Ahrtal

Hilfeschrei von der Mittelahr: Die komplette Infrastruktur für das Leben im Tal existiert nicht mehr

Von Beate Au
Ein Blick auf den Stadtkern von Altenahr zeigt die verheerenden Folgen der Flutkatastrophe. Die Stadt Rheinböllen will den Menschen in der Gemeinde beim Wiederaufbau helfen.  Foto: dpa
Ein Blick auf den Stadtkern von Altenahr zeigt die verheerenden Folgen der Flutkatastrophe. Die Stadt Rheinböllen will den Menschen in der Gemeinde beim Wiederaufbau helfen. Foto: dpa

100 Glockenschläge waren am Samstag aus dem Turm Kirche St. Martin in Dernau zu hören – einen für jeden bis dahin gezählten Toten im Kreis Ahrweiler. Die Dorfbewohner hatten sich zu einem stillen Gedenken versammelt. Arm in Arm standen sie da und sprachen sich gegenseitig Mut zu. Dernau gehört zu den Orten an der Mittelahr, die es besonders getroffen hat: Es gab bis Samstag 13 Tote, das Weindorf ist zu mehr als 90 Prozent zerstört. Und während die Weltöffentlichkeit auf das zerstörte Schuld und auf den Besuch der Kanzlerin dort schaut, ist vielen noch nicht bewusst, dass zwischen Liers und Dernau nicht nur eine Tourismusregion, sondern auch ein kompletter Lebensraum verschwunden ist.

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Hier haben sich Tragödien abseits jeglicher Kommunikation abgespielt. „Es ist nicht nur die Flutwelle von Schuld. In der Verbandsgemeinde Altenahr leben 11.000 Menschen, 8000 davon in den Ahrgemeinden, von denen jede desaströs zerstört ist, ja ausgelöscht wurde. Wir sind als Mittelahr nicht mehr existent“, sagt die Bürgermeisterin der Verbandsgemeinde, Cornelia Weigand. Es ist ihr Hilferuf. „Die Menschen hier stehen unendliches Leid durch. Man erkennt die Orte nicht wieder“, so Weigand, und die Furcht vor der Zukunft schwingt in ihren Worten mit. Sie glaubt, dass die finanzielle Hilfen, die kommen, nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein werden. „Der Wiederaufbau wird mehr als Muskelkraft brauchen“, sagt sie.

Ein Blick auf den Stadtkern von Altenahr zeigt die verheerenden Folgen der Flutkatastrophe. Die Stadt Rheinböllen will den Menschen in der Gemeinde beim Wiederaufbau helfen.

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Altenburg ist schwer getroffen.

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Ein Marienbild hängt noch in einem völlig zerstörten Zimmer eines Hauses im Ortsteil Altenburg.

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Das Aufräumen beginnt in Altenahr.

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Auch die Feuerwehr hat Fahrzeuge verloren. Fotos: dpa

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Die komplette Infrastruktur ist weggebrochen. Die von den einstigen Straßenverbindungen abgeschnittenen Orte werden mit geländegängigen Fahrzeugen über die Berge, also über Waldwege, angefahren und versorgt: Rech beispielsweise über die Route Steinerberg. Hinter dem Tunnel von Altenahr gähnt ein acht Meter tiefes Loch hinunter bis zum nackten Fels. Laach ist durch einen Felssturz am Durchbruch Lochmühle vom Rest der Welt getrennt. Es sind viele Helfer da, aber wir werden noch lange kein Wasser und keinen Strom haben“, so Weigand.

„Der Pegel kletterte in der Katastrophennacht auf 6 bis 7 Meter weit über die Hochwassermarke von 2016, die bei 3,70 Meter lag“, so Weigand. „Jetzt sieht es aus wie nach einem Tsunami“, sagt auch Frank Linnarz, Wehrleiter der Feuerwehr in der Verbandsgemeinde Altenahr. Er wüsste nicht, wie er das Ausmaß der Zerstörung zwischen Liers und Marienthal anders beschreiben sollte. In dem schwer zugänglichen Abschnitt waren die Menschen eingeschlossen von der braunen Flut, lange auf sich allein gestellt. „Wir haben es jetzt geschafft, in jede Ortslage über den Landweg vorzudringen“, so Linnarz. Das bringt weitere Herausforderungen für die Einsatzkräfte – physisch wie psychisch.

Es ist damit zu rechnen, dass beim Absuchen der Gebäude weitere Todesopfer gefunden werden. „Wir vermeiden es, dass Feuerwehrleute die Leichen bergen. Es könnten Freunde, Bekannte oder Verwandte darunter sein“, so Linnarz. Polizei, THW, Bundeswehr oder übernehmen diese Aufgabe. Die Rettungskräfte treffen auf traumatisierte Menschen. „Sie sind massiv angespannt, denn in fast jedem Ort gibt es Tote und Vermisste. Hinzu kommt die Existenzangst. Sie stehen unter Schock“, so Linnarz. „Wir versuchen, Seelsorger dort einsetzen zu können.“

„Teilweise gibt es Strom oder Wasser, manchmal aber auch nichts von beidem“, so Linnarz. Es geht darum, eine Versorgungs- und Verpflegungsinfrastruktur aufzubauen – unter schwierigen Umständen. An Brücken steht noch die in Hönningen, in Kreuzberg soll eine Behelfsbrücke das Überqueren für leichte Fahrzeuge wieder möglich machen, in Altenahr gibt es noch eine, die nur zu Fuß passiert werden kann. Und in Dernau an der Steinbergsmühle hat sich Treibgut gesammelt, das erst mit einem Bagger entfernt werden muss, um sie zu Fuß überqueren zu können. Viele Menschen sind bei Freunden oder Verwandten untergekommen, doch die Rückkehr zu einem normalen Leben ist noch weit entfernt.

Von unserer Redakteurin

Beate Au

Rettungseinsätze, die Spuren hinterlassen werden

Noch sind die Feuerwehrleute unter Adrenalin, funktionieren einfach. Doch sie haben winkende Menschen in Not erlebt, denen sie nicht helfen konnten. Diese Ohnmacht wird Spuren hinterlassen. Der Chef der Feuerwehren in der Verbandsgemeinde Altenahr, Frank Linnarz, sorgt sich um die psychische Gesundheit bei diesen Einsätzen. Es geht an die Grenzen dessen, was verkraftbar ist. Das empfindet auch Rudolf P. Schneider, ein erfahrener Feuerwehrmann aus Kreuzberg, so. „Zu Beginn haben wir an dem Katastrophentag noch Sandsäcke gefüllt, um Anwesen zu schützen“, berichtet er. Doch das habe man dann abgebrochen, als klar wurde: Es nützt nichts. Niemand habe damit gerechnet, dass es so kommt, dass die Flut innerhalb kürzester Zeit solche Dimensionen erreicht. Schutz vor dem Ertrinken bot nur noch die Flucht auf den Burgberg. Als der Hilferuf aus einem Haus am Sahrbach kam, begann ein Einsatz mit einem tragischen Ende. Einer von vielen, in denen Retter kapitulieren mussten. Die Frau im Rollstuhl, die man unter Mühe aus den steigenden Fluten gerettet hatte, kollabierte wenig später, musste reanimiert werden. Es gab keine Chance, dass ein Notarzt zu ihr durchdringen konnte. Sie starb. So etwas brennt sich ein in die Seele, ebenso groteske Szenen wie diese: Ein Familie, die auf das Dach ihres bereits wegschwimmenden Hauses gestiegen ist und sich mit einem Sprung auf das Garagendach des Nachbarn rettet.

Eine Entlastung bringen die aus allen Teilen Deutschlands ankommenden Kollegen. „Sie helfen beim örtlichen Brandschutz“, so Frank Linnarz. Denn auch die Infrastruktur der Feuerwehr ist stark angegriffen. Noch steht das Feuerwehrhaus in Altenahr, doch Linnarz rechnet damit, dass es ein Totalschaden sein könnte. Außerdem sind drei Fahrzeuge nicht mehr einsetzbar. bea

Flutkatastrophe im Ahrtal
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