Ahrtal

Kölsche Tön als Balsam für geschundene Seele: Musiker verarbeiten auch eigenen Fluterlebnisse

Von Judith Schumacher
„We AHR family“ heißt die CD. Jeder eingenommene Cent fließt an Hilfsprojekte an der Ahr. Foto: Judith Schumacher
„We AHR family“ heißt die CD. Jeder eingenommene Cent fließt an Hilfsprojekte an der Ahr. Foto: Judith Schumacher

Mit dem Song „We AHR Family“ der über die Kreisgrenzen hinaus bekannten Band Jeckediz bekommt das Ahrtal eine Hymne für die Flutopfer, die ihnen und den Menschen anderer betroffenen Regionen Mut und Hoffnung geben soll. Bei der Veranstaltung „Berglicht“ auf dem Kalvarienberg begeisterte Jeckediz schon damit ihr Publikum, und sie gab auch bekannt, dass jeder eingenommene Cent an Hilfsprojekte an der Ahr fließen soll.

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Angesichts der in großen Teilen immer noch katastrophalen Verhältnisse, unter denen die Bewohner des Ahrtals leiden, sollen die kölschen Liedzeilen, etwa „Mach dir keen Sorje, du bes net allein, mir weede dat stemme“ und „Dat wird uns die Flut nit nemme“, Zuversicht schenken. Und die Jungs von Jeckediz wissen, wovon sie singen.

Zwei von ihnen, Dirk Schoenmackers und Andreas Hoß, waren als Feuerwehrleute auch in der Flutnacht im Einsatz, ebenso wie die Wochen danach. „Wir haben ein Lied für euch, was euch auf den Leib geschrieben ist“: Diese Nachricht bekamen die Bandmitglieder von Jeckediz über ihren Bekannten Milan Kacavenda Anfang November. „Josh“ Jürgen Hallfeld von Sidewalk und Daniel Müller von der bekannten Formation Fiasko hatten „We AHR Family“ komponiert und getextet.

„Wir waren drauf und dran, selbst ein Stück zu schreiben, aber da war noch zu viel Dunkelheit, zu präsent die dunklen Seiten, die man erlebt hat, und die Distanz, um Hoffnung geben zu können, noch zu groß“, sagt Dirk Schoenmackers, der in der Flutnacht als Feuerwehrmann in Gimmigen seinen Dienst tat. Sein Feuerwehrkamerad und Bandkollege Andreas Hoß sowie der Techniker der Band, Marco Moro, waren in Heimersheim im Einsatz. „Die Ohnmacht ist das Schlimmste. Man steht mit den Stiefeln im Wasser, dann in einem Schwall bis zur Hüfte. Wir hörten die Leute schreien und konnten nichts mehr machen. Bei all den erschreckenden Situationen und den vielen Erlebnissen verliert man das Zeitgefühl. Bei normalen Feuerwehreinsätzen kann man etwas machen, aber bei manchen Situationen in dieser Nacht war einfach nur noch Rückzug angesagt. Es überrollte einen – man saß gerade wieder im Auto, da kam der nächste Einsatz“, vergegenwärtigt Dirk Schoenmackers die schmerzlichen Erinnerungen.

An dem Tag der Flut stand der Sonderpädagoge noch nachmittags an der Levana-Schule und besah sich die Ahr. „Wir hatten wegen des vielen Regens einen Auftritt für das Sommerfest einer Behinderteneinrichtung aus Rheinbach in einer Hütte bei Altenahr abgesagt. Beim Anblick der Ahr hatte ich mir noch überlegt, ob das wirklich nötig gewesen ist“, erinnert sich der Sänger der Band. In der Nacht hatte ihn dann eine WhatsApp-Nachricht aus Mayschoß erreicht, ob er einen Hubschrauber schicken könne.

Schoenmackers erinnert sich auch noch gut an die Hochwasserereignisse 2016 in Gimmigen, wo das Regenrückhaltebecken von Nierendorf drohte, das ganze Dorf zu überfluten. „Die Feuerwehr wird immer mehr zur Wasserwehr. Ich frage mich, was hinterlasse ich meinen Kindern, wenn ich mir jetzt die Stellen an der Ahr ansehe, wo ich selbst als Kind gespielt habe. Es muss ein echtes Umdenken geben“, ist Dirk Schoenmackers fest überzeugt.

Die Band steht voll hinter ihrem im November mit der Unterstützung von Milan Kacavenda produzierten und in Jürgen Hallfells Studio aufgenommenen Lied. „Wenn ich es höre, dann denke ich, wenn ich eines geschrieben hätte, würde es sich genauso anhören. Aber noch Wochen nach der Flut hatte ich nicht das Gefühl, mich jetzt einfach irgendwo hinstellen zu können und fröhliche kölsche Lieder zu singen, wenn immer noch Leichen gesucht werden und die Menschen hoffen, dass sie ihre Angehörigen wiederfinden“, erzählt der Feuerwehrmann.

Zwei Wochen nach der Flut war Schoenmackers mit seinem Neffen auf der Sommerrodelbahn in Altenahr. „Mein Schwager aus Dernau rief mich an, ich solle vorbeikommen, es würden dort die Rabaue, die Räuber und die Höhner spielen. Ich habe mit mir gekämpft, mich dann aber überwunden, hinzufahren. Das war für mich eine Art Initialzündung. Wir haben zusammen geheult und gesungen, und ich habe gesehen, dass die Menschen die Musik wieder brauchen und annehmen können“, berichtet Dirk Schoenmackers. Ihm selbst habe es Hoffnung gegeben, als er erfahren hat, dass Senioren, die von den Einsatzkräften aus einem Wohnheim gerettet wurden, alle überlebt haben.

Ein Zeichen der Hoffnung ist auch die Sonnenblume, die sich aus den Trümmern erhebt, wie auf dem Cover von „We AHR Family“ zu sehen ist. Das Foto hat Sabine Surges gemacht. Das Lied ist zwar auch bei Streamingdiensten wie Apple Music, Amazon Music und Spotify zu hören. Aber dabei fallen als Spenden für Hilfsprojekte lediglich Centbeträge ab. „Wir haben an den Verkaufsstellen eine Mindestspendensumme in Höhe von 5 Euro angesetzt, alle Einnahmen fließen gänzlich an Projekte für Flutopfer“, betont Dirk Schoenmackers.

Kaufen kann man die CD in der „Plattenkiste“ in Bad Neuenahr (Pop-up-Mall), bei „Brettspielheld“ in Ahrweiler (Pop-up-Mall), bei Floristik Blumenberg in Heimersheim, im Salon „Sabine“ in Heppingen, bei TSS Autoteile in Sinzig und Huther Kfz in Heimersheim. Die „Plattenkiste“ sendet die CD auch per Post zu. E-Mail an info@hugos-plattenkiste.de