Bad Neuenahr-Ahrweiler

Viele Schulen im Ahrtal von der Flut betroffen: Was wird nach den Ferien?

Von Gisela Kirschstein, Angela Kauer-Schöneich
Zerstörte Bildungslandschaft Foto: Hagen Hoppe

Um genau 5 vor 12 Uhr blieb die Uhr in der Boeselager Realschule plus in Ahrweiler stehen – um Mitternacht hatte die verheerende Flut vom 14. Juli das Gebäude fest im Griff. Bis zu acht, neun Meter hoch stieg die Ahr in jener Nacht, in den Fluten versanken nicht nur Häuser und Geschäfte, sondern auch Schulen: „Wir müssen damit rechnen, dass bei 14 Schulen der Unterricht nach den Sommerferien nicht begonnen werden kann“, sagt Raimund Leibold, Schulabteilungsleiter bei der Dienstaufsicht ADD in Trier.

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7000 Schüler haben damit nach den Ferien erst einmal keine schulische Bleibe mehr, betroffen sind alle Schularten: fünf Grundschulen, vier Realschulen plus, zwei Gymnasien, zwei Förderschulen sowie eine Berufsbildende Schule setzten die Fluten zum Teil meterhoch unter Wasser. Welche Schäden Schlamm und Wasser verursachten, ist noch völlig unklar: „Viele Gebäude konnten noch gar nicht in Augenschein genommen werden“, sagt Leibold.

Eines zumindest ist schon jetzt klar: Unterricht wird in den Gebäuden in gerade einmal fünf Wochen, wenn die Sommerferien vorbei sind, nicht stattfinden können. Trotzdem strahlt Leibold beim Gespräch mit unserer Zeitung Optimismus aus: „Wir suchen mithilfe von anderen Schulen in der Region eine Bleibe für die Klassen aus dem Ahrtal“, sagt er und verkündet: „Wir hätten jetzt schon Räume, alle Klassen unterzubringen.“ Viele Schulen aus dem Umfeld hätten freie Räume angeboten, spezielle Fachräume etwa, die nicht permanent benutzt werden, sodass dort Gastklassen unterkommen könnten. Schon jetzt ist laut Leibold gesichert: „Die Klassen kommen unter.“

Der Begriff „Umfeld“ ist dabei durchaus großzügig ausgelegt: Die Gastschulen könnten in Sinzig sein, aber auch in Linz auf der anderen Rheinseite – bei den großen Schülern vor allem der Berufsbildenden Schule denke man aber auch in einem Umkreis bis nach Bonn und Nordrhein-Westfalen generell. „Wir müssen da vielleicht gut 20 Kilometer in Kauf nehmen, damit die verschiedenen Bildungsgänge unterkommen“, sagt Leibold. Aber schließlich handele es sich hier auch schon um ältere Schüler, die ohnehin „einen größeren Radius“ hätten.

Kinder möglichst in ihren gewohnten Gemeinschaften belassen

Vor allem bei den anderen Schulen lautet das Ziel der ADD indes: Mindestens die Klassen zusammenhalten. Das Ziel sei, die Kinder nach den Ferien möglichst in ihrer gewohnten Gemeinschaft mit den gewohnten Lehrern zu lassen, betont Leibold. Derzeit sieht es so aus, als könne man sogar die Jahrgangsstufen zusammenhalten. Wie das genau gehen soll, ist aber noch weitgehend unklar: Bislang hätten die Schulleitungen „bei Weitem nicht alle Schüler erreicht“, räumt Leibold ein. Die Kommunikation im Ahrtal ist „ganz schwierig“, nicht bei allen Eltern und Kindern weiß man, wo sie untergekommen sind. Die Schulen haben auf ihren Internetseiten Kontaktmöglichkeiten gepostet, aber nicht alle haben sich bisher zurückgemeldet. „An manchen Stellen kommt man gar nicht mehr an die Nummern der Eltern, die waren ja im Sekretariat“, sagte Leibold.

Nach Lösungen vor Ort suchen auch die Schulträger. So berichtet zum Beispiel Andreas Geron, Bürgermeister der Stadt Sinzig: „Auch unsere Realschule plus wurde überflutet. Die Flutschäden erstrecken sich auf das Keller- und Erdgeschoss.“ Die Räume in den oberen Geschossen seien glücklicherweise nicht in Mitleidenschaft gezogen worden. Geron hofft deshalb, dass dort nach den Ferien Unterricht stattfinden kann. Derzeit lasse er zudem mit Hochdruck prüfen, ob Schulcontainer auf dem Schulhofgelände platziert werden könnten. „Unsere Kinder wurden schon durch die Pandemie gebeutelt. Ein zentrales Ziel meiner Tätigkeit wird es nun sein, den Schulbetrieb zu gewährleisten“, sagt Geron. Die Menschen im Ahrtal seien bereit zum Wiederaufbau. „Es ist unsere geliebte Heimat. Aber wir benötigen dringend die massive finanzielle Unterstützung unseres Landes Rheinland-Pfalz und des Bundes. Schnell. Schon für das kommende Schuljahr.“

Immerhin: Landesbildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) war schon im Katastrophengebiet, am Donnerstag will sie sich erneut ein Bild der Lage machen. Zu tun gibt es genug: In den Fluten versanken auch Mobiliar, Tafeln, Unterlagen, Bücher und Schulcomputer – und manch ein Zeugnis: Die Zeugnisausgabe sollte am Freitag, 16. Juli, erfolgen. Ob irgendwo Daten verloren gegangen sind, „da wird noch geschaut“, sagt ADD-Abteilungsleiter Leibold. Es gebe auch in diesem Bereich eine große Spendenbereitschaft: Aus dem ganzen Bundesgebiet werde Mobiliar angeboten oder Tafeln. Die ADD reserviert zudem jetzt bereits Leih-Laptops der Landesmedienzentren für betroffene Lehrer und Schüler, man rechnet mit mehr als 1000 benötigten Geräten.

Vor allem aber weiß die Schulbehörde nicht: Welches Kind wird nach den Ferien überhaupt noch im Raum Ahrweiler sein? Es gebe „erste Hinweise“ über „eine nicht unerhebliche Zahl, die weggezogen sind“, sagt Leibold. Manch eine Familie werde ihr Kind an einer neuen Schule anmelden, dort, wohin es eben die Familie verschlagen habe. Die Zahl der Kinder, die untergebracht werden müssen, werde deshalb noch sinken, glaubt Leibold. Und dann sind da ja noch die betroffenen Lehrer, manch einer wohne derzeit bei Kollegen.

Ein völlig normaler Unterricht wird es deshalb für die Flutklassen Ende August sicher nicht werden. „Wir brauchen vielleicht mehr Blockunterricht, um das effizienter zu gestalten“, sagt Leibold – und ja: Derzeit werde auch über Unterricht im Schichtbetrieb nachgedacht, um alle Klassen unterzubringen. „Zumindest für den Beginn“, sagt Leibold. Klarer sehen werde man ohnehin erst in der letzten Ferienwoche. Viele Eltern und Schüler, sagt er noch, „denken jetzt auch gerade erst mal gar nicht an Schule“. Gisela Kirschstein/Angela Kauer-Schöneich