Kreis Ahrweiler

Kreis Ahrweiler nach der Flutkatastrophe: Zwischen Seuchengefahr und Unwetterwarnungen – und warum es immer wieder Ärger um technische Hilfe gibt

Immer wieder versperren Bäume und anderes Treibgut den ruhigen Abfluss der Ahr. Bei Starkregen droht ein Rückstau.  Foto: Jochen Tarrach
Immer wieder versperren Bäume und anderes Treibgut den ruhigen Abfluss der Ahr. Bei Starkregen droht ein Rückstau. Foto: Jochen Tarrach

Als wäre nicht alles schon schlimm genug: Zum Entsetzen über die am Freitag 132 Toten und 768 Verletzten der Flutkatastrophe, die brutale Verwüstung des gesamten Ahrtals, ein Leben ohne Wasser, Strom und stabiles Mobilfunknetz, kommt jetzt auch noch die Gefahr von Seuchen auf die Menschen von Schuld bis Sinzig zu. Und auch die Wetterprognose für den Samstag macht den Menschen große Angst. Im Südwesten kann es zu Starkregenereignissen und schweren Gewittern kommen – auch im geschundenen Ahrtal.

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Thomas Linnertz, Leiter des Krisenstabes, erklärte bei der täglichen Pressekonferenz in Ahrweiler, dass sich eine eigens dafür eingerichtete Arbeitsgruppe auf mögliche Überschwemmungen vorbereitet. Laut Deutschem Wetterdienst sei für Samstag zunächst „Landregen“ angesagt, für den Nachmittag seien lokale Gewitter und lokaler Starkregen möglich. Für verlässliche Vorhersagen, wo der Regen niedergehe, sei es am Freitag noch zu früh. „Wir haben am Samstag eine Vorlaufzeit von sechs Stunden, um zu wissen, wo es stark regnet.“ Eine flächendeckende Evakuierung der Bevölkerung und Tausender Helfer sei nicht zu erwarten, eine partielle Räumung bestimmter Orte schloss er dagegen nicht aus. Denn mehr noch als die Ahr kann laut Linnertz das Oberflächenwasser zum Problem werden. Wegen kaputter Abwasserleitungen und verstopfter Kanäle kann das Wasser nicht abfließen. In den möglicherweise betroffenen Bereichen will man die Menschen mit Lautsprecherdurchsagen warnen. In der Grafschaft wurde eine weitere Notunterkunft für 1000 Leute eingerichtet, Busse sollen die Menschen im Notfall dorthin bringen.

Dass die Ahr sich wieder staut, schließt er nicht aus. Zumal besonders im Bereich von ehemaligen Brücken, Bergen von Schrott, Bäumen, Autos und Campingwagenteilen, den Durchfluss der Ahr behindern. Bei der Beseitigung dieser Bereiche habe man aber Erfolge erzielt. Mit mobilen Pegeln will man zudem den Wasserstand verfolgen und im Notfall reagieren. Weiterhin sind weggerissene Straßen und Brücken eines der Hauptprobleme von Feuerwehren, THW und Bundeswehr. Was sich an der Tatsache zeigt, dass die Hilfskräfte erst am Freitag die rund 400 Einwohner von Kirchsahr in einem Nebental der Ahr auf dem Landweg erreicht hätten. Neun Tage war das Tal von Altenahr-Kreuzberg aus sich selbst überlassen.

Für Linnertz läuft die Arbeit an den mittlerweile 31 Servicepunkten in den Ortschaften entlang der Ahr gut. Hier gäbe es Lebensmittel, Trinkwasser, eine medizinische Erstversorgung und Medikamente für die Menschen in ihren kaputten Dörfern und Städten. Flugblätter mit Hilfsangeboten würden ebenso verteilt wie die Anträge auf Soforthilfe des Landes. „Das ist wichtig für alle, die kein Internet oder einen Drucker haben. Die Menschen dürfen nicht das Gefühl bekommen, dass sie auch bei der Verteilung von Hilfsgeldern zu kurz kommen. 1600 Feuerwehrleute aus ganz Deutschland, 2000 THW-Mitarbeiter, 800 Mitarbeiter im Sanitätsdienst und 1000 Polizisten sind weiterhin im Einsatz im Ahrtal“, erklärt Thomas Linnertz. Und er weiß auch, dass nicht alles rund läuft. Die Verärgerung bei den Menschen, die Hab und Gut verloren haben, wird immer größer. Wie kann es sein, dass freiwillige Helfer so viel früher vor den offiziellen Rettern in den Orten ankommen und helfen? Warum lassen Soldaten, Feuerwehr und THW scheinbar unbeteiligt die Menschen allein Schlamm und Geröll aus den Häusern räumen? Linnertz bittet um Verständnis: „Jeder hat seine Aufgabe und jeder muss auch für diese Aufgabe zur Verfügung stehen. Wenn die Feuerwehr nur am Rand steht, dann, weil wir sie für einen möglichen Brand oder Unfall, ein Gasleck oder einen anderen Einsatz brauchen. Dann können wir die Leute nicht in den einzelnen Häusern suchen gehen.“

Gründe dafür, warum die Organisation der Hilfskräfte länger gebraucht habe, erklärt er mit der rund 50 Kilometer langen Strecke, auf die sich das Katastrophengebiet erstreckt. Das könne man sogar noch verdoppeln, weil man wegen fehlender Brücken ja zwei Seiten der Ahr anfahren müsse. „Private Helfer und Familienangehörige können einfach versuchen zu den Menschen zu kommen, große Verbände kann man einfach nicht ohne Ortskenntnisse losschicken“, erklärt Linnertz. Und er erinnert: „Viele der Tausend Helfer sind ehrenamtliche Helfer.“ Mittlerweile scheint er jedoch Vertrauen in seine Strukturen zu haben. „Wir haben das Ahrtal in vier Überabschnitte aufgeteilt, und die nochmals in Unterbezirke für Gemeinden oder Ortsteile. Diese Bereiche können gezielt ihre Wünsche an die Hilfskräfte abrufen.“ Auf die Frage, warum denn kein Mitarbeiter der Kreisverwaltung die ganze Woche an der Pressekonferenz teilgenommen habe, gibt es zunächst nur ein Schulterzucken von Linnertz. Und: „Wir stehen im engen Kontakt mit der Kreisverwaltung und arbeiten gut zusammen.“

Aus dem Katastrophengebiet berichten Uli Adams, Beate Au, Nicolaj Meyer, Christian Koniecki, Tim Saynisch, Lars Tenorth, Judith Schumacher, Horst Bach, Gabi Geller, Tobias Lui, Mirjam Hagebölling, Michael Stoll

Zwischenbericht der Polizei: Zahl der Plünderer ist niedrig – weiterhin 149 Menschen vermisst

Ahrtal. Wenn es Nacht wird im Ahrtal, gehen die Taschenlampen an. Und bei den Menschen, die wegen zerstörter oder nicht bewohnbarer Häuser das Katastrophengebiet verlassen müssen, geht die Angst vor Plünderern um. „Uns erreichen täglich viele Anrufe, dass man Licht und Bewegung in Häusern der Umgebung sieht“, sagt Florian Stadtfeld vom Polizeipräsidium Koblenz. Doch in den allermeisten Fällen sei es so, dass es sich um Hauseigentümer, Mieter oder deren Familienangehörige handele, die noch nach Brauchbarem suchten oder auch aus anderen Gründen in ihren Häusern und Wohnungen unterwegs seien. „Die Polizei ist 24 Stunden vor Ort, reagiert auf jeden Anruf und informiert sich vor Ort, wer da durch die Gegend zieht“, erklärt Stadtfeld. Tatsächlich seien bisher erst drei Plünderer festgenommen worden.

Noch 149 Vermisste gab es am Freitag, erklärt Stadtfeld. Man sei immer noch guter Hoffnung, dass sich viele dieser Fälle erklären lassen, die Menschen noch am Leben sind. Die Frage, wie hoch der Anteil der Auswärtigen – Urlauber, Geschäftsleute, Rehagäste – an den Vermissten ist, kann er nicht sagen. Was er weiß: „Von den Campingplatzbetreibern haben wir die Information, dass rechtzeitig gewarnt wurde und die Leute die Plätze verlassen haben.“

Flutkatastrophe im Ahrtal
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