Ahrweiler/Mendig

Ein neues Dorf für die Flutopfer: Mendig will Nachbarn mit offenen Armen empfangen

Von Ursula Samary
Auf dem Mendiger Flugplatzgelände, wo schon Rock am Ring dröhnte, entsteht ein Containerdorf für obdachlos gewordene Flutopfer. Wie der Bürgermeister sagt, bereiten sich Haupt- und Ehrenamtliche für diese Notfallvorsorge intensiv vor.
Auf dem Mendiger Flugplatzgelände, wo schon Rock am Ring dröhnte, entsteht ein Containerdorf für obdachlos gewordene Flutopfer. Wie der Bürgermeister sagt, bereiten sich Haupt- und Ehrenamtliche für diese Notfallvorsorge intensiv vor. Foto: Heinz Israel

Binnen wenigen Tagen ist auf dem Flugplatzgelände in Mendig (Kreis Mayen-Koblenz) ein Containerdorf entstanden. Dort sollen Flutopfer unterkommen, die vor dem Nichts stehen und noch keine neue Bleibe bei Verwandten oder Freunden gefunden haben. „Wir werden unsere Nachbarn mit offenen Armen empfangen“, verspricht Bürgermeister Jörg Lempertz (CDU) im Gespräch mit unserer Zeitung. Die ersten Menschen könnten von heute an aufgenommen werden. Die Verbandsgemeinde hoffe nur, dass das Land die Vergabe der Unterkünfte zügig regelt. Außerdem müsse das Land noch entscheiden, wer letztlich das Dorf auch betreibt. Wie es im Krisenstab des Landes heißt, handelt es sich um eine Notfallvorsorge. Derzeit funktioniere die Wohnungsbörse in der Ahrregion noch recht gut.

Lesezeit: 2 Minuten
Anzeige

140 Container bis Freitag

Mendig habe bei der Abfrage und der Suche des Landes nach passendem Gelände sofort ein Konzept für Unterkünfte vorgelegt, zumal man nahe dem Laacher See in direkter Nachbarschaft zum Kreis Ahrweiler liegt. Seit vergangenem Mittwoch herrscht auf dem Gelände geschäftiges Treiben. „In der ersten Ausbaustufe sollen bis Freitag 140 Container aufgebaut werden – bestenfalls für je zwei Personen. Familien mit Kindern sollen zwei Container erhalten, damit sie Wohn- und Schlafraum trennen können.“ Ausgestattet würden die Container mit Kleiderspinden, Tisch, Stühlen, WLAN und Betten, die Bundestagsabgeordnete Mechthild Heil (CDU) organisiert habe. Die Firma Stryker stifte 200 höhenverstellbare Betten, damit die Menschen nicht auf kargen Feldbetten schlafen müssten.

Geliefert werden die Container von einem Festivalorganisator aus Mülheim-Kärlich, wie Lempertz berichtet. Ein auf dem riesigen Gelände ansässiger Caterer, der auch Kantinen und Mensen beliefert, richte eine Cafeteria ein, wo die Menschen frühstücken und essen können. Zudem sollen ein Gesellschaftszelt des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) aus Hessen mit einer Fläche von 1000 Quadratmetern, zwei Container für Verwaltung und Organisation sowie zwei Sanitär- und Duschinseln bereitstehen. Bei entsprechender Nachfrage könne das Dorf auch noch ums Doppelte wachsen, sagt Lempertz. Da auf dem Gelände auch ein DRK-Ausbildungszentrum angesiedelt ist, könne man auf große ehrenamtliche wie professionelle Hilfe zählen, meint der Bürgermeister. Die traumatisierten Menschen müssten auch nicht auf einer Betonpiste leben, sondern zwischen vielen Grünflächen. Das sei wichtig. Fachmärkte seien fußläufig erreichbar.

Wie Lempertz sagt, wird für eine Kinderbetreuung gesorgt, auch ein Jugendcamp sei geplant. Mendiger Paten wollten den Flutopfern erklären, wo sie einen Arzt oder Bus finden. Zudem gebe es bereits entsprechende Informationsmappen. Die AOK sei vor Ort, um den Menschen zu erklären, wie sie wieder an Krankenakten kommen, die bei ihren Hausärzten oftmals auch in der heftigen Flut untergegangen sind. Zudem werde von der Hilfsaktion „Mendig hilft Mendig“ ein Treffpunkt organisiert, wo die Menschen aus der Ahrregion auch Kleidung und Dinge des täglichen Bedarfs erhalten können, schildert der Bürgermeister. Er sei auch mit einem Spielplatzbauer in Kontakt, damit Kinder an den Geräten wieder etwas Freude finden. „Wir wollen Menschen, die unermessliches Leid erlitten haben, etwas Lebensqualität schenken“, sagt Lempertz, der am Samstag auch im Hilfseinsatz war und die entsetzlichen Bilder der Zerstörung vor Augen hat.

Wird Modellregion Ahr möglich?

Aus Sicht des Bürgermeisters kommt es jetzt darauf an, dass die betroffenen Menschen von dem Angebot in Mendig auch erfahren. Ob auch Kita- und Schulcontainer notwendig werden, ist für den Bürgermeister noch offen. Schulklassen könne man notfalls aufstocken. Aber in den Kitas sei es schon eng.

Unterdessen sieht die Wahlkreisabgeordnete und Vorsitzende des Bauausschusses im Bundestag, Mechthild Heil (CDU), bei der Finanzierung des Wiederaufbaus in den vom Hochwasser zerstörten Gebieten vor allem die öffentliche Hand in der Pflicht. Um dringend benötigte Fachfirmen für neue Straßen und Brücken oder die Reparatur einer Kläranlage zu finden, müssten Firmen auch von anderen staatlichen Aufträgen freigestellt werden. „Sonst funktioniert der Wiederaufbau nicht“, sagt die Architektin unserer Zeitung. Außerdem komme es künftig darauf an, an der Ahr mehr Solarenergie einzusetzen, damit bei neuem Hochwasser keine Öltanks mehr wegschwimmen oder Gas ausströmt. Wer sein zerstörtes Haus aus Umweltschutzgründen nicht mehr an derselben Stelle wieder aufbauen dürfe, müsse aber möglichst ein anderes Grundstück zum Tausch erhalten. Dies sei in jedem Einzelfall von den Kommunen zu prüfen und werde nicht einfach. Bei allem Elend sieht die Politikerin auch die Chance, dass Trümmer einer „effizienten und umweltschonenden Modellregion“ weichen können.

Ursula Samary

Wie sollen die weit verstreuten Ahrtaler wählen?

Für den rheinland-pfälzischen Innenminister Roger Lewentz (SPD) ist die Bundestagswahl am 26. September wahrlich „nicht das zentrale Thema“, wenn Menschen im Ahrtal noch um Angehörige trauern und viele vor den Ruinen ihres Lebens stehen. Trotzdem berät sich der Präsident des Statistischen Landesamts, Marcel Hürter, schon seit Tagen mit dem Bundeswahlleiter, mit dem auch von der Flut betroffenen Land NRW, den rheinland-pfälzischen Kommunen und dem Mainzer Innenministerium über die Lage. Es gebe verschiedene Optionen, sagt Jürgen Hammerl, Sprecher des Landesamts. Vorschnell will er aber keine nennen. Eine Entscheidung soll möglichst noch in dieser Woche fallen, wie er sagt. Der Landeswahlausschuss tagt am 30. Juli.

Das Hauptproblem ist die Frage, an welche Adressen man die Wahlbenachrichtigungen zwischen dem 31. Juli und 5. September denn überhaupt schicken kann. In der Verbandsgemeinde Altenahr ist beispielsweise das Einwohnermeldeamt zerstört. Hinzu kommt: Überlebende, deren Haus oder Wohnung zerstört wurde, sind irgendwo zu Freunden und Verwandten gezogen, auch nach NRW oder in andere Bundesländer. Dies ist zumindest teilweise amtlich gar nicht zu registrieren. Bei diesen praktischen Problemen nach der Katastrophe von unvorstellbarem Ausmaß stellen sich viele rechtliche Fragen zur Bundestagswahl. Ob intern auch eine Verschiebung debattiert wird, ist offen. us

Flutkatastrophe im Ahrtal
Meistgelesene Artikel