In den beiden letzten Wochen der vorösterlichen Zeit gibt es ein Lied, einen Hymnus im Brevier, dem Gebetbuch der katholischen Priester und Ordensleute, mit einer Formulierung, an der man hängen bleibt. In diesem Lied über das Leiden Jesu am Kreuz wird eines der Folterinstrumente angesprochen dulci clavo – süße Nägel. Wenn man sich versucht vorzustellen, wie große, grobe Nägel die Haut, das Fleisch durchstoßen, dann kommt man doch wohl kaum auf diese Wortwahl: „süße Nägel“! Wie konnte der Dichter Venantius Fortunatus, auf den mehrere bis heute gesungene Lieder zurückgehen, diese Formulierung wählen?
Die Mutter des ersten christlichen Kaisers Konstantin, die heilige Helena, macht sich nach dem Jahr 313 auf den Weg nach Jerusalem, um möglichst viele Dinge zu suchen, die noch an das irdische Leben, an die Passion Jesu erinnern.
So berichten die Geschichtsschreiber jener Zeit davon, dass sie nicht nur den Balken des Kreuzes findet und nach Rom bringen lässt, sondern auch das Gewand Jesu, das ihm unter dem Kreuz abgenommen wird, findet und in ihre Lieblingsstadt Trier übertragen lässt, wo es seitdem verehrt wird.. Unter anderem findet Helena, so wird überliefert, auch die Nägel, mit denen Christus gekreuzigt wurde. Einen, so berichten mehrere Autoren dieser Zeit, lässt sie in einem Stirnreif oder Helm ihres Sohnes, einen anderen in Zaumzeug für die Pferde des Kaisers Konstantin einarbeiten.
Ein Zeitzeuge, der aus Trier stammende, spätere Bischof von Mailand, der hl. Ambrosius, geht in einer Predigt darauf ein und sagt: „Helena suchte die Nägel, mit denen der Herr ans Kreuz geheftet wurde, und fand sie.“ Er begründet die eben genannte Verwendung von zwei Nägeln, indem er erklärt: Der Nagel des Kreuzes Christi, der vom Kreuz aus die ganze Erde beherrscht, schmückt die Stirn des Kaisers.
„Mir Recht ruht der Nagel auf dem Haupt, damit dort, wo der Verstand thront, auch der Schutz herrsche … ein gerechtes Herrschen soll es sein, nicht ein ungerechtes Gebieten.“
Darum soll der Verstand des Kaisers von Jesus Christus geleitet werden. Die für uns zunächst wahrscheinlich befremdliche Verwendung im Zaumzeug der Pferde des Kaisers soll ihn nach Ambrosius an den Psalm 32 erinnern, wo es heißt: „Werdet nicht, wie Ross und Maultier, die ohne Verstand sind. Mit Zaum und Zügel muss man ihr Ungestüm bändigen.“
Wer die Zügel in der Hand hält, soll sich selbst die „Zügel der Gottesfurcht und des Glaubens“ anlegen. Wenn das auf die Machthaber in der Welt heute zutreffen würde, sähe vermutlich manches in der Welt besser aus.
Mit den Nägeln der Kreuzigung hat Gott sich im wahrsten Sinne des Wortes auf seine Liebe zu uns festnageln lassen. Er schlägt nicht drein – selbst wenn wir es wünschen würden. Seine durchgehaltene Liebe hat dann Ostern alle Bosheit sich zu Tode laufen lassen und so den Sieg davon getragen. Das ist auch heute unsere Hoffnung.
Die Bombardierung von Dresden am Ende des Zweiten Weltkrieges war auch ein Racheakt für die deutsche Bombardierung der englischen Stadt Coventry. In der dort zerstörten Kathedrale hat man große Nägel gefunden, aus denen ein Kreuz gestaltet wurde. Täglich wird vor diesem mahnenden Zeichen um den Frieden gebetet. Dieses Gebet ist von der Bitte durchzogen: Vater vergib! Wenn wir im Alltag uns bemühen, Liebe durchzuhalten und einander Vergebung schenken, so wie Gott uns vergibt, dann können wir wenigstens im Kleinen einen Beitrag leisten, dass der österliche Friede Wirklichkeit wird und doch Freude einkehren kann.