Kreis Ahrweiler

Zwischen Verarbeitung und Aufbruch: Was macht die Flutkatastrophe aus uns?

Mayschoß, ein Dorf in Schutt und Asche. Wie wird es in zehn Jahren aussehen? Auch der Neuaufbau wird Opfer von den Menschen verlangen.
Mayschoß, ein Dorf in Schutt und Asche. Wie wird es in zehn Jahren aussehen? Auch der Neuaufbau wird Opfer von den Menschen verlangen. Foto: Christian Koniecki

Uli Adams, unser Redaktionsleiter in Bad Neuenahr, blickt auf das Ahrtal, auf die katastrophalen Folgen der Flut und auf die Menschen dort. Er fragt: „Was macht die Flutkatastrophe aus uns?“

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Der Albtraum will nicht enden. 17 Tage nach der Flutkatastrophe bewegen wir uns immer noch unter kriegsähnlichen Umständen. Das Ahrtal ist ein Tal der Verwüstung und Zerstörung. Wenn man Lebensumstände an Strom, Wasser und Telekommunikation fest macht, kann man schon eine leichte Verbesserung feststellen. Und auch Obdachlosigkeit scheint für den Moment nicht ein herausragendes Problem, weil viele, die Haus oder Wohnung verloren haben, bei Freunden, Verwandten, bei Nachbarn und in Ferienwohnungen und Hotels in der gesamten Region untergekommen sind. Spätestens dort, in der stillen Kammer, auf dem fremden Bett oder der zur Verfügung gestellten Couch und nach einem Tag im Staub und Dreck zwischen Müllhaufen, zerstörten Häusern und kaputten Straßen, dreht sich bei fast jedem der mehr als 30.000 Betroffenen das Fragenkarussell: Was hat diese Katastrophe mit uns gemacht? Was macht sie noch mit uns? Wie geht es weiter mit unserem Leben im Ahrtal?

Wir müssen uns an kaputte Häuser, kaputte, Straßen, zerstörte Sportstätten, vom Wasser schwer beschädigte Schulen, Kindergärten, Sporthallen und Versammlungsorte gewöhnen, die über Monate von Schuld bis Sinzig wohl nicht benutzt werden können. Über Jahre wird das, was man Infrastruktur nennt und ein Stück unseres Wohlstandslebens war, bestenfalls fragiles Provisorium bleiben. An notdürftig geflickten Straßen, an Umgehungen an jeder Ecke, an Umwegen in und außerhalb der Dörfer und der Kreisstadt führt kein Weg vorbei. Und in jedem Weg, den wir gehen und fahren, steckt die Erinnerung an die Flutnacht vom 14. auf den 15. Juli und die Menschen, die hier lebten. Darauf müssen wir uns einstellen – gefasst sein. Aber wir wissen auch, dass das vorübergeht. Jeden Monat, jedes Jahr kommt ein Stück von dem zurück, was wir kannten. Vielleicht auch noch ein bisschen schneller und schöner. Wir haben eine Perspektive.

Aber bleibt überhaupt alles so, wie es war? Gewiss nicht, das Tal wird sich verändern. Wir dürfen Sünden der Vergangenheit nicht noch einmal begehen. Und wir müssen bereit sein, über alles nachzudenken. Vom Staudamm oder gewaltigen Regenrückhaltebecken an der Oberahr bis hin zur Aufgabe von Wohngebieten in den Dörfern und Städten darunter. Diese Katastrophe darf sich nicht wiederholen.

Allein schaffen wir das nicht. Wir brauchen den Staat, die Republik, um den Wiederaufbau zu stemmen. Einen Wiederaufbaustab will deshalb Innenminister Lewentz ins Leben rufen. Mindestens acht Milliarden Euro wird dieser Aufbau der öffentlichen Infrastruktur kosten, hat er gesagt. Und dabei hat er die privaten Schäden noch nicht einmal eingerechnet. Aber wenn dieser Wiederaufbaustab kommt, dann nicht ohne unsere Beteiligung! Im Gremium müssen Menschen aus dem Tal sitzen und unsere Interessen vertreten. Um Forderungen und Wünsche der Bevölkerung zu formulieren, muss man kein Statiker oder Ingenieur sein. Wir müssen unsere Heimat am Ende auch wiedererkennen. Bitte keine Großkopferten, die über unsere Köpfe hinwegentscheiden und mit großen Plänen uns überrollen und die Details überlassen!

Die Ereignisse seit der Katastrophe haben uns gelehrt, dass Vieles gut gemeint, aber schlecht gemacht wurde, was von den übergeordneten Behörden kam. Auch aus dem Hauptquartier des Krisenstabes, der oberhalb von Ahrweiler sitzt. Ein Krisenstab, der über Tage mehr damit beschäftigt schien, sich selbst zu organisieren. Ein Krisenmanagement vom Reißbrett, ohne Ortskenntnis, ohne die wirklichen Bedürfnisse der Menschen zu kennen – so kam es einem vor. Und dies bestätigen auch viele Bürgermeister und Ortsvorsteher im Tal, die viele Tage verzweifelt auf Unterstützung gewartet haben.

Nein, es war längst nicht alles falsch, was entschieden wurde. Es ist beachtlich, was nach 17 Tagen auch mithilfe des Krisenstabes geschafft wurde. Aber das Gefühl, alles ging und geht zu langsam, alles geht zu bürokratisch und behäbig, das wird man nicht los.

Schneller waren da in vielen Dingen die freiwilligen Helfer, die zu Tausenden ins Tal gedrängt haben. Aber auch dabei fehlte die Ordnung, kam es zum Zusammenbruch der Rettungskette. Dabei hatte die Presse den Krisenstab schon früh gefragt, ob es eine Koordinierungsstelle für die Freiwilligen gibt. Mit einem Kopfschütteln wurde die Anfrage beantwortet. Erst Tage später wurde der Zustrom organisiert, und am Ende macht es mit Marc Ulrich, ein Freiwilliger aus Bad Neuenahr-Ahr. Der Marketingfachmann und grandiose Organisator schickt immer noch viele Tausend freiwillige Helder zielgerichtet ins Tal, dahin, wo die Menschen gebraucht werden. Danke, Marc!

Die Helfer haben den Opfern aber auch viel abverlangt. Sie haben sie in ihre privatesten Räume, in ihren Intimbereich hineingelassen, als sie in Schlafzimmern und der Wäsche gewühlt haben, um sie zu entsorgen. Momente der Würdelosigkeit, die man in dieser Situation einfach akzeptieren musste. Auch das wird allen, die die Flut getroffen hat, erst so langsam wieder bewusst. Aber hatten sie eine Wahl, mussten sie nicht blind vertrauen, um im häuslichen Chaos im Schlamm und Dreck eine Ordnung zu finden?

Und was kommt jetzt, wie geht es weiter? Machen wir uns nichts vor, das öffentliche Interesse, die Bilder auf allen Kanälen, die die Katastrophe von der Ahr abbilden und nicht annähernd wiedergeben können, werden weniger. Ein Heizkraftwerk, das in Leverkusen in die Luft geflogen ist und schrecklicherweise fünf Tote forderte, hat die Ahrkatastrophe bereits vom Platz eins der Gruselbilder in den Nachrichten überholt.

Und wir dürfen nicht vergessen: Das Ahrtal war in den vergangenen Tagen nicht der einzige Ort einer Naturkatastrophe, die von Menschenhand mitverursacht wurde. Die Stadt Hagen und der Erftkreis, die Moselregion, Berchtesgaden: Überall Wassermassen, Zerstörung, Tote. Wir hatten und haben große Aufmerksamkeit, was sich auch in den vielen Millionen Euro an Spenden für Flutopfer aus ganz Deutschland widerspiegelt. Geld, das aber Allen gehört, die in diesen Tagen in Deutschland Schmerz und Leid durch Unwetter erleben.

Aber wie gehen wir mit jenen Millionen um, die zielgerichtet ins Ahrtal kommen. Wo kommen sie hin? Wer verteilt sie? Wer bestimmt, wer, was bekommt? Geht es nach dem Motto: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst? Es gibt die ersten Debatten in den Dörfern, wem denn was zustehe, wenn es denn was zu verteilen gibt. Und dürfen die, die ja gut versichert sind, überhaupt aus dem Spendentopf bedient werden? Dieses Geld hat das Potenzial, die Menschen zu spalten, Dorfgemeinschaften auseinanderzudividieren, wo der Zusammenhalt in den vergangenen 17 Tagen noch nie so groß war.

Denn bei allem finanziellen Schaden steht doch das menschliche Leid im Vordergrund. Wir dürfen die vielen Menschen nicht vergessen, die vielleicht ihr ganzes restliche Leben traumatisiert bleiben. Auf Dächern, in überfluteten Häusern und Wohnungen haben sie ums Überleben gekämpft, sind von der Flut mitgerissen worden und konnten sich irgendwie doch noch in Sicherheit bringen. Das Leben vieler Menschen, die Zukunftspläne geschmiedet hatten, ist nur noch ein Leben von Tag zu Tag.

Und wir dürfen die sicher mehr als 135 Todesopfer nicht vergessen, die der Tsunami an der Ahr gekostet hat. Die Erinnerung an den Vater, der noch rasch im Keller was retten wollte, und die Tür fiel zu, und er war eingeschlossen. Die Erinnerung an die junge Frau, die in ihrem Auto in der Tiefgarage ertrank, weil sie glaubte, dort sicher zu sein. An die Mutter, die ihre kleine Tochter nicht mehr an der Hand festhalten konnte und mit ansehen musste, wie es von den Fluten weggerissen wurde. Und die Erinnerung an die zwölf Behinderten im Lebenshilfehaus in Sinzig, deren Hilfeschreie keiner erhören konnte, weil das Wasser immer weiter stieg. Erinnerung ist ein wichtiger Schritt, wenn es darum geht, das Ahrtal mit Verantwortung wieder aufzubauen.