs, der ...
Möchten Sie diesen Artikel lesen?
Wählen Sie hier Ihren Zugang
  • 4 Wochen für nur 99 Cent testen
  • ab dem zweiten Monat 9,99 €
  • Zugriff auf alle Artikel
  • Newsletter, Podcasts und Videos
  • keine Mindestlaufzeit
  • monatlich kündbar
E-Paper und
  • 4 Wochen gratis testen
  • ab dem zweiten Monat 37,- €
  • Zugriff auf das E-Paper
  • Zugriff auf tausende Artikel
  • Newsletter, Podcasts und Videos
  • keine Mindestlaufzeit
  • monatlich kündbar
Bereits Abonnent?

Fragen? Wir helfen gerne weiter:
Telefonisch unter 0261/9836-2000 oder per E-Mail an: aboservice@rhein-zeitung.net

Oder finden Sie hier das passende Abo.

Anzeige

Nach Rückkehr aus russischem Arbeitslager begann die politische Arbeit im „Kasbacher Kreis“

Joseph Schölmerich kam 1932 als Medizinstudent in Bonn mit dem kommunistischen Widerstand in Verbindung. Als Röntgenarzt in Leipzig schloss er sich einem Widerstandsnetz an. Im August 1944 wurden er und weitere Genossen von der Gestapo verhaftet. Zahlreiche Weggefährten Schölmerichs wurden hingerichtet, er selbst kam mit einer Gefängnisstrafe davon.

Ab Oktober 1945 arbeitete er in der Zentralverwaltung für das Gesundheitswesen. Seit April 1946 war er KPD- und danach SED-Mitglied.

Im April 1949 wurde Schölmerich vorgeworfen, 1944 Gestapospitzel gewesen zu sein und nach 1945 für westliche Geheimdienste gearbeitet zu haben. In der Haftanstalt Berlin-Hohenschönhausen wurde er nach Lauderts Recherchen verhört und zeitweise gefoltert. Ende Mai 1950 verurteilte man ihn wegen Spionage und Sabotage zu 25 Jahren Zwangsarbeit in Workuta, einem „Besserungsarbeitslager“ im Norden Russlands. Dort wurde er im Sommer 1953 auch Zeuge des niedergeschlagenen Streiks der Gulag-Häftlinge. Im Dezember 1953 wurde er aufgrund einer Amnestie vorzeitig entlassen. Seit April 1954 war er mit der ebenfalls aus dem Lager heimgekehrten Journalistin Ursula Rumin verheiratet, die er während der Rückkehr in einem Auffanglager kennengelernt hatte.

In den späten 1950er Jahren initiierte Schölmerich in seiner Heimat den Kasbacher Kreis, der unter anderem die Zeitschrift „Der dritte Weg“ (1959–64) initiierte. Das Vorhaben, die antistalinistische Opposition in der DDR zu unterstützen, gelang nur in Ansätzen. 1971 publizierte der Autor Scholmer, inzwischen SPD-Mitglied, die erste von drei medizinkritischen Streitschriften mit radikalen gesundheitspolitischen Forderungen, daraufhin wurde er als „kommunistischer Propagandahetzer“ diffamiert.

Den politischen Kurswechsel und die gesellschaftspolitischen Veränderungen seit den späten 1960er-Jahren – Brandts Ostpolitik, die Studentenbewegung, die sich zunehmend artikulierende Opposition in der DDR – hat Schölmerich zum Teil noch publizistisch begleitet. Die politischen Umbrüche 1989 und 1990 nahm er nur noch eingeschränkt wahr. Ein 1987 erlittener Schlaganfall hatte eine Demenz verursacht. Schölmerich starb am 1. April 1995 in Bonn. Sein Weggefährte Hermann Weber, inzwischen ein renommierter DDR- und Kommunismusforscher, hielt die Grabrede.

Meistgelesene Artikel