Kreis Ahrweiler

Flut verursacht so viel Abfall wie sonst in einem Jahr: Wohin mit all dem Müll?

Von Anke Mersmann, Carsten Zillmann
Kipplader stehen nahe Ahrbrück vor einem Zwischenlager für Müll und Bauschutt. Der Berg, der entsorgt werden muss, ist gigantisch. Foto: dpa
Kipplader stehen nahe Ahrbrück vor einem Zwischenlager für Müll und Bauschutt. Der Berg, der entsorgt werden muss, ist gigantisch. Foto: dpa

„Alles wird gut“ hat jemand in die dicke Staubschicht auf der Heckscheibe mit dem Finger geschrieben. Irgendwann, bevor das Auto – von der Flut zu einem Totalschaden zertrümmert – mit schwerem Gerät nach ganz oben auf einen Stapel von Fahrzeugen gehievt wurde. Dort liegt der Wagen nun, die demolierte Spitze eines Schrotthaufens, von denen sich in der Friedrichstraße in Ahrweiler einer neben dem anderen türmt.

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Weiter unten in Richtung Ahr, auf dem Parkplatz am Ahrtor, werden die Schrotthaufen um ein Vielfaches übertroffen: Massiv und meterhoch stapelt sich hier alles, mit dem die Menschen lebten. Sofas, Elektrogeräte, Teppiche, Matratzen. Unzählige nützliche oder lieb gewordene Dinge türmen sich hier meterhoch auf. Die Menschen im Ahrtal mussten ihr Leben auf einen pampigen, braunen Müllberg werfen. Ein Schaufellader fährt auf und ab, am Sonntag noch durch den Schlamm wabernd, ist er inzwischen in einer dichten Staubwolke kaum zu sehen. Dieser Müllberg mag vielleicht einer der höchsten in Ahrweiler sein, doch in jeder Straße innerhalb des Flutgebietes dies- und jenseits der Ahr türmen sich unbrauchbar gewordene Möbel, Elektroschrott, Trümmer, einfach alles, was von Schlamm und Wasser überspült wurde. Doch nicht nur das dicht besiedelte Stadtgebiet wirkt wie eine überdimensionierte Deponie. Auch das einst pittoreske Örtchen Dernau ziert nun eine Art lang gezogener Schrottpyramide vom Ortsrand bis weit in Richtung Rech.

Nicht nur in dem „Alles wird gut“-Staubgraffito auf der Heckscheibe steckt eine positive Botschaft, sondern auch in den Abfallbergen: Die Menschen kommen voran mit dem Aufräumen, auch wenn noch so viel zu tun ist. Bleibt die Frage: Wohin mit den zig Tausenden Tonnen Müll und Schrott, die nicht nur in Ahrweiler, sondern überall im Hochwassergebiet entsorgt werden müssen?

Die deutsche Liebe zur Ordnung ist auf kaum einem Gebiet so innig wie bei der Abfallentsorgung. Das beginnt im Kindergarten oder in Integrationskursen, wo das Thema Mülltrennung selbstverständlich ausführlichst besprochen wird. Die Fortsetzung findet diese Obsession in Regularien, welcher Müll von wo in welche Deponie gebracht werden und auf welche Art er verwertet werden muss. In Verwaltungsdeutsch heißt das „Anschluss- und Benutzerzwang“. Kurz und knapp: Es ist kompliziert.

Wie in allen wirtschaftlichen Systemen gibt es im Augenblick vor allem ein Problem: Die Strukturen sind für den Normalbetrieb ausgelegt, Spitzen oder Ausnahmefälle wie ein Jahrtausendhochwasser sind – aus Kostengründen – nicht einkalkuliert. Weil der Müll aus den Hochwasserregionen größtenteils mit Schlamm verschmiert ist, sind Recyclingverfahren in weiten Teilen ausgeschlossen. Experten sprechen von der „thermischen Verwertung“ als einziger Möglichkeit. Zu Deutsch: Der Müll muss verbrannt werden. Der Haken: Laut der Interessengemeinschaft der Thermischen Abfallbehandlungsanlagen (ITAD) heizen die Müllverbrennungsanlagen schon jetzt am Limit. 21 Millionen Tonnen Müll können die kommunalen und privaten Anlagen verfeuern. Im vergangenen Jahr betrug die Auslastung bis zu 98 Prozent.

Bis also der Flutschrott in Flammen aufgehen kann, muss schnell eine Übergangslösung her. „Für solch große Mengen werden Zwischenlager gebraucht“, sagte Peter Kurth, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft (BDE), gegenüber der „Welt“. Während der Begriff „Zwischenlager“ einen kurzen Zeitraum andeutet, werden die Lager wohl eher mehrere Jahre lang Bestand haben. Der Kreis Ahrweiler plant nun, die mehr als 200.000 Kubikmeter Sperrmüll via Autobahn schnell auf die Müllumladestation „Auf dem Scheid“ bei Niederzissen zu transportieren.

In Rheinland-Pfalz hat die zuständige Ministerin Anne Spiegel (Grüne) bereits erste Schritte zur Entbürokratisierung des Abfalls eingeleitet: Die Struktur- und Genehmigungsdirektion (SGD) Nord habe kurzfristig eine Ausnahmegenehmigung für die Deponie Eiterköpfe im Kreis Mayen-Koblenz zur Ablagerung von Haus- und Sperrmüll gegeben, sagte Umweltministerin Anne Spiegel. Die Abfallentsorgungsbetriebe hätten in Abstimmung mit der SGD Nord auch noch andere Ablageflächen festgelegt. Die Deponie Eiterköpfe könne auch mit Öl belasteten Boden annehmen. Für den Elektronikschrott gebe es noch keine Lösung. Die SGD werde auch klären, wie mit den zahlreichen Autowracks umzugehen sei.

ITAD-Geschäftsführer Carsten Spohn verspricht eine intensive Koordination der Müllverbrenner über Bundesländergrenzen hinweg: „Die Mitgliedsunternehmen tun alles, um diese riesige Herausforderung zu meistern“, erklärte er in einer Pressemitteilung. Die gesamte Entsorgungsbranche arbeite eng zusammen, um die nötigen Kapazitäten für den Transport, die Sortierung und die thermische Behandlung zur Verfügung zu stellen. „Die Absprachen innerhalb der betroffenen Regionen laufen“, so Spohn. „Im Fokus stehen dabei vor allem die Berge von Sperrmüll, die jetzt schon aus den überschwemmten und unter Wasser gesetzten Gebieten angeliefert werden und die in den nächsten Wochen noch zu erwarten sind.“ Er verdeutlicht auch die Dimension der Aufgabe. Was in den Straßen gigantisch wirkt, ist es auch: „Denn besonders in den am stärksten betroffenen Regionen wie Eifel und Ahrtal fällt jetzt auf einen Schlag mehr an Sperrmüll an als sonst an Abfall in einem Jahr entsteht.“