Bad Neuenahr

Schmucke Kreisstadt Bad Neuenahr ist zerstört: „Unsere Heimat wird nie wieder so sein, wie sie einmal war“

Von Jochen Tarrach
Die einst schmucke Kurstadt Bad Neuenahr ist Katastrophengebiet.
Die einst schmucke Kurstadt Bad Neuenahr ist Katastrophengebiet. Foto: Jochen Tarrach

Bad Neuenahr atmet auf: Es hat am Wochenende zwar geregnet, eine zweite Flut blieb aber aus. Einst war das Kurzentrum die Prachtmeile von Bad Neuenahr, nun sind es fast nur noch Trümmer. Auch auf dieser südlichen Ahrseite haben viele Menschen gewohnt, die nun alles verloren haben. Aber sie schätzen sich glücklich, wenigstens ihr Leben gerettet zu haben. Von der Flutwelle schwer getroffen ist das Kurviertel mit seinen Seniorenresidenzen, wie zum Beispiel auch die Villa Sibilla. Das Thermalbadehaus, vom großen Feuer gerade halbwegs wiedererstanden, hat nun von der Flutwelle den Rest bekommen. Keine schmucken Parks mehr oder gar einen Kurpark, keine Kurgartenbrücke mehr, keine Casino- oder Landgrafenbrücke mehr.

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Bad Neuenahr ist zweigeteilt, denn lediglich die Piusbrücke weit im Westen kann noch bedingt nur von Einsatzkräften passiert werden. Auch ein Blick über die nun wieder friedlich dahinplätschernde Ahr macht die Sache nicht besser. In der Poststraße und der Telegrafenstraße türmen sich Schlamm und Müll. Dazwischen verzweifelte Menschen. „Unsere Heimat wird nie wieder so sein, wie sie einmal war“, sagt zum Beispiel Horst Felten, Neuenahrer Urgestein, mit tränenerstickter Stimme. Er ist mit seinem Haus in der Weststraße sprichwörtlich abgesoffen, hat fast alles verloren. In Oberzissen hat er eine vorläufige neue Unterkunft gefunden, ist dort sicher.

Ein Einzelhandel in der sonst so belebten Poststraße existiert nicht mehr. „Ich weiß nicht, was ich nun machen soll? Es hat doch alles keinen Zweck mehr“, so eine verzweifelte Ladenbesitzerin, die sonst elegante Mode anbietet. Und dann immer wieder: „Wenigstens leben wir noch.“

Foto: Jochen Tarrach

Der Platz an der Linde ist inzwischen vom Autoschrott und Müll wieder freigeräumt. Aber überall dieser Schlamm, mal flüssig, mal breiig, mal staubig, er macht einfach wahnsinnig. Dazu der beißende Gestank nach Benzin, Diesel, Öl und anderen Gerüchen. Die bisher so schmucken Häuserzeilen der Georg-Kreuzberg-Straße sowie der Lindenstraße mit ihren Wohnhäusern, Hotels, Sanatorien und Gaststätten sind hinter den Müllbergen kaum noch zu sehen. Überall ragen freigespülte Rohre aus dem Boden.

Foto: Jochen Tarrach

Im Kurpark stehen gerade drei total verschlammte junge Damen aus Bremen und schauen fassungslos auf die Trümmer. Angesichts der Katastrophennachrichten haben sie sich, wie zahllose andere auch, spontan auf den Weg gemacht, um zu helfen. Und die Hilfe, die ist zumindest hier in der Stadt einfach großartig. Unzählige Feuerwehrmänner und -frauen aus Orten weit in Norddeutschland, deren Namen man noch nie gehört hat, schuften ohne Ende. Wo liegt eigentlich Berkenthin? Wehren aus Bremen, dem Herzogtum Lauenburg, Lüneburg und Hannover sind da. Dazu das Technische Hilfswerk (THW) aus ganz Deutschland, auch aus München und natürlich die Sanitätsorganisationen, wie das DRK, ASB und weitere.

Foto: Jochen Tarrach

Aber auch immer wieder ganze Gruppen von jungen Leuten, die einfach gekommen sind, um zu helfen. „Wir haben es einfach nicht mehr ausgehalten. Als wir die Fernsehnachrichten gesehen hatten, mussten wir einfach los. So viel Not“, erklärt eine mit Schaufeln und Spaten ausgerüstete Gruppe aus Schleswig-Holstein. Das schwer getroffene Are-Gymnasium wird unter Mithilfe von Schülern der Oberstufe ausgeräumt, die Villa Sibilla und die vielen Privathäuser ebenso.

Der Müll türmt sich an den Straßenrändern bis hin zum Augustinum nahezu haushoch. Während die Reste der Kurgartenbrücke noch friedlich in der Ahr dümpeln und an den Restmauern des Pavillons des Steigenberger-Hotels noch immer Alfredo's Pelze und Juwelen angepriesen werden, wird einige Hundert Meter weiter an der Landgrafenbrücke schon eifrig gebaut. Bagger und Kräne räumen die Ahr frei und für die geplante Behelfsbrücke des THW sind schon die Betonsockel gegossen. Allerdings musste dazu ein guter Teil des mehrstöckigen Parkdecks direkt daneben abgerissen werden, um Platz zu schaffen. Fassungslos stehen die Menschen daneben und beobachten das Drama.

Trutzig streckt das Seta-Hotel noch sein Eingangstürmchen in die Höhe, aber Gäste, wenn überhaupt noch einmal wieder, gibt es dort seit der Flutwelle nicht mehr. Für diejenigen, die ganz dringend über den Fluss müssen, hat das THW mit einem Boot einen Fährbetrieb eingerichtet. Vollkommen zerschmettert stehen die Reste des Verwaltungsgebäudes der Spielbank an der Ecke Felix-Rütten-Straße. Die Akten stecken in der oberen Etage noch in den Schränken, nur erreichen kann man sie nicht mehr. Das ist auch im Augenblick nicht nötig, denn die Spielbank selbst wird vorerst niemandem mehr Glück bringen, obwohl genau das jetzt so dringend nötig wäre.

Im Steigenberger Kurhotel wird für die unteren Etagen wohl in den nächsten Monaten erst einmal eine Grundsanierung angesagt sein. Rundherum wird das Gebäude, ebenso wie der große Festsaal, der zusätzlich wegen Einsturzgefahr gesperrt ist, gegen Plünderer von Security-Personal abgesichert.

Erschöpft treffen sich die Helfer, ob in Uniform oder Zivil, am südlichen Ende der Kurgartenstraße, um Verpflegung aufzunehmen oder sich auszuruhen. Und das genau mit Blick auf die bunten Werbetafeln im Kurpark: „Freuen Sie sich auf die Landesgartenschau 2023.“ „Die wird wohl die nächsten Jahre ausfallen“, kommentiert ein Brandmeister der Feuerwehr trocken. Wer sich umschaut, wird das verstehen ...

Von unserem Mitarbeiter Jochen Tarrach