Die Motivation von Andrea Wegener, sich für andere Menschen zu engagieren, liegt nicht zuletzt in ihrem christlichen Glauben begründet. Und natürlich spielt da auch Weihnachten für sie eine große Rolle. In den vergangenen zwei Jahren hat sie das Fest in Moria verbracht, an jenem Ort, „wo die Welt schreit“, wie es im Titel ihres 2019 erschienenen Buches heißt. Im RZ-Interview im September gab sie offen zu, dass sie angesichts des Elends, das sie erlebt, mit Gott schon mal ins Gericht gehe und frage: Warum lässt Du das zu? „Aber“, so fügte sie damals hinzu, „ich vertraue fest darauf, dass er, Gott, immer über allem steht, meine Sicht weitet und auf das lenkt, was gut ist. Denn selbst an einem Ort wie Moria gibt es viel Liebe, zeigt sich immer wieder Mitmenschlichkeit.“
Solche Augenblicke, erzählt Andrea Wegener im Telefongespräch mit unserer Zeitung, habe sie stets gerade zu Weihnachten erlebt, wenn sie mit den anderen Helfern gespendete Päckchen verteilen und zum Dank in strahlende Kinderaugen blicken durfte. Auch in diesem Jahr ist unter der Regie der Hilfsorganisation Gain ein Lkw mit rund 1900 liebevoll selbst verpackten Schuhkartons angekommen. „Diesmal war es aber so, dass die Eltern die Päckchen ihren Kindern selbst überreichen und das Lächeln ernten. Das ist auch besser so“, sagt Wegener. Und so gab es auch diesmal wieder einige rührende Momente, „wenngleich die allermeisten Menschen natürlich im Camp Muslime sind und Weihnachten für sie folglich nicht die ganz große Bedeutung hat“.
Anders sieht es bei Andrea Wegener und ihren Mitarbeitern aus. In den vergangenen Jahren habe man für alle Helfer (Übersetzer, Bauhelfer, Schulassistentinnen und ihre Familien) immer eine kleine Feier außerhalb des Camps organisiert. Doch weil für das Camp ebenfalls ein Lockdown verhängt wurde, sei das diesmal nicht möglich. Stattdessen werde man nun an zwei Abenden ein Abendessen und Geschenke organisieren.
„Ansonsten“, sagt Andrea Wegener, „ist Weihnachten für uns ein ganz normaler Arbeitstag, nur dass der Unterricht am ersten Feiertag ausfällt. Ich werde den Tag wohl auch im Camp verbringen, und das ist okay. Wir haben gerade große Bauprojekte und siedeln die Menschen innerhalb des Camps um, damit endlich Elektroleitungen und Abwasserrohre gelegt werden können, und das sollte nicht unterbrochen werden. Wir werden für den Weihnachtsmittag ein gutes griechisches Essen bestellen und es dann mehr oder weniger im Vorbeigehen essen; es gibt ja ohnehin keine Räume, in denen wir uns aufhalten könnten.“
Moria, das abgebrannte Camp, hat Andrea Wegener seit ihrer Rückkehr auf Lesbos nicht wieder gesehen, dafür aber ihr Team und viele lieb gewonnene Menschen, die sie von Moria kannte. Auch wenn sie in Mavrovouni nun vielfach die alten Probleme erwarten, ist Andrea Wegener froh, wieder dort zu sein – in der Hoffnung, zumindest an kleinen Stellen etwas bewirken zu können. Daniel Weber
In ihrem Blog „Notizen vom Rande Europas“ schreibt Andrea Wegener in losen Abständen über ihre Arbeit und ihre Erlebnisse in den griechischen Flüchtlingscamps: www. andreasnotizen.jimdofree.com. Beiträge daraus sind im September 2019 auch im Buch „Wo die Welt schreit“ im Fontis-Verlag erschienen.