Rech

Nach der Katastrophe: In Rech verlässt man sich lieber auf Selbsthilfe

Von Christian Koniecki
Der Weinort Rech wurde stark betroffen.
Der Weinort Rech wurde stark betroffen. Foto: Christian Koniecki

Normalität und Apokalypse liegen an der Ahr auch am achten Tag nach dem verheerenden Ahrhochwasser dicht beieinander. Während an diesem sommerlich sonnigen Mittwoch in den Dörfern der Grafschaft Post und Lieferdienste wie immer ihre Pakete zustellen, gibt es unten im engen Ahrtal mancherorts nicht einmal mehr Straßen und Häuser. So auch in Rech, dem Weinort zwischen Dernau und Mayschoss.

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Der Weinort Rech wurde stark betroffen.

Christian Koniecki

Einsatzkräfte helfen, doch im Ort weiß man sich vielfach auch selbst zu helfen.

Christian Koniecki

Die Schäden im Ort werden erst langsam sichtbar.

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Eine Behelfsbrücke soll die Versorgung sichern.

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Wohin mit dem ganzen Müll?

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Wasser bei Hitze – geht nur per Boot.

Christian Koniecki

Den Vorplatz vor dem Restaurant „Weinhaus Ahrblume“ gibt es noch. Dort steht ein rotes Zelt der Feuerwehr und dort hat sich eine der Einsatzzentralen eingerichtet. „Freiwillige Feuerwehr Bennewitz“ steht auf dem Einsatzleitwagen. „Die Eifel kannten wir schon, vom Ahrtal hatte ich noch nie etwas gehört“, gesteht Einsatzleiter Olaf Ettig, der hier die Fäden in der Hand hält. „Wir versuchen, so gut es geht, alles zu koordinieren und die Hilfe zu organisieren“, sagt er, bevor er wieder dringend etwas regeln muss. Hilfe ist da, etwa von der Bundeswehr: Ein Pionierbatallion aus dem ostwestfälischen Minden lädt gleich neben der Einsatzzentrale Bauteile ab, die bis zum Abend eine schwimmende Stegbrücke für Fußgänger werden sollen. Bis sie fertig ist, pendeln Schlauchboote der Bundeswehr zwischen dem nördlichen Ortsteil an der Bundesstraße 267 und dem südlichen Teil hin und her.

Dieser Ortsteil, hinter dem sich gleich die Steilhänge erheben, ist von der Außenwelt weitgehend abgeschnitten, seit die historische Nepomukbrücke zum größten Teil eingestürzt ist. Das historische Ahrhochwasser von 1910 hatte sie noch als eine von zwei Brücken im Ahrtal überstanden, das Hochwasser 2021 nicht. Drei Brückenbögen stehen noch, den vierten hat die Kraft des Wassers samt einem großen Teil des südlichen Ufers fortgerissen.

Langsam wird es voller vor dem Einsatzwagen und dem roten Zelt. Die erschöpften und teils von der Sonne verbrannten Einwohner sowie viele Helfer versammeln sich, denn um 12 Uhr will Ortsbürgermeister Dominik Gieler über einen Lausprecher die aktuellen Neuigkeiten verkünden. Und in der knapp 20-minütigen Information an die Einwohner und Helfer wird schnell klar: Die Hilfen, die funktionieren, hat man im Ort selbst organisiert. „Weil ich mit der Polizei im Moment leider nicht zuverlässig planen kann, haben wir uns hier im Ort mit der Feuerwehr etwas anders organisiert“, sagt Gieler, im Beruf selbst Polizist, gleich zu Beginn. Wer Medikamente, Wasser, Helfer, was auch immer benötigt, solle sich an die Helfer im roten Zelt wenden. Den Ort selbst hat man in Abschnitte eingeteilt, das THW sei auch endlich da, und deren Experten würden beispielsweise die Standfestigkeit der Häuser begutachten.

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Das Haus von Peter Baltes ist eines von denen, die eine Begutachtung benötigen, denn wo einst der Garten war, klafft jetzt ein gut vier Meter tiefer Krater. An dessen Grund schwappt eine giftgrüne, stinkende Brühe aus Heizöl und allerlei undefinierbaren Flüssigkeiten. Teile der Fundamente des Hauses liegen frei. Polizisten aus Berlin und andere Helfer hätten beim Leerräumen der unteren Etage geholfen, ruft er über den Krater zu. Ob es denn von irgendwoher finanzielle Hilfe gebe, der Hausrat sei doch nicht gegen Elementarschäden versichert, will er unter Tränen wissen.

„Ich glaube nicht, dass ich weiter mache und noch einmal von vorn anfange“, sagt Helmut Niethen. Sein Weinhaus „Zum alten Pfarrhaus“ steht immerhin noch, eine erste Begutachtung von Statikern hat das Okay ergeben, das ehemals beliebte Restaurant mit der hübschen Terrasse zu betreten. Inzwischen ist es komplett leer geräumt. „Alles kaputt, nichts mehr da“, sagt er. Dabei hängt im Flur noch ein Leuchter und in der ehemaligen Küche eine Wanduhr. Sie blieb am vergangenen Mittwoch um 23.23 Uhr stehen, als der Wasserstand der Ahr im alten Pfarrhaus die Höhe des oberen Türrahmens erreicht hatte.

Die Bundeswehr und Baufahrzeuge sind auch auf den Ahrwiesen emsig, wo sich bis zur vorigen Woche der große Wohnmobilparkplatz befand. Dort hat die Bundeswehr mit einem Brückenpanzer einen provisorischen Ahrübergang für Fahrzeuge geschaffen. Nun ist man dabei, einen halbwegs stabilen Fahrweg in den sumpfigen Wiesen aufzuschütten, damit schwere Fahrzeuge dort nicht stecken bleiben. Und auch der tiefe Krater vor dem Weingut St. Nepomuk, wo einst die Bundesstraße um eine Kurve führte, muss erst noch so verfüllt werden, dass wenigstens Lastwagen die Panzerbrücke vom Ort aus anfahren können.

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Derweil organisiert Ortsbürgermeister Gieler weiter: „Die mobilen Toiletten sind aufgestellt, weitere werden folgen. Und bitte, benutzt nicht die Toiletten in euren Häusern, denn die Kanäle sind verstopft. Auch den Schlamm nicht mehr auf die Straße oder in den Kanal schippen, bitte alles erst einmal direkt in die Ahr“, gibt er die Parolen aus. „Eine mobile Dusche ist jetzt vorn im Ort aufgebaut, aber ich bin mit Firmen im Kontakt: Weitere werden kommen“, kündigt er an. „Angebote für mobile Küchen habe ich viele, aber fast immer ohne Personal – und wir haben ja wohl gerade kaum die Zeit, nach dem Aufräumen auch noch selbst zu kochen.“

Wenn Gieler die Helfer von Feuerwehr, Bundeswehr oder die Trupps vieler Freiwilliger erwähnt, brandet immer wieder spontaner Applaus der Umstehenden auf. Man ist dankbar für die große Hilfsbereitschaft, aber auch ziemlich verwundert, dass diese überwiegend auf Eigeninitiative im Ort oder das Engagement zugereister Helfer basiert. Von den Behörden und dem Land fühlt man sich in Rech im Stich gelassen, auch eine Woche nach der Katastrophe. Aber noch hat man keine Zeit, sich darüber große Gedanken zu machen. Jetzt muss angepackt werden.

Ortsbürgermeister Dominik Gieler organisiert die Selbsthilfe in dem Weinort Rech offensichtlich gut. „Schreiben sie das ruhig, was dieser Mann hier leistet“, ruft einer der Umstehenden. „Und das unter diesen Umständen ...“ Gemeint ist damit wohl das bislang einzig bekannt gewordene Opfer in dem schwer zerstörten Ort. Das Haus einer alten Dame soll in der Flutnacht fortgespült worden sein, die Frau wird seitdem vermisst. Es soll die Mutter Gielers sein, heißt es.

So ist die Situation bei den Winzern

„Wir sind Winzer, wir machen weiter.“ Otger Schell, Seniorchef vom Weingut Max Schell in Rech, gibt sich kämpferisch. Sein Sohn Oliver hat in dem Weinort die Aufgabe bekommen, alles rund um die Winzer, die hier den Haupterwerb für den Ort und den Tourismus bilden, zu koordinieren.

„Morgen oder in den nächsten Tagen kommt der Hubschrauber und spritzt die Reben mit Pilzmitteln“, hatte gerade noch Ortsbürgermeister Dominik Gieler verkündet. „Die Hilfsbereitschaft von Winzern aus der ganzen Bundesrepublik ist unfassbar“, sagt Otger Schell. Er selbst konnte sich in der Flutnacht nur ganz knapp selbst retten. „Ich wollte unsere Halle sichern, hatte nach dem Hochwasser 2016, als das Wasser dort 30 Zentimeter hoch sand, gelernt“, berichtet er. „Hinter dem Tor habe ich eine kleine Spundwand gebaut, vorsichtshalber doppelt so hoch wie damals. Und eine große Pumpe hatte ich in der Halle. An dieser hatte ich gerade herumgeschraubt, als das Rauschen richtig laut wurde und das Wasser über meine Spundwand strömte. Nach Sekunden stand ich wirklich bis zum Hals im Wasser. Mein Erntehelfer aus Polen konnte mich gerade noch herausziehen.“

Auch wenn zahlreiche Betriebe ihr Inventar verloren haben und die Keller und geräschaften schwer beschädigt sind: „Wir bauen alles wieder auf und machen weiter“; sagt Schell voller Überzeugung. Winzerkollegen aus ganz Deutschland kommen oder schicken Helfer, um die Reben im Weinberg zu pflegen. Auch 2021 soll es an der Ahr eine Weinlese geben. Und vollkommen unabhängig von der Qualität: Der 2021er-Ahrwein wird in jeglicher Hinsicht ein ganz besonderer Jahrgang.

Flutkatastrophe im Ahrtal
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