Sinzig

Sinzigs Bürgermeister Andreas Geron: „Es darf keine Denkverbote geben“

Von Judith Schumacher
Die Aufräumarbeiten in Sinzig sind in vollem Gange. Vor dem Stadtrat hat Bürgermeister Andreas Geron jetzt eine erste Bilanz gezogen. Es gibt viel zu tun. Unter anderem müssen die Stadtwerke (Foto) neu gebaut werden.
Die Aufräumarbeiten in Sinzig sind in vollem Gange. Vor dem Stadtrat hat Bürgermeister Andreas Geron jetzt eine erste Bilanz gezogen. Es gibt viel zu tun. Unter anderem müssen die Stadtwerke (Foto) neu gebaut werden. Foto: Judith Schumacher

Es ist eine schreckliche Bilanz, die Sinzigs Bürgermeister Andreas Geron in der Sondersitzung des Stadtrats nach der Flutkatastrophe in der Aula der Regenbogenschule am Montagabend zog: Tote, Verletzte, ein immenser Sachschaden.

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In der ersten Zusammenkunft nach der folgenschweren Nacht vom 14. auf den 15. Juni gedachten die Ratsmitglieder zunächst den Toten mit einer Schweigeminute. Allein im Stadtgebiet von Sinzig sind es nach bisherigen Erkenntnissen 14. „Wir trauern mit den Angehörigen und Freunden. Die Flut hat ganze Existenzen und Häuser zerstört und beschädigt, die Erfahrungen wird niemand je vergessen, unsere Generation wird für immer von dieser Flut geprägt sein“, sagte Geron.

Die Schäden an der kommunalen Infrastruktur bewegen sich allein im Stadtgebiet Sinzig in einem mittleren dreistelligen Millionenbereich. Er selbst habe mit gestandenen Einsatzkräften wie einem erfahrenen Bundeswehrsoldaten gesprochen, der angesichts der Folgen der Flut niedergeschmettert war und die Katastrophe als beispiellos bezeichnete. „Ich habe unzählige, unfassbar traurige Gespräche geführt“, so Geron. Und er zeigte sich entsetzt über Falschmeldungen, die verbreitet wurden, etwa dass die Rettungskräfte abgezogen würden. „Besonders dramatisch war die, dass eine neue Flutwelle kommt und die Menschen in Panik versetzt wurden – ich bin fassungslos über ein solches Verhalten“, äußerte sich der Bürgermeister. Sein Dank galt den Ersthelfern, sprich der Feuerwehr, die unter Einsatz ihres Lebens Menschen in größter Not gerettet haben und weit über physische und psychische Grenzen professionell gehandelt hätten. Aber auch den Mitarbeitern der Verwaltung, die bis zur Erschöpfung gearbeitet hätten, dankte er. Und den vielen freiwilligen Helfern, die allein oder organisiert die Menschen hier in ihrer größten Not unterstützt haben: „Sie haben uns das wertvollste Geschenk, das ein Mensch geben kann, gemacht – ihre Lebenszeit, wir werden sie für immer in unseren Herzen tragen.“

Stadtwerke sollen neu gebaut werden

Wünschen würde sich der Verwaltungschef für die kommenden Aufgaben, dass die Kommunikation aller Akteure, wie etwa mit dem Landesbetrieb für Mobilität, Westnetz, EVM, besser abgestimmt würden. Wegen des zerstörten Brückenbauwerks B 9 und der unpassierbaren Brücke an der Kölner Straße habe er schon am zweiten Tag nach der Katastrophe um weitläufige Umleitungen für den Fernverkehr aus Richtung Bonn und Koblenz gebeten. Da sei bis heute nichts passiert. „Die Kommunikation mit dem LBM ist nicht einfach, den Informationsfluss als zäh zu bezeichnen, wäre schon dynamisch“, so der Bürgermeister.

Geron stellte fest, dass der Grundschutz der Kommune durch die Feuerwehr wieder hergestellt wurde. Es steht neben der Drehleiter aus Remagen auch eine ausgeliehene Drehleiter aus Moers zur Verfügung. Nun müsse ein neuer Platz für das geplante Feuerwehrgerätehaus gesucht werden, da sich der bisherige Standort im Überflutungsgebiet befindet.

Die nicht mehr nutzbaren Stadtwerke sollen im Kranzweiherweg neu gebaut werden. Die Wasserversorgung sei zum größten Teil wieder hergestellt, Bad Bodendorf wurde nach der Zerstörung des Pumpwerks durch eine mobile Druckerhöhungsanlage wieder angeschlossen. Durch die Mitarbeiter von Westnetz wurde der Strom schnellstmöglich wieder hergestellt, die Firma Veolia habe die Massen an Müll eingesammelt und entsorgt. Das Kanalnetz sei soweit wieder intakt und weitest gehend gereinigt. Doch die Verbindung der Kernstadt zur zerstörten Kläranlage ist getrennt, die Abwässer fließen in die Ahr.

Der Blick nach vorn

„Wir haben für die Kläranlage ein Kompetenzteam gebildet, bei dem auch Experten, die sich im Ruhestand befinden, involviert sind – doch es kann nicht sein, dass deren Einsatz ausgebremst wird, da dieser als rentenschädlich per gesetzlichem Rentenrecht gilt. Das gilt aber für alle Bereiche“, so Geron.

Geron fordert, nach vorn zu blicken, und dabei dürfe es keine Denkverbote geben. Es könnte die Mehrwertsteuer erlassen werden für alle Aufgaben, die mit der Bewältigung der Flutschäden zusammenhängen. Man dürfe auch für Helfer und Geschädigte an staatlich bezahlten Sonderurlaub denken. Auch eine Pflichtversicherung gegen Elementarschäden könne man in Erwägung ziehen. Das Vergaberecht müsse als erster effektiver Schritt ausgesetzt werden.
Und es wird Verstärkung gebraucht. Während Sinzig zwei Ingenieure benötige, brauche die Kreisstadt dreimal so viele. Ein Mitarbeiter des Landes müsse als direkter Ansprechpartner in der Stadt angesiedelt werden. „Auch müssen die Kommunen entfristet werden, sie können nun gewisse Fristen nicht einhalten, die gemeldet werden müssten. „Die Verwaltung darf jetzt nicht noch mehr unter Druck gesetzt werden. Das wäre mit einem Paragrafen abgearbeitet“, sagte Geron.

Auch die digitale Infrastruktur fiel den Fluten zum Opfer

Im Schulzentrum ist die Mensa komplett den Fluten zum Opfer gefallen, ebenso wie die digitale Infrastruktur mit 400 iPads oder die Schulbuchausleihe, die nun in der Hausmeisterwohnung installiert wird. Bei der Barbarossaschule wurde das Erdgeschoss geflutet, doch die Decke zum Obergeschoss ist intakt. Die Schule ist nicht einsturzgefährdet.

Auf Nachfrage von Klaus Hahn (Grüne) äußerte sich Geron hinsichtlich der Thermalbadsanierung: „Wir haben nun auch noch die Gebäudeschäden zu bewältigen. Ich denke nicht, dass wir im kommenden Jahr dort wieder schwimmen können.“

Friedhelm Münch (FWG) betonte: „Jede Kommune müsste nun Land und Kreis auffordern, über die gesamte Ahr einen Plan zu legen, wo zu bauen ist und wo nicht und wo die Ahr Rückzugsgebiete hat und wo nicht. Das wird für manche zwar schmerzlich sein, aber so eine Katastrophe darf sich nicht wiederholen. Wir müssen Rückhaltebecken bauen und über kommunale Grenzen hinaus planen, die Flächennutzungspläne sind Stückwerk.“

Von unserer Mitarbeiterin Judith Schumacher