Bad Neuenahr-Ahrweiler

„Ohne private Helfer wären wir elendig verhungert“: An Ahrweilers südlicher Flussseite organisieren die Menschen sich selbst

Von Gabi Geller
Ein warmes Essen, ein kaltes Getränk und weder Müll noch Schlamm im Blickfeld – am Abend werden die Versorgungsstationen zum Erholungsort und Treffpunkt für Anwohner und Helfer. Fotos: Gabi Geller
Ein warmes Essen, ein kaltes Getränk und weder Müll noch Schlamm im Blickfeld – am Abend werden die Versorgungsstationen zum Erholungsort und Treffpunkt für Anwohner und Helfer. Fotos: Gabi Geller Foto: Gabi Geller

Nicht nur die Kölner, auch die Ahrweiler haben jetzt ihre „schäl Sick“: die Seite der Stadt, die am rechten Flussufer liegt und momentan vom Geschehen abgeschnitten ist. „Ohne die privaten Helfer wären wir hier elendig verhungert.” Immer wieder Varianten des gleichen Satzes hört man an der südlichen Ahrseite von Ahrweiler. Eine Mischung aus Dankbarkeit für die private Hilfe und Frust über politische Entscheider.

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Tatsächlich sind zwischen Walporzheim und Bachem nur private Versorgungsstationen zu finden. Seit Donnerstag gibt es einen städtischen Info-Point bei der ehemaligen Ahrtorbrücke. Auch Container mit Brauchwasser und einige Toiletten wurden inzwischen aufgestellt. Alle Geschäfte liegen auf der anderen Flussseite und waren vor der Flutwelle über vier Brücken problemlos zu Fuß erreichbar. Die Ahr ist hier inzwischen zu einem Grenzfluss geworden und teilt die Stadt Ahrweiler in zwei Teile.

In den Wochen nach der Flutnacht haben sich die Menschen von hier in Richtung Ramersbach und Brohltal orientiert, um notwendige Einkäufe zu erledigen. Nach Ramersbach fahren von hier auch viele zum Duschen in die Notunterkunft im Gemeindehaus Ramersbach. Dort gibt es auch warme Mahlzeiten. Menschen vom Ahrweiler Südufer fahren die sieben Kilometer in den Höhenort gern, denn hier hat auch Jürgen Konietzko an der Mayener Straße seinen kleinen Laden. Es gibt Milch, Toastbrot, Joghurt, Quark, Batterien, Stifte und Waschmittel. Eigentlich fast alles. Konietzko kommt kaum hinterher mit dem Besorgen von Nachschub. Supermärkte in Niederzissen spüren ebenfalls einen deutlichen Anstieg von Kunden aus Ahrweiler. Das Gleiche hört man dort beim Bäcker, in der Apotheke und im Schnellimbiss.

Analog, aber sehr effektiv per Schild werden Angebot und Nachfrage in der Nachbarschaft kommuniziert und so organisiert.
Analog, aber sehr effektiv per Schild werden Angebot und Nachfrage in der Nachbarschaft kommuniziert und so organisiert.
Foto: Gabi Geller

Seit Ende der Woche ist die einzige intakt gebliebene Ahrquerung in der Kreisstadt, die Piusbrücke, für private Pkw wieder geöffnet. Man kann also wieder in Ahrweiler einkaufen. Aber ohne Auto bedeutet das für die meisten Anwohner einen kilometerlangen, staubigen Fußmarsch. „Ich frage immer in der Nachbarschaft, wem ich etwas mitbringen soll, wenn ich einkaufen fahre“, erzählt eine Dame in der Gierenzheimer Straße. Alles läuft hier über Nachbarschaftshilfe, über private Spender und freiwillige Helfer.

Die Menschen hier wissen nicht, wer wofür eigentlich zuständig wäre, um diese Krise zu managen. Sie wissen nur, dass sie so gut wie nichts von „offizieller“ oder „staatlicher“ Hilfe sehen oder hören. Eine Frau steht vor ihrem Haus an der Gierenzheimer Straße und klagt über die fehlende Koordination. Dafür sei doch eigentlich ein Krisenstab da. Es sei tagelang chaotisch gelaufen, weil niemand die vielen Helfer mit ihren schweren Geräten organisiert hätte. Eine andere Anwohnerin berichtet von einem Elektrikermeister, der aus einem Eifelort angereist war und nirgendwo Anweisungen zu einem Einsatzort bekommen konnte. „Er hat sich dann selbst eine Straße ausgesucht und hat in den Häusern gefragt, wer Hilfe braucht. Er hat bei uns die ganze Elektrik repariert.“

Auch Oma Heimermann in der Kalvarienbergstraße ist voll des Lobes. „Wir werden hier erstklassig versorgt. Wir bekommen Frühstück, Mittagessen und Abendbrot“, erzählt die 85-Jährige. Sie geht dreimal täglich die wenigen Schritte zum privaten Versorgungsstand an der Ahrbrücke, der mit jedem Tag größer wird. Sie wohnt jetzt im oberen Stockwerk bei den Kindern, ihre Parterrewohnung ist inzwischen ein nasser Rohbau ohne Möbel. Ihre Mimik scheint nicht recht zu wissen, ob sie lachen oder weinen soll. „Ich hatte es so schön hier.“

Am Abend werden die Versorgungsstationen zum Treffpunkt für die Nachbarn. Hier erzählen sie und tauschen Nachrichten aus. Denn noch immer sind Informationen Mangelware. „Wir kriegen hier doch nix mit. Wir sind ja auf der schäl Sick von Ahrweiler“, witzelt Jose, die an diesem Abend mit Familie und Helfern vor ihrem Haus in der Ramersbacher Straße sitzt. Die geschenkte tagesaktuelle Rhein-Zeitung nimmt sie dankbar an.

Von unserer Mitarbeiterin Gabi Geller