Martin-Luther-Kirche von Bergen aus Schlamm befreit: Gotteshaus soll wieder Ort der Zuflucht werden
Soldaten der Bundeswehr und das Technische Hilfswerkes arbeiten seit den Morgenstunden an der Befreiung der Kirche von Schlamm. Militärisch geordnet sieht es aus, wenn die in Camouflage Gekleideten in einer Linie die Schippen vor und zurück schieben. Daniel Baumgarten vom Ortsverein Simmern des Technischen Hilfswerks, erklärt, dass man zunächst den Boden der Kirche rausgerissen habe. Das Tandem aus THW und Bundeswehr beschreibt er wie folgt: „Wir haben die Technik und die Bundeswehr hat die Manpower.“Als ausgezeichnet bewertet er dabei die Kooperation.
Ungefähr genauso viele Helfer wie von der Zivil- und Katastrophenschutzorganisation des Bundes sowie vom Militär sind privat hier – Staat und Bürger Hand in Hand: So tragen fünf junge Männer aus Alzey bei Mainz gerade farbeimergroße Behälter mit Dreck aus dem Innenraum der Kirche. Am Morgen stand ihnen die braune Brühe noch bis zu den Knien, berichten die Studierenden. Gegen Nachmittag haben sie und die vielen Helfer die Überbleibsel der Sintflut schon einmal auf Knöchelhöhe herunter gearbeitet. Eigentlich bräuchte man für diese Arbeit Güllepumpen, erklärt einer der Jungs. Die sind nur eben nicht verfügbar. „Als man die Bilder im Fernsehen sah, war das alles noch nicht greifbar. Hier kam dann das Entsetzen“, erklärt einer von ihnen, gerade beim Anblick der demolierten Autos und der zerschmetterten Brücken. „Das kam im Fernsehen nicht so rüber.“ Bei aller Demut lassen sich die jungen Männer aber auch den Spaß am Helfen nicht verderben: „Dass wir hier sind und helfen können, gibt uns eine wahnsinnig positive Energie.“
Bärbel aus Bendorf (Landkreis Mayen-Koblenz) macht gerade eine kleine Pause, der Matsch trocknet in der Mittagssonne auf ihrer Kappe. Sie ist privat hier. Ihr Arbeitgeber hat sie freigestellt. „Mein erster Eindruck war: Dramatisch“, sagt sie. Groß profilieren möchte sie sich nicht, möchte deshalb auch keinen Nachnamen verraten, sie will helfen – und einen wichtigen Tipp mitgeben: Freiwillige sollten nicht blindlings nach Bad Neuenahr fahren, sondern sich vorher informieren, wo Hilfe benötigt wird, und wo man parken kann.
Philipp Gauh ist nicht das erste Mal in der Martin-Luther-Kirche. Allerdings ist er das erste Mal mit einem Shuttlebus gekommen, um diese von Schlamm zu befreien. In Bingen arbeitet er bei der Kirche in der Verwaltung, kümmert sich in der Freizeit noch um die Jugendarbeit für Gläubige. So manche Veranstaltung hat ihn schon hierher gelockt. Er weiß nicht so recht, was er da während seiner Verschnaufpause isst: „Vielleicht Kartoffeleintopf, aber es schmeckt“, sagt er lachend. Wie die meisten hier ist er gut drauf. Wenn auch, wie bei den meisten hier, die ersten Gedanken sehr düster waren: „Ich höre gerade ein Buch über die Apokalypse. Und als ich hier ankam, dachte ich, so muss es dabei aussehen.“ Am meisten hat ihn der Anblick der nicht mehr vorhandenen Brücke entsetzt. Genau auf diese Lücke schaut er aus dem Kircheneingang bei jedem Eimergang mit Schlamm. Während Gauh zwar gläubig und in der Kirche aktiv ist, hat die Säuberung dieser für ihn aber keine höhere Bedeutung, als die Rettung eines Wohnhauses, bei dem Menschen betroffen sind.
Sascha Wagner aus dem Kreis Altenkirchen nutzt die Kühle der Kirche und schaut über das bisher Geschaffte. Er ist ebenso privat hier und war morgens bereits in Sinzig unterwegs. Nicht nur mit der Räumung einer Wohnung konnte er eine ältere Dame dort glücklich machen. Das ganze Auto haben er und ein Kollege voller Lebensmittel für Hilfsbedürftige geladen. Ausgerechnet mit etwas so kleinem und banalem wie einem Vanillehörnchen sorgte er bei der alten Dame aus der Barbarossastadt dann für Freudentränen. Abgeschreckt haben den Informationstechniker die Anblicke der Kurstadt nicht: Am Wochenende will Wagner auf jeden Fall wieder kommen.
Bei aller Positivität und Solidarität gibt es auch Menschen, die sich ärgern: „Warum hilft das Militär bei der Kirche, aber nicht bei unseren Häusern?“, echauffiert sich eine Mittdreißigerin, während sie durch den Schlamm der Telegrafenstraße watet. Auf dem Platz vor der Kirche treffen sich Telegrafen-, Post-, Georg-Kreuzberg- und Lindenstraße mit der über die Kurgartenbrücke führenden Kurgartenstraße. Die Brücke ist nicht mehr da, von ihr ist nach der Flut noch weniger übrig geblieben als von der Brücke von Remagen nach dem Krieg – so stark hat das Wasser gewütet. Während die Brücke gänzlich neu gebaut werden muss, wird es womöglich gar nicht so lange dauern, bis Menschen in der Martin-Luther Kirche Bad Neuenahr wieder Zuflucht und Hoffnung finden – dank solidarischen Menschen aus ganz Deutschland.