Remagen

Obdach in der Rheinhalle in Remagen: Betroffene spenden sich gegenseitig Trost

Von Mirjam Hagebölling
Gerlinde Müller-Steger konnte zumindest ihren Hund noch retten, sie verharrte stundenlang auf dem Dachboden.
Gerlinde Müller-Steger konnte zumindest ihren Hund noch retten, sie verharrte stundenlang auf dem Dachboden. Foto: Mirjam Hagebölling

Die Bilder von zerstörten oder überfluteten Häusern entlang der Ahr haben ganz Deutschland in eine Schockstarre versetzt. Hinter jedem zerstörten Haus und jeder überfluteten Wohnung steht ein menschliches Schicksal – manchmal gar eine Tragödie. Der Schrecken und die Angst sitzen tief bei den Betroffenen. Die Rhein-Zeitung hat mit Menschen gesprochen, die zum Teil alles verloren haben.

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In der Rheinhalle in Remagen wurde mithilfe der Feuerwehr und des Deutschen Roten Kreuzes mit großem ehrenamtlichen Einsatz eine Notunterkunft eingerichtet. Innerhalb kürzester Zeit sind Kleider- und Sachspenden zusammengekommen, die vielen ehrenamtlichen Helfer verteilen Essen und Getränke. Und sie hören zu, lassen sich die Erlebnisse der vergangenen Tage schildern.

Gerlinde Müller-Steger konnte zumindest ihren Hund noch retten, sie verharrte stundenlang auf dem Dachboden.

Mirjam Hagebölling

Claudia und Jürgen Schmitz hatten Glück im Unglück: Ihre Wohnung im oberen Stockwerk und blieb von den Fluten verschont.

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Die beiden Nachbarinnen Tatjana Seidel und Sonja Memminger sind froh, in Sicherheit zu sein – ebenso Herbert Wagner aus Sinzig.

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Zahlreiche Feldbetten stehen in der Rheinhalle in Remagen für Menschen bereit, die kein Obdach haben.

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Die beiden Nachbarinnen Tatjana Seidel und Sonja Memminger sind froh, in Sicherheit zu sein – ebenso Herbert Wagner aus Sinzig.

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Herbert Wagner aus Sinzig kann die Ereignisse der Katastrophenacht noch nicht in Worte fassen. „Die Wasserfluten sind auf mich zugerollt und haben alles mitgerissen. Die Garage ist wie ein Pappkarton durch die Sturzflut in sich zusammengefallen. Überall Schlamm und Geröll. Ich kam mir vor wie in einem Horrorfilm“, erzählt er. Der 85-jährige Rentner hörte erst ein lautes Rauschen. „Von einer Sekunde auf die nächste schoss das Wasser explosionsartig von überall auf uns zu“, so Wagner. Weder das eigene Auto noch den liebevoll restaurierten Oldtimer seiner verstorbenen Frau konnte er in Sicherheit bringen. Er ist froh, dass er sein eigenes Leben retten konnte. Nun wird er die Nacht auf einem Feldbett in der Rheinhalle verbringen.

Die 78-jährige Gerlinde Müller-Steger wurde von der Flut derart überrascht, dass sie nichts mitnehmen konnte. Sie hat Stunden auf dem Dachboden verharrt, bis sie von zwei jungen Männern der Bundeswehr entdeckt und evakuiert wurde. Weder etwas zu essen noch etwas zu trinken habe sie gehabt. „Ich bin nicht auf die Idee gekommen, dass die Ahr in solcher Geschwindigkeit ansteigen und mit solcher Wucht alles überfluten könnte“, erläutert Müller-Steger. „Es gab einen lauten Knall – fast wie eine Explosion. Und überall sprudelte das Wasser. Diese Geräusche sind noch in meinem Ohr. Es war schrecklich, mir ist das Blut in den Adern gefroren“, so Müller-Steger weiter. In Panik und völliger Dunkelheit habe sie nach ihrem kleinen Hund gesucht und glücklicherweise auch gefunden. „Was ich so entsetzlich finde, ist, dass mein komplettes Leben abgebrochen ist. Von meiner Wohnung ist nichts mehr übrig. Und alle Papiere sind durchweicht, ich habe weder meinen Personalausweis noch mein Handy dabei“, erzählt die ältere Dame. Sie konnte niemanden anrufen, da ja alle Nummern im Telefon eingespeichert sind.

Müller-Steger hat bereits vor 60 Jahren in ihrer Heimatstadt Hamburg die große Flutkatastrophe erlebt, da war sie noch eine junge Frau und frisch verheiratet. Doch diesmal ist da niemand, den sie anrufen kann und der ihr hilft. Von der Verwandtschaft in Hamburg hat sie keine Telefonnummer, ihren Mann musste sie gerade erst vor vier Wochen zu Grabe tragen. „Meinen kleinen Hund habe ich aus dem Wasser gezogen, der tröstet mich in dieser schweren Zeit,“ sagt Müller-Steger. Es komme ihr vor, als ob ihr bisheriges Leben ausgelöscht sei. Sie hat Angst, dass solche Unwetter und Flutkatastrophen zunehmen. Ob sie jemals wieder in ihrer Wohnung leben kann, weiß sie nicht. „Es ist ein Trost, dass hier in der Rheinhalle Leidensgenossen sind. Da fühle ich mich nicht so allein“, so Müller-Steger. Insgesamt mache sie die Flutkatastrophe sehr betroffen. Sie hat nicht damit gerechnet, dass es sie selbst mit solcher Wucht trifft.

Jürgen und Claudia Schmitz aus Bad Neuenahr hatten noch Glück im Unglück. Obwohl ihr Haus direkt an der Ahr steht, ist in ihrer Wohnung in der obersten Etage alles verschont geblieben. „Das Erdgeschoss ist völlig überflutet, da stand das Wasser mehr als zwei Meter hoch“, erläutert Jürgen Schmitz. Strom und Wasser waren ausgefallen. Das Ehepaar konnte nur noch mithilfe der Feuerwehr evakuiert werden. Nur zwei Minuten blieben ihnen, um das Nötigste einzupacken: das Ladekabel fürs Handy und die dringend benötigten Medikamente. Eine regelrechte Schlammlawine habe alles niedergewalzt, berichtet das Ehepaar. Es steht unter Schock. Große Sorgen bereitet Claudia Schmitz, dass sie ihre Schwester nicht erreichen kann, die ebenfalls direkt an der Ahr wohnt.

Die 38-jährige Tatjana Seidel aus Ahrweiler konnte zumindest noch ihre Katze retten, die ganz verschreckt neben ihr in einer Transportbox sitzt. „Die Feuerwehr ist durch die Straßen gefahren und hat per Lautsprecherdurchsage gewarnt, doch dann ging plötzlich alles sehr schnell. Um 5.30 Uhr sei sie schließlich von der Feuerwehr evakuiert worden. Ihre Nachbarin Sonja Memminger ergänzt: „Besonders schlimm war das Geschrei. Kinder die in völliger Dunkelheit nach ihren Eltern riefen. Das hat mich sehr betroffen gemacht.“ Insgesamt habe sie ein mulmiges Gefühl, irgendwann wieder nach Hause zurückzukehren. Denn sie wisse nicht, wie groß das Ausmaß der Flut sei und was sie in ihrer Wohnung erwarte.

Von unserer Mitarbeiterin Mirjam Hagebölling