Plus
Antweiler/Aremberg

Nach Misshandlungsvorwürfen in Kita Antweiler: Eltern hoffen mit Prozess auf Klarheit

Von Uli Adams
Vor viereinhalb Jahren wurden unglaubliche Misshandlungsvorwürfe gegen Erzieherinnen der Kita Antweiler bekannt. Am Dienstag beginnt in Koblenz der Prozess. Eine Mutter erneuert ihre Vorwürfe, auch gegen die Verbandsgemeinde Adenau. 
Vor viereinhalb Jahren wurden unglaubliche Misshandlungsvorwürfe gegen Erzieherinnen der Kita Antweiler bekannt. Am Dienstag beginnt in Koblenz der Prozess. Eine Mutter erneuert ihre Vorwürfe, auch gegen die Verbandsgemeinde Adenau.  Foto: Archiv Sascha Ditscher

Mit Gewalt zum Essen gezwungen, in dunkle Räume eingesperrt, an Stühle gefesselt: Unglaubliche Misshandlungen wirft man vier ehemaligen Erzieherinnen der Kindertagesstätte Antweiler vor. Fast fünf Jahre sind seit Bekanntwerden der Vorwürfe vergangen. Doch erst am Dienstag beginnt am Koblenzer Landgericht der Prozess gegen die vier Erzieherinnen (10.30 Uhr).

Lesezeit: 3 Minuten
Für Irina Enting, deren Töchter einst in die Kita gingen, ist die lange, nervenaufreibende Zeit des Wartens der zweite Skandal neben den Methoden aus dunklen, längst vergessen geglaubten Zeiten, mit denen zwei ihrer drei Kinder dort drangsaliert und gedemütigt worden seien. Vor Prozessbeginn erneuert sie im Interview mit der Rhein-Zeitung ihre ...
Möchten Sie diesen Artikel lesen?
Wählen Sie hier Ihren Zugang
  • 4 Wochen für nur 99 Cent testen
  • ab dem zweiten Monat 9,99 €
  • Zugriff auf alle Artikel
  • Newsletter, Podcasts und Videos
  • keine Mindestlaufzeit
  • monatlich kündbar
E-Paper und
  • 4 Wochen gratis testen
  • ab dem zweiten Monat 37,- €
  • Zugriff auf das E-Paper
  • Zugriff auf tausende Artikel
  • Newsletter, Podcasts und Videos
  • keine Mindestlaufzeit
  • monatlich kündbar
Bereits Abonnent?

Fragen? Wir helfen gerne weiter:
Telefonisch unter 0261/9836-2000 oder per E-Mail an: aboservice@rhein-zeitung.net

Oder finden Sie hier das passende Abo.

Anzeige

RZ-Interview: Mutter will lückenlose Aufklärung

Im RZ-Interview erklärt Irina Enting, was sie sich von dem Prozess erhofft und wie es ihren Töchtern und ihrer Familie heute geht, knapp fünf Jahre nach Bekanntwerden der Vorwürfe.

Irina Enting hat drei Töchter. Zwei von ihnen gingen in die Kita Antweiler. Gegen ehemalige Erzieherinnen erhebt Enting schwere Misshandlungsvorwürfe.
Irina Enting hat drei Töchter. Zwei von ihnen gingen in die Kita Antweiler. Gegen ehemalige Erzieherinnen erhebt Enting schwere Misshandlungsvorwürfe.
Foto: Jan Lindner

Frau Enting, Ihre drei Töchter sind in die Kita Regenbogen gegangen, gegen deren ehemalige Erzieherinnen Sie diese unglaublichen Misshandlungsvorwürfe erheben. Wie geht es Ihren Töchtern heute?

Meine älteste Tochter war vor der Zeit in der Kita und kein Opfer der Misshandlungen. Die kleinste hat gottseidank alles vergessen. Aber sie schlief im ersten Jahr nach der Kita sehr schlecht, hatte Panik vor der Dunkelheit und dem Einschlafen. Auch meine mittlere Tochter hat das Ganze inzwischen halbwegs verkraftet. Aber sie hatte eine schlimme Wahrnehmungsschwäche, die zum Glück durch Erzählen und Verarbeiten verschwunden ist. Sie hatte einen schlechten Start in der Grundschule, auch das geht inzwischen. Aber die traumatischen Erlebnisse haben sich bei ihr so eingebrannt, dass sie sich noch sehr gut erinnern kann. Sie ist jetzt elf, schläft aber nie allein und neben uns Erwachsenen schlecht. Und sie übergibt sich bei Stress. Auch deshalb möchte sie vor Gericht aussagen. Sie hat alles aufgeschrieben.

Kamen diese Erinnerungen in den vergangenen Jahren wieder hoch?

Ja. Wir waren in einem Sommer in Schweden im Urlaub auf einem Campingplatz. Meine mittlere Tochter hat sich durch die Räumlichkeiten dort an die Demütigungen im Kindergarten erinnert. Anfang des Jahres ...

... nachdem Sie in der Talksendung Hart aber Fair waren ...

... kam es bei meiner Mittleren wieder hoch. Sie schläft unheimlich schlecht.

Wann haben Sie gemerkt, dass womöglich etwas nicht stimmt?

Es waren zunächst viele kleine Dinge, die mir merkwürdig vorkamen: Als meine kleinste Tochter zuhause ein Springseil nahm und zu mir sagte: ,Keine Angst, Mama, ich binde dich nur fest. Ich sperre dich nicht ein.' Denn in der Kita Regenbogen sind Kinder schon mal mit einem Seil oder Klebeband festgebunden worden, wenn sie nicht gehorcht haben. Oder sie wurden in dunkle Räume gesperrt oder mussten hinter einem Vorhang stehen bleiben.

Was ist Ihnen noch bei Ihren beiden jüngeren Töchtern aufgefallen?

Während meine große Tochter immer gerne in den Kindergarten gegangen ist, wollten die beiden jüngeren nur ungern gehen. Es gab oft Diskussionen. Auf einmal wollten sie morgens gar nicht mehr hin, beim Abholen waren sie total verstört. Das kam immer öfter vor und hat mich schließlich misstrauisch gemacht. Dann hat die Kleine beim Wickeln eine richtige Panikattacke bekommen, die mittlere hat erzählt, dass ein Junge zum Essen gezwungen wurde. Sie hatten plötzlich Schlafstörungen und Albträume, haben geweint, hatten Angst und haben seltsame Sachen erzählt. Ich habe ihnen zugehört und immer mehr erfahren. Ein Junge aus der Nachbarschaft hat auf einmal angefangen zu stottern. Vieles ist mir erst im Nachhinein klar geworden. Und auch, dass es meine Töchter längst nicht am schlimmsten getroffen hat.

Sie haben sich sehr intensiv mit dem Fall beschäftigt, halten Kontakt zu Behörden und anderen Eltern. Wie viele Kinder sind nach Ihren Recherchen betroffen?

Nach allem, was ich weiß, geht es um zwölf Kinder. In der Anklageschrift werden aber nur die Fälle von sieben Kindern unmittelbar angesprochen.

Offiziell wurden die Vorwürfe zum ersten Mal am 6. Dezember 2013 bei einem Elternabend thematisiert. War das für Sie zufriedenstellend?

Keineswegs. Damals waren neben Eltern die betroffenen Erzieherinnen eingeladen, anwesend waren Vertreter von Landes- sowie Kreisjugendamt und der VG Adenau. An diesem Abend gab es Null Aufklärung und Information. Die Vorwürfe kursierten schon seit August 2013. Es war eine Frechheit, dass wir von den Behörden so lange kein bisschen informiert worden sind. Mein Eindruck ist, dass vor allem die VG versucht hat, die ganze Geschichte zu verschleiern und zu vertuschen und dass bei uns Eltern überhaupt keine Informationen ankommen sollten.

Wie meinen Sie das?

Die Vorwürfe sind ja letztlich erst öffentlich geworden, weil zwei Kita-Angestellte sie der Verbandsgemeinde Adenau als Einrichtungsträger gemeldet haben. Man hat ihnen daraufhin sehr deutlich gemacht, was man von ihren Aussagen hält. Außerdem ist zunächst eine beschuldigte Erzieherin freigestellt, dann wieder eingestellt worden, da man gesagt hat, dass an den Vorwürfen nichts dran sei. Es gab keine Informations- oder Aufklärungsarbeit. Uns Eltern sind keine Details oder Vorwürfe mitgeteilt worden. An einer späteren Elternversammlung durften diejenigen nicht teilnehmen, deren Kinder nicht mehr in der Kita waren.

Irgendwann hat sich auch die Kripo bei Ihnen gemeldet.

Ja, ein Polizist rief an und sagte, dass meine jüngste Tochter, sie war damals zweieinhalb, in einer Aussage benannt worden sei. Da wurde ich immer nervöser.

Haben Sie die Erzieherinnen nie direkt mit den Vorwürfen konfrontiert?

Doch, das habe ich schon 2012 getan. Aber sie haben alles abgewehrt. Man gibt ihnen ja auch ein gewisses Vorschussvertrauen und weiß, dass die Kinder zuhause auch schon mal bockig sind und rechnet niemals damit, dass solche unglaublichen Methoden noch heute angewandt werden könnten.

Bei den Eltern im Kindergarten ist von zwei Lagern die Rede: Die einen erheben diese unglaublichen Vorwürfe, für die anderen sind sie nicht nachvollziehbar. Wie erklären Sie sich das? Es war ja die selbe Kita.

Viele Eltern sind in den Dörfern verwurzelt. Sie trauen sich vielleicht nicht, sich so öffentlich zu äußern. Aber sie fiebern dennoch mit uns mit. Es sind meiner Meinung nach eher wenige Eltern, die die Vorwürfe nicht glauben. Vielleicht wollen sie es auch nicht, haben eine Schutzfunktion aktiviert und versuchen, es zu verdrängen, um nach vorne zu schauen.

In der Öffentlichkeit sind es vor allem Sie, die die Misshandlungsvorwürfe erhebt. Warum?

Weil ich möchte, dass das ganze lückenlos aufgeklärt wird. Diese Vertuschungspolitik hat mich unglaublich zornig gemacht. Besonders dieser unsägliche Elternabend Anfang Dezember 2013. Auch der wurde nur einberufen, weil zunächst eine Familie mehrmals nachgefragt hat und es dann auch andere getan haben. So kann man mit solchen Vorwürfen einfach nicht umgehen.

Das alles kostet eine Menge Zeit und auch Nerven.

Ja, ich bin voll berufstätig, habe drei Töchter und ein Haus. Besonders in der ersten Zeit nach Bekanntwerden der Vorwürfe habe ich kaum geschlafen und war nervlich am Ende. Ohne die Unterstützung meines Mannes, meiner Eltern und die gegenseitige Unterstützung der anderen betroffenen Eltern hätte ich das nicht geschafft.

Hätten Sie gedacht, dass es nach all den Jahren überhaupt noch zu einem Prozess kommt?

Nein, ich hatte den Glauben an unser Justizsystem verloren. Auch wenn alle sicher ihr bestes getan haben.

Was erhoffen Sie sich von dem Prozess?

Mein Fernziel ist, dass wir endlich mit der Geschichte abschließen und nach vorne schauen können. Das zermürbt auf Dauer unheimlich. Ich wäre schon zufrieden, wenn ein Schuldspruch herauskommt, wonach die Angeklagten keine Menschen mehr in ihrer Abhängigkeit haben dürfen.

Das Interview führten Uli Adams und Jan Lindner

Meistgelesene Artikel