Ahrtal
Trotz großen Engagements: Warum im Ahrtal noch Helfer fehlen
Marc Ulrich (rechts) im Gespräch mit Thomas Pütz. Die beiden Unternehmer aus Bad Neuenahr haben den Helfershuttle aufgebaut.
Hans-Jürgen Vollrath

Die Einweiser im Innovationspark in Ringen haben auch an diesem Samstag alle Hände voll zu tun, um die zahlreichen Autofahrer zu einem Parkplatz zu führen. An den Kennzeichen wird sichtbar: Die Helfer, die im Katastrophengebiet mit anpacken wollen und von dort per Shuttle ins Ahrtal gefahren werden, kommen von überallher. Ja, es sind viele – auch aus anderen Ländern, etwa aus Dänemark, Ghana, Mexiko, USA und den Niederlanden. Aber wenn es nach Marc Ulrich geht, der gemeinsam mit Thomas Pütz den privat organisierten Pendelverkehr in die Krisenregion eingerichtet hat, könnten es gern noch mehr sein. Denn es gibt noch so unglaublich viel zu tun.

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Tag 25 nach der tödlichen Flutwelle: Die Schlange von Menschen, die ins Ahrtal gebracht werden wollen, um zu helfen, ist an diesem Samstagmorgen schier unendlich. Am Wochenende ist die Zahl der Helfer immer größer als werktags, weiß Ulrich. Der Unternehmer hat eigentlich eine Marketingagentur in der Kreisstadt. Auch sie war von der Flutkatastrophe betroffen. Doch nachdem die tödliche Welle durchs Ahrtal gerollt war, wollte Ulrich nur eines: helfen. Deshalb baute er gemeinsam mit Thomas Pütz, ebenfalls Unternehmer in Bad Neuenahr-Ahrweiler, bereits am Sonntag nach der Flut den privaten Freiwilligentransport im Innovationspark auf. Ein zentraler Anlaufpunkt für alle, die im Krisengebiet helfen wollen. Und ein Angebot, das viele in Anspruch nehmen – vor allem am Wochenende. „Meist kommen mehr als 2000 Helfer, während es unter der Woche zwischen 1200 und 1500 sind“, sagt Ulrich. Insgesamt, so berichtet er, hat der Shuttleservice bisher rund 25.000 Personen ins Ahrtal befördert. Manchmal waren es mehr als 3000 an einem Tag. Und selbst Wind und Wetter können die Helfer nicht aufhalten. „Es ist fantastisch, selbst an einem verregneten Dienstag 1000 Leute zu sehen“, freut sich der Initiator des Helfershuttles. Manche bleiben gleich an Ort und Stelle, campen im Industriepark oder haben dort ihr Wohnmobil stehen – Ulrich zufolge sind dies bis zu 100 Menschen. „Sie haben ihren Urlaub genommen, um zu helfen“, sagt er und ergänzt: „Die Solidarität ist einzigartig.“ Zu Beginn der Initiative waren es gerade einmal um die 300 Freiwillige. „Diese Zahl hat sich in ein paar Tagen verzehnfacht. Damit hätte ich nicht gerechnet“, so Ulrich.

Trotz dieses großen Engagements freut er sich weiterhin über jede zusätzliche helfende Hand. „Wir können nicht genug Helfer kriegen“, betont er auch noch am Tag 25. Zwar ist das große Schlammräumen mittlerweile vorbei, das kleine Schlammräumen geht aber immer noch weiter. Hinzu kommen viele andere Aufgaben, etwa Putz abklopfen, Estrich rausstemmen oder auch Schutt abtragen, um nur einige Beispiele zu nennen. „Es gibt unglaublich viel zu tun, wir haben aktuell mehr Bedarf als wir Helfer haben. Es wird weiterhin jede Hand benötigt“, betont Ulrich. Deshalb ist er auch um jeden froh, der in den Innovationspark nach Ringen kommt, dort sein Auto abstellt und sich im Shuttle auf den Weg ins Ahrtal macht. „Das ist vollkommen unkompliziert. Man muss sich nicht vorab registrieren. Einfach vorbeikommen, dann wird man zugeteilt – und kann anpacken“, sagt Ulrich. Anders als mit dem privaten Pkw kommen die Helfer vom Innovationspark in den Shuttlebussen auch überall hin, wo sie gebraucht werden. „Die Busse haben eine ausdrückliche Genehmigung, überall reinzufahren“, betont der Initiator des privaten Shuttles. Die Flotte indes ist noch einmal größer geworden. Denn am Freitag hat die Initiative aus Niedersachsen gleich einen ganzen Linienbus geschenkt bekommen, wie Ulrich berichtet.

Mittlerweile haben die Betroffenen die Möglichkeit, ihren Bedarf zu melden. „So können wir die Helfer sehr gezielt einsetzen“, erläutert Ulrich. Seit Anfang der vergangenen Woche gibt es zusätzlich ein neues Angebot. Mit einem Winzershuttle will die Initiative die Ahr-Winzer unterstützen, die ebenfalls massiv von der Flutkatastrophe betroffen sind. „Bei vielen hängt das Kapital im Weinberg. Da muss es unbedingt weitergehen“, sagt Ulrich. Deshalb werden jetzt auch verstärkt versierte Helfer aus dem Weinbau gesucht. Auf der Internetseite der Initiative, Helfer-Shuttle.de, ist dafür eigens eine Rubrik eingerichtet worden. „Wer mit einer Laubschere umgehen und entlauben kann, ist herzlich eingeladen“, so Ulrich.

Derweil geht das Gewusel auf dem Gelände weiter, wo die Helfer mit allem versorgt werden. In einem Zelt zum Beispiel gibt es Gummistiefel in allen Größen, aber auch andere Dinge wie Sicherheitsjacken. Dort kommen immer wieder Helfer vorbei, um sich zu bedienen, bevor es losgeht ins Krisengebiet. Allein fertig werden mit dem, was sie dort erleben, müssen sie nicht. Denn Therapie und Seelsorge auf dem Gelände des Innovationsparks stehen stets abends nach dem Einsatz im Mittelpunkt. Und das ist auch vonnöten. „Da gibt es gestandene Männer, die gekommen sind, um zu helfen, mit Tränen in den Augen, nachdem sie das Ausmaß der Zerstörung gesehen haben. Das lässt keinen kalt“, weiß Ulrich. Trotzdem würden viele immer wiederkommen, weil sie selbst gesehen hätten, wie viel im Krisengebiet noch zu machen ist.

Das weiß auch Michael Klapper aus Köln vom Orgateam. „Wir sind gerade erst am Anfang“, meint er. Aktuell müssten die Häuser entkernt werden, berichtet Klapper. „Wir sind alle freiwillig und haben alle dasselbe Ziel: Dem Ahrtal zu dem verhelfen, was es war“, betont er. Und deswegen sei es auch so wichtig, dass noch mehr Helfer kommen würden, findet auch Klapper. Er war schon häufig bei diesen besonderen Abenden im Innovationspark nach dem Einsatz dabei. „Es ist wie ein riesengroßes Gartenfest“, beschreibt er die Atmosphäre – allerdings ohne Exzesse etwa durch erhöhten Alkoholkonsum. Darauf würde das Orgateam achten. Es gebe Gegrilltes und dazu Musik. Die sei aber leiser als die Stimmen, denn es gehe darum, dass die Helfer sich austauschen über das Erlebte – Selbsthilfe untereinander. „Es ist wichtig, dass die Leute sich aufgehoben fühlen“, sagt Klapper zu diesem Teil der Arbeit. Schließlich würden sie auch wichtige Arbeiten erledigen. „Allein mit privaten Firmen würde das gar nicht gehen“, sagt Klapper.

Voll des Lobes ist Marc Ulrich über das Orgateam. „Es wächst von Tag zu Tag und verselbstständigt sich“, sagt er über die rund 25 Menschen, die dem Team angehören. Etwaige Probleme wie das Loch im Wasserschlauch des WCs seien schon zehn Minuten später repariert, und keiner wüsste, wer das eigentlich erledigt habe, nennt Ulrich ein Beispiel für das große Engagement. „Alle sind motiviert für die Sache, und es ist toll zu erleben, dass sich jeder verantwortlich fühlt“, so Ulrich.

Wie lange es den privat organisierten Shuttle ins Krisengebiet geben wird, ist noch nicht abzusehen. „Wir fahren auf Sicht von Woche zu Woche. Und das ist ja auch davon abhängig, wie lang noch wie viele Helfer kommen“, sagt Marc Ulrich. Silke Müller

Wer helfen möchte, kann einfach zum Innovationspark nach Ringen kommen. Weitere Informationen über den Shuttleverkehr gibt es auch im Internet unter der Adresse www.helfer-shuttle.de

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