Ahrtal

Podiumsdiskussion zum Wiederaufbau des Ahrtals: Ungeduld und Frust prägen Stimmung

Von Beate Au
Mit rund 150 Teilnehmern gut besucht war die vergangene Podiumsdiskussion von RZ und RPR1. Einige Hundert waren per Livestream dabei.
Mit rund 150 Teilnehmern gut besucht war die vergangene Podiumsdiskussion von RZ und RPR1. Einige Hundert waren per Livestream dabei. Foto: Vollrath

„Aufbruch Ahr“ lautete das Motto einer Podiumsdiskussion, mit der die Rhein-Zeitung und RPR1 im November 2021, vier Monate nach der Flutkatastrophe, Betroffene, Ansprechpartner und Experten zusammengebracht haben. Am Dienstagabend war die Rhein-Zeitung, wie damals versprochen, zurück in der Landskroner Festhalle in Heimersheim, um zu schauen, was seitdem passiert ist.

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„Weitermachen, aber wie?“ Diese Frage stellten Lars Hennemann, Chefredakteur unserer Zeitung, und Jens Baumgart, Moderator von RPR1. Bürger aus dem Ahrtal kamen mit ihren Sorgen und Nöten zu Wort. Das, was sie schilderten, offenbart ein Dilemma: Das Weitermachen scheitert oft an bürokratischen Hürden, die an einen Katastrophenmodus nicht angepasst sind.

„Mittlerweile herrscht auch die Solidarität in der Ohnmacht.“

Guido Orthen, Bürgermeister von Bad Neuenahr-Ahrweiler

Auf dem Podium stellten sich die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer, der Vor-Ort-Beauftragte der Landesregierung, Günter Kern, Landrätin Cornelia Weigand, IHK-Präsidentin Susanne Szczesny-Oßing und der Bürgermeister der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler, Guido Orthen, der Diskussion und einer Stimmung, die geprägt ist von einer wachsenden Ungeduld und Frust.

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„Es ist viel passiert, aber uns treiben immer noch dieselben Themen um. Es geht schleppend voran. Viele vermissen einen klaren Plan.“ Damit beschrieb Chefredakteur Lars Hennemann eine Lage, in der sich viel Unzufriedenheit angesammelt hat. Exemplarisch schilderte das Michaela Wolff vom Verein Fluthilfe Ahr. Sie weiß, wie es den Menschen geht.

Die Winzerin vom Weingut Sonnenberg hat noch am Tag nach der Flut damit begonnen, eine Helfer-Infrastruktur in Bad Neuenahr aufzubauen. Es gebe Familien, die sich inzwischen fragen, ob sie den Wiederaufbau noch schaffen – psychisch, physisch und finanziell, so Wolff. Und sie erwartet von der Politik, dass die Versprechen unkompliziert umgesetzt werden.

Nicht richtig ausgefüllt, nicht vollständig abgegeben, fehlende Unterlagen – das ist eine Erklärung der Ministerpräsidentin, die an diesem Abend Flaschenhälse identifizierte. Neben der Ankündigung im Vorfeld der RZ-Veranstaltung, die ISB mit der Einstellung von Mitarbeitern zu verstärken, kommt von ihr die Zusage, für mehr Unterstützung im Verfahren zu sorgen, neben der bestehenden Hilfe durch geschulte Mitarbeiter an den Infopoints auch durch aufsuchende Beratung.

„Wir müssen am 15. Juli unseren traditionsreichen Betrieb wieder eröffnen, weil die Versicherung dann ausläuft. Es geht um unsere Existenz. Aber es ist nichts da. Es fehlt an Ideen, Konzepten und deren Bündelung“, sagt Jacob Carnott, Junior der Hoteliersfamilie aus Altenahr, die in fünfter Generation das Hotel-Restaurant Ruland betreibt

Frank Bugge

„Unsere Senioren wollen nach Hause. Viele haben aber nicht die Kraft, um selbst wiederaufzubauen. Es fehlen Mehrfamilienhäuser, in denen sie wohnen könnten“, verdeutlichte Petra Jeandrée, Gemeindeschwester plus der VGs Adenau und Altenahr.

Frank Bugge

„Wir leisten in Heimersheim noch immer viel ehrenamtliche Hilfe. Wir haben aber keinen Ansprechpartner, der uns weiterhilft, wenn es etwa um die Abfuhr von Müll geht“, betonte Karl-Heinz Kettel aus Heimersheim.

Frank Bugge

„Die Handwerker sind von der ersten Stunde an am Arbeiten. Manche finden gar keine Zeit, für sich selbst den Antrag auf Wiederaufbauhilfe zu stellen. Manchmal melden sich Kollegen weinend am Telefon“, erklärte Frank Wershofen, Kreishandwerksmeister aus Ahrweiler.

Frank Bugge

Bürgermeister Guido Orthen bekommt die Leidensgeschichten enttäuschter Flutopfer regelmäßig auf den Tisch, wie die von einem Bürger, der seinen Antrag bereits im Oktober gestellt hat. Er warte noch immer auf eine Bewilligung. „Es ist eine Solidarität in Ohnmacht“, beschreibt Orthen die Stimmung von Menschen, die acht Monate Dauerstress hinter sich haben und deutlich dünnhäutiger geworden seien. Dass der Rechnungshof die von Dreyer angestrebte Erhöhung der Abschlagszahlung von Wiederaufbauhilfen von 20 auf 40 Prozent ausbremsen könnte, sieht er besonders kritisch: „Wenn wir uns an 2 Prozent der Gauner orientieren und nicht an der Mehrheit der Betroffenen, die das Geld dringend brauchen, ist das eine Rechtslage, die nicht für Katastrophensituationen geeignet ist“, sagt er. Auch die neue Landrätin Cornelia Weigand fordert bei diesem Thema eine neue Geschwindigkeit ein, die in Aussicht gestellt worden sei.

„Bürokratie macht sich der Mensch selbst“, gab der Vor-Ort-Beauftragte Günter Kern zu bedenken. Ein Beispiel aus Insul: Dort werde neues Bauland gebraucht. Doch was, wenn der Dunkle Wiesenknopf-Ameisenbläuling auftaucht? Dann seien auch die Naturschutzverbände im Verfahren zur Stelle. „Was die Natur genommen hat, muss sie an anderer Stelle zurückgeben“, forderte Kern.

IHK-Präsidentin Susanne Szczesny-Oßing sieht das Problem Flaschenhälse sportlich. „Wir machen sie immer zur Chefsache“, sagte sie und forderte dazu auf, den Blick nach vorn zu richten. Sie sprach auch von unterschiedlichen Geschwindigkeiten beim Wiederaufbau. „Viele lassen die Köpfe hängen, andere wollen loslegen und Leuchttürme setzen“, berichtete die IHK-Präsidentin vom Ergebnis einer Umfrage unter den Mitgliedsunternehmen. „Das Übel liegt schon in der Antragstellung“, gab sie als Hinweis an diesem Abend auch weiter. Ebenso wie Kurt Krautscheid, Präsident der Handwerkskammer Koblenz: „Erst 37 Prozent unserer Mitglieder haben einen vollständigen Antrag eingereicht.“

Für Michaela Wolff keine Überraschung angesichts des bürokratischen Dschungels, der viele überfordere. Sie hat die Befürchtung, dass die Kaufkraft weiter zurückgehen wird und Menschen das Tal verlassen, wenn es beispielsweise keine Entwicklungsmöglichkeiten für Industriegebiete gibt.

Personalprobleme zeichnen sich ab

Dass auch auf die Gastronomie, sollte sie wieder starten, ein großes Personalproblem zukommen wird, darauf machte Günter Uhl, Vorsitzender des Dehoga im Kreis Ahrweiler, aufmerksam. 25 Prozent der Mitarbeiter hätten das Gastgewerbe verlassen. Gesetzliche Hürden zu überspringen sind auch bei der Auszahlung von Spendengeldern. Wie dringend sie von den Winzern gebraucht werden, machte Weinbaupräsident Hubert Pauly deutlich. „Wir haben eine Katastrophe. Das heißt, hier liegt ein Patient, der verblutet. Wir haben Blut, aber dürfen es ihm nicht geben“, so Pauly. Doch die Spielräume für die Auszahlung werden begrenzt durch das Gemeinnützigkeitsrecht, und das ist Bundesrecht. „Hier versuchen wir, jede Möglichkeit auszuloten“, so die Ministerpräsidentin.

Das bisher Unmögliche nach der Katastrophe möglich zu machen, bleibt die wohl größte Herausforderung in einer Modellregion, in der über vieles neu gedacht werden muss. Zum Beispiel über den von der Gemeindeschwester plus der VGs Altenahr und Adenau, Petra Jeandrée, vorgetragenen Wunsch vieler Senioren, im Ahrtal wieder ein Zuhause zu finden. Das ist beim Aufbau mitzudenken, denn im ländlichen Tal fehlen die dafür geeigneten Mehrfamilienhäuser.

Lichtblick Gartenschau
Im Jahr 2030 soll nun eine Landesgartenschau im Tal stattfinden. Bindet das nicht zu viel Geld und Personal, das man für andere Dinge brauchen könnte? Auf die von Chefredakteur Lars Hennemann gestellte Frage erklärte Kreisstadtbürgermeister Guido Orthen: „Es ist ein Markpunkt mit dem Signal, sich selbst zu disziplinieren, um weiter zu sein, als wir es heute sind. Der Mensch braucht Ziele. Die Landesgartenschau 2030 soll ein Lichtblick sein mit der Botschaft: Wir sind wieder zurück.“