Siegen

Erst Abitur, jetzt Studium: Junger Syrer ist gut in Siegen integriert

„Deutsch lernen, zur Schule gehen und Anschluss finden – das war für mich das Wichtigste nach unserer Ankunft in Deutschland“, erzählt Ahmad Alhaj Jnaid. Der junge Syrer ist 23 Jahre alt und vor sieben Jahren mit seinen Eltern und seinen drei jüngeren Geschwistern vor dem Bürgerkrieg geflüchtet und nach Deutschland gekommen. „Das deutsche Bildungssystem ist nicht einfach, insbesondere für jemanden, der die Sprache noch nicht so gut kann“, so Ahmad weiter. Aber er hat es geschafft.

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Er lernte schnell Deutsch, bekam eine Empfehlung für das Gymnasium und machte 2019 am Evangelischen Gymnasium in Siegen-Weidenau sein Abitur. Heute studiert er „Digital Medical Technology“ an der Universität in Siegen. Seine drei jüngeren Geschwister gehen noch zur Schule. Für sie wünscht er sich ebenfalls einen guten Abschluss.

Um sie bestmöglich zu unterstützen, beteiligt Ahmad sich am Modellprojekt „Eltern mischen mit – Mitwirken heißt verändern!“ des Elternnetzwerks NRW. Das Projekt wird vom Ministerium für Schule und Bildung und dem Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes NRW gefördert und hier vor Ort vom Kommunalen Integrationszentrum (KI) des Kreises Siegen-Wittgenstein durchgeführt, teilt der Kreis mit.

Vielfalt ist an deutschen Kindergärten und Schulen selbstverständlich. In den verschiedenen Gremien des Bildungssystems, etwa Elternräten und Schulpflegschaften, sind Eltern mit Einwanderungsgeschichte jedoch unterrepräsentiert. Dabei ist es umso wichtiger, dass auch diese am Bildungsgeschehen teilnehmen, denn aktive Eltern leisten einen zentralen Beitrag zum Bildungserfolg ihrer Kinder.

An dieser Stelle setzt das Projekt „Eltern mischen mit – Mitwirken heißt verändern!“ an. Ziel des Projektes ist es, Eltern mit Einwanderungsgeschichte zu ermutigen, sich gegenseitig zu helfen und sich für den Bildungserfolg ihrer Kinder einzusetzen. Qualifizierte Elternmoderatoren mit Einwanderungsgeschichte aktivieren, motivieren und stärken andere Eltern mit Einwanderungsgeschichte, sich in den Mitwirkungsorganen von Kindertagesstätten und Schulen zu engagieren.

In der theoretischen Ausbildung lernen die Eltern und Erziehungsberechtigten alles Wichtige über deutsche Schulformen, das Bildungssystem in NRW sowie über ihre Rechte und Mitwirkungsmöglichkeiten. Danach folgt die Praxisphase, in der die angehenden Elternmoderatoren ihr Wissen eigenständig an andere weitergeben sollen.

„Die Schullaufbahn in Syrien ist ja ganz anders aufgebaut – man geht für sechs Jahre zur Grundschule. Vielerorts gehen Jungen und Mädchen danach sogar getrennt zur Schule“, erzählt Ahmad. Für ihn ist es wichtig, die Schullaufbahn seiner jüngeren Geschwister zu begleiten und mitzugestalten. Seine Eltern nehmen gerade am Bundesfreiwilligendienst teil – die Sprache ist für sie eine sehr viel größere Hürde als für ihn und seine Geschwister. Deswegen kümmert er sich zu Hause um viele organisatorische Sachen und erledigt Behördengänge.

Grund-, Haupt- und Realschule – seine drei Geschwister gehen alle auf unterschiedliche Schulen. „Ohne erklärende Hilfe ist es sehr schwer, die Unterschiede zu verstehen und zu entscheiden, was das Beste für die Zukunft meiner Geschwister ist. Da war das Projekt vom KI sehr hilfreich, und ich bin froh, dass ich mit meinem Wissen jetzt auch anderen helfen kann, obwohl ich noch gar nicht selber Papa bin“, so Ahmad.

Fast ein Drittel aller Schüler an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen in Deutschland hat laut Statistischem Bundesamt einen Migrationshintergrund. „Alle Eltern, ungeachtet der Herkunft, haben eines gemeinsam: Sie wollen immer das Beste für ihre Kinder. Deshalb ist es so wichtig, dass erfahrene zugewanderte Eltern ihr Wissen weitergeben und die neu Zugewanderten unterstützen“, so Karina Barbera, Projektkoordinatorin und Mitarbeiterin beim KI des Kreises.

Sie betreut das Projekt von Anfang an und sieht schon nach kürzester Zeit tolle Entwicklungen. „Während der Coachings sind Freundschaften und Netzwerke entstanden. Die Teilnehmenden arbeiten in Tandems und unterstützen sich gegenseitig“, so Barbera.

Vier Schulungen sind für die erste Phase der theoretischen Ausbildung nötig, die Auftaktveranstaltung fand schon Anfang letzten Jahres statt. Vieles davon musste aufgrund der Corona-Pandemie online durchgeführt werden. Einige Veranstaltungen konnten aber in Präsenz stattfinden. Zum Abschluss der Praxisphase ist eine Zertifizierung der 14 Teilnehmenden aus Siegen-Wittgenstein vom Ministerium in Düsseldorf geplant.

Ahmad hat sich nach dem Theorieteil mit zwei Gruppenteilnehmerinnen zusammengetan und befreundete Eltern zu einem Workshop eingeladen. Eine Kita hat die Räume zur Verfügung gestellt. Die ersten Veranstaltungen wurden gut angenommen, erzählt Ahmad: „Ich war sehr nervös, das erste Mal als Coach vorne zu stehen und selbst Fragen zu beantworten. Aber es ist ein schönes Gefühl zu sehen, wie man anderen bei den gleichen Problemen, die man selbst hatte, weiterhelfen kann.“