Kreis Ahrweiler

Straßen, Brücken, Wasser, Strom: Die zusammengebrochene Infrastruktur ist weiter das größte Problem

Von unseren Reportern
Ein Notfallseelsorger macht sich ein Bild von den Zerstörungen im Ortskern von Mayschoß. Die Bundesstraße Richtung Altenahr ist zerstört. Durch die Weinberge wird jetzt eine Behelfsstraße gebaut.
Ein Notfallseelsorger macht sich ein Bild von den Zerstörungen im Ortskern von Mayschoß. Die Bundesstraße Richtung Altenahr ist zerstört. Durch die Weinberge wird jetzt eine Behelfsstraße gebaut. Foto: dpa

Heute vor einer Woche kam der große Regen – und dann die große Flut. Eine Woche nach der Hochwasserkatastrophe herrscht entlang der Ahr immer noch der Ausnahmezustand. In vielen Orten gibt es keinen Strom und keine Wasserversorgung. Bei den Menschen liegen die Nerven blank. Die Bundesstraße zwischen Altenahr und Ahrweiler ist nur noch ein Flickenteppich und erschwert die Arbeit der Hilfskräfte. Immer neue bisher nicht vorstellbare Grausamkeiten werden Wirklichkeit.

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Von den Folgen des verheerenden Hochwassers sind rund 40.000 Menschen auf einer Strecke von Schuld bis Sinzig betroffen. „Eine ungeheure große Zahl von Menschen auf einer ungeheuren Fläche“, so der Leiter des Krisenstabes des Landes und Präsident der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD), Thomas Linnertz, am Dienstag in Bad Neuenahr-Ahrweiler. „So etwas haben wir noch nie erlebt. Das ist eine große Herausforderung.“

Die Polizei zählte zuletzt im Kreis 117 Tote, 749 Verletzte sowie 170 Vermisste. Eine aktive Feuerwehrangehörige ist ebenfalls bei den Rettungsarbeiten an der Ahr ums Leben gekommen“, erklärt der Präsident des Landesfeuerwehrverbandes (LFV) Rheinland-Pfalz, Frank Hachemer. „Wir stehen an der Seite aller Betroffenen, vor allem der Angehörigen und der Feuerwehrkameradinnen und -kameraden der betroffenen Feuerwehr“, so der Präsident. „Wenn zusätzlich zu den sowieso schon erschütternden Opferzahlen auch noch Rettungskräfte zu Schaden kommen, vertieft das die Betroffenheit umso mehr.“

Rund 2500 Kräfte sind im Hilfseinsatz, darunter 800 Soldaten der Bundeswehr, 200 Helfer des Technischen Hilfswerks und rund 800 Feuerwehrleute. Für die psychosoziale Notbetreuung seien um die 300 Menschen im Einsatz, sagte Linnertz. Die größten Probleme macht nach wie vor die Infrastruktur. In Rech hat die Bundeswehr eine erste Behelfsbrücke über die Ahr gebaut. Die St.-Nepomuk-Brücke wurde von den Fluten zerstört, tagelang konnte der südliche Teil des Dorfes nur über Waldwege angefahren werden. Seit dem Hochwasser waren die rund 590 Einwohner des Ortsteils über Boote und aus der Luft versorgt worden, so Generalleutnant Martin Schelleis bei der Presskonferenz.. Die neue Behelfsbrücke soll den Angaben zufolge ab heute Mittag befahren werden können.

Weil die B 257 an zahlreichen Stellen weggerissen wurde, wird für Mayschoß eine Behelfsstraße von der Grafschaft zum Weinort gebaut. Nach wie vor nur unzureichend ist auch das Mobilfunknetz in der besonders stark von der Hochwasserkatastrophe betroffenen Region. Der Katastrophenstab des Landes hat zwölf Satellitenschüsseln für die Bevölkerung aufgebaut. Die Zahl soll noch auf 35 Schüsseln gesteigert werden, so die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion Trier (ADD) auf Anfrage der RZ. Betroffene könnten sich dort einwählen und so einen Zugang zum Internet bekommen. Die Satellitenschüsseln sind laut ADD in der Nacht zum Dienstag bereits unter anderem in den Orten Dernau, Rech und Marienthal eingerichtet worden.

Zu den Berufsgruppen, die besonders hart betroffen sind, zählen die Winzer entlang der Ahr. Der historische Weinkeller der ältesten Winzergenossenschaft der Welt in Mayschoß ist eine einzige Schlammwüste. Die Front und der Vinothekenbereich sind nicht mehr wiederzuerkennen. Starke Schäden gibt es auch an den anderen Standorten. Diesel- und Erdölgestank liegen in der Luft.

Die Flut hat nicht nur hier gewütet, sondern auch die Dagernova Genossenschaft in Dernau und viele private Winzer sind von der Katastrophe stark betroffen. Doch eines konnte sie den Winzern nicht nehmen: die Solidarität. Sie halten jetzt zusammen.

Gestern haben sie sich getroffen und eine gemeinsame Strategie für die jetzt dringend notwendigen Laubarbeiten entworfen. Aus allen Gegenden hätten sich dafür bereits Helfer gemeldet, darunter viele Kollegen aus anderen Weinanbaugebieten, deren Einsatz von der Grafschaft aus dirigiert werden soll. „Es geht darum, den Jahrgang zu retten, der jetzt in den Weinbergen reift, und damit das Kapital für das nächste Jahr“, so Matthias Baltes, Geschäftsführer der Winzergenossenschaft Mayschoß. Er wartete gestern auch auf das Okay für den Einsatz des Spritzhubschraubers, der die Trauben an der Ahr in diesem Ausnahmejahr vor Pilzinfektionen schützen soll.

Vorher muss das Laub entfernt werden, damit der Pflanzenschutz die Trauben auch erreicht. „Und wenn es mit der Heckenschere gemacht wird“, so Baltes. Viele Winzer hätten mit der Flut jetzt dringend benötigte Arbeitsgeräte verloren und seien nun dringend auf Unterstützung angewiesen, damit der Weinbau im Tal überlebt. Eine konzertierte Aktion ist auch für die Lese im Herbst geplant. Hand in Hand will man die Ernte einbringen.

Landwirt Josef Schäfer aus Ehlingen hat zehn von 17 seiner schwarzen Galloway-Rinder durch die Fluten verloren, die in Ehlingen an der Ahr standen. „Die Tierkörperbeseitigungsstelle habe ich nicht erreichen können, jetzt transportiert sie die Stadt Sinzig ab, ein Piemonteser ist auch abgetrieben und der Kadaver in Bonn aufgetaucht, anhand der Ohrmarken haben sie ihn zuordnen können“, sagt Schäfer. Seine Kunden, die bei ihm Fleisch kaufen, kommen teilweise aus Bonn und Köln. „Sie wollten meine Kontonummer wissen, aber ich habe ihnen gesagt, sie sollen das Geld den Menschen an der Ahr spenden, die Familienangehörige und ihr ganzes Hab und Gut verloren haben – Vieh kann man ersetzen, ich habe zwar auch alles verloren, aber ich bin so oft auf die Knie gefallen und wieder aufgestanden, das schaffe ich auch dieses Mal wieder.“

Von unseren Reportern Uli Adams, Frieder Bluhm, Beate Au, Tim Saynisch, Christian Koniecki, Silke Müller, Nicolaj Meyer, Judith Schumacher, Gabi Geller, Jochen Tarrach, Petra Ochs, Uwe Sülflohn und Michael Stoll

Zeitungsleser in ganz Deutschland zeigen sich mit Rheinland-Pfalz solidarisch

Für die Opfer des Hochwassers solidarisieren sich Zeitungsleserinnen und -leser aus allen Regionen Deutschlands. Redaktion und Verlag der „Rhein-Zeitung“ sowie die Leseraktion HELFT UNS LEBEN fungieren dabei vielfach als Kontaktdrehscheibe beziehungsweise als späterer Abwickler konkreter Fördermaßnahmen.

So meldete sich beispielsweise am Dienstag die Redaktion der „Sächsischen Zeitung“ (SZ) aus Dresden. „Wir haben nicht vergessen, wie uns das Rheinland in den Stunden größter Not zur Seite stand, ob bei der Oderflut 1997 oder den Elbhochwassern 2003 und 2013. Deshalb spenden unsere Leserinnen und Leser jetzt sehr gern für die Flutopfer in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen.“ Olaf Kittel, Ombudsmann der SZ, überbrachte die gute Nachricht.

„Aktion Lichtblick“ nennt sich das sächsische Pendant zur RZ-Aktion HELFT UNS LEBEN. Übers Wochenende hatten die Sachsen bereits 128.000 Euro gesammelt. „Und das ist erst der Anfang“, sagt der ehemalige stellvertretende SZ-Chefredakteur erfreut. „Wir gehen davon aus, dass wir in die drei betroffenen Zeitungsregionen der ,Rhein-Zeitung' in Koblenz, der ,Aachener Volkszeitung' und der ,Westfalenpost' (Hagen) am Ende jeweils einen sechsstelligen Betrag überweisen können.“

Bei der „Rhein-Zeitung“ werden die Spendengelder aus Dresden HELFT UNS LEBEN zugeführt und sollen von dort in Absprachen mit den örtlichen Behörden an Betroffene weitergeleitet werden. Ähnliche Kooperationsmodelle sind auch mit der „Nordwest-Zeitung“ (Oldenburg), der „Wilhelmshavener Zeitung“, dem „Jeverschen Wochenblatt“, dem „Anzeiger für das Harlingerland“ und dem „Straubinger Tagblatt“ verabredet worden. Auch dort werden bereits überall Spenden gesammelt. Die Aktionen wurden mit Verweis auf die „Rhein-Zeitung“ auf den örtlichen Titelseiten und im Netz angekündigt. Bereits am Wochenende hatte die „Märkische Oderzeitung“ (Frankfurt an der Oder) eine Aktion gestartet (wir berichteten), von der unter anderem die zerstörte Einrichtung der Lebenshilfe in Sinzig profitieren soll.

Aber nicht nur die Aktionen der Zeitungen aus der gesamten Republik sorgen dafür, dass bei HELFT UNS LEBEN ein Spendenaufkommen in nie da gewesener Höhe eingeht. Auch die Leserinnen und Leser zeigen sich in einem Ausmaß solidarisch, die bei den Verantwortlichen große Dankbarkeit aufkommen lässt. Eine erste größere Bilanz soll am Mittwoch gezogen werden, die „Rhein-Zeitung“ wird berichten. „Wir sind überglücklich“, sagt Manuela Lewentz-Twer, Vorsitzende des Vereins. Das Spendenkonto (siehe nebenstehender Hinweis) ist weiterhin geöffnet.

Flutkatastrophe im Ahrtal
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