Heppingen

Durfte die Stadt hier ein Baugebiet entwickeln? In Heppingen ist ein ganzes Neubaugebiet abgesoffen

Von Jochen Tarrach
Wie ein Mahnmal verkeilten sich die beiden Fernwärmerohre im Kirschbaum, der vielleicht einigen Menschen damit das Leben gerettet hat.
Wie ein Mahnmal verkeilten sich die beiden Fernwärmerohre im Kirschbaum, der vielleicht einigen Menschen damit das Leben gerettet hat. Foto: Jochen Tarrach

Gespenstische Stille herrscht im Neubaugebiet Landskroner Straße Süd in Heppingen, einem Stadtteil von Bad Neuenahr-Ahrweiler. Vor rund drei Jahren entstanden die ersten Häuser im nahe der Ahr für junge Familien ausgelobten Neubaugebiet. Inzwischen sind fast alle Grundstücke bebaut, und trotzdem ist es in der Straße „Am alten Brunnen“ sowie der „Wilhelm-Söller-Straße“ nahezu totenstill. Kurz bevor die Ahr das Gebiet erreicht, macht sie eine leichte Rechtsbiegung. Und genau das war die Ursache dafür, dass die Flutwelle in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli, getrieben von unglaublichem Wasserdruck, den Weg geradeaus genau durch das einst mit so großer Euphorie bezogene Gebiet nahm und eine tödliche Schneise schlug.

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Der Druck war so groß, dass selbst die stabil gemauerte Brücke zwischen Heppingen und Heimersheim vollständig zerbrach. Entwurzelte Bäume schlugen gegen Brücke und Häuser, zerschmetterten einen Baukran. Wahrscheinlich von der Baustelle des gläsernen Kraftwerks der Ahrtalwerke am Apollinarisstadion schossen noch nicht verlegte, dicke Fernwärmerohre wie Pfeile durch die Siedlung und zerschlugen alles, was sich ihnen in den Weg stellte. Zwei verfingen sich in einem alten Kirschbaum direkt neben einem schmucken Häuschen und blieben dort wie ein Mahnmal liegen. Tage später umarmten die Nachbarn den Baum, sicher, dass er ihnen das Leben gerettet hat.

In weniger als zehn Minuten stieg der reißende Wasserstrom bis in die zweite Etage. Die Menschen konnten, bis auf wenige Ausnahmen, nicht mehr fliehen, kletterten mit Mann und Maus unter die Dachbalken und harrten, teilweise mit Neugeborenen im Arm, mehr als zwölf Stunden auf Rettung. Ein Haus in der Straße „Am alten Brunnen“ wurde von den Wassermassen komplett angehoben, zerschmetterte am Nachbarhaus noch die Garage und schwamm mit seinen drei Bewohnern in Richtung Lohrsdorf einfach davon. Angeblich überlebten zwei von ihnen das Drama nicht.

Schwer getroffen ist auch das Heppinger Weingut Burggarten. Seniorchef Paul Josef Schäfer berichtete noch eine Woche später mit gebrochener Stimme, dass Ehefrau Gitta ihm und seiner Familie das Leben gerettet habe. Irgendwie sei sie aufgewacht und habe alle rechtzeitig alarmieren können. „Wir wären sonst elendig ertrunken“, so Schäfer.

In seinem Weinkeller und den Lagerräumen hat die Wasserkraft unglaublich gewütet. Selbst volle Weinfässer wurden aus den Verankerungen gerissen. Aber: „Burggarten macht weiter, wir lassen uns nicht unterkriegen“, so der Winzer. Untergegangen in den Fluten allerdings ist der örtliche Metzger. Nur noch gähnende Leere in seinem Verkaufsraum.

Im Neubaugebiet ist nichts mehr so, wie es war. Zerstörte Häuser, kaputte Straße und Schienen, schrottreife Autos.
Im Neubaugebiet ist nichts mehr so, wie es war. Zerstörte Häuser, kaputte Straße und Schienen, schrottreife Autos.
Foto: Jochen Tarrach

Im Heppinger Bürgerhaus rollt inzwischen eine ganz andere Welle, eine Welle der Hilfe. Das Haus gleicht inzwischen einem riesigen Kaufhaus. Alles, was man zum Leben benötigt, ist hier zu bekommen. Für die Versorgung der Bürger sorgt auch der ansässige Sternekoch Hans-Christian Steinheuer. Täglich bittet er alle Bürger in der Mittagszeit kostenlos zu Tisch. Heute gibt es Gulasch mit Knödel und Salat. Dankbar wird sein Angebot angenommen, denn wo sonst soll man ohne Gas und Strom auch kochen? Eine ganze Wagenladung Grills hat er beschafft und unter die Betroffenen verteilt, und eine Gasflasche gleich dazu.

Apollinaris hat in den ersten Tagen nach der Flut Wasserkästen gebracht, und von Haribo gab es Gummibärchen, selbst heiße Würstchen und Brötchen wurden gespendet. Auch personelle Hilfe gab es reichlich. Von überall her kamen Menschen und packten ohne weiter zu fragen einfach an.

Wer heute durch das Baugebiet geht, sieht zwar, dass die Flutwelle ihr Unwesen getrieben hat, aber es sieht schon wenigstens einigermaßen wieder ordentlich aus. Doch von den Häusern werden nur wenige stehen bleiben. Es sind meist Fertighäuser in Holzständerbauweise. Völlig durchnässt sind sie, nicht mehr zu retten, sie müssen wohl abgerissen werden.

Und deshalb wird schon seit Tagen eine Frage immer wieder diskutiert: Durfte die Stadt so dicht neben der Ahr und dem Leimersdorfer Bach ein Baugebiet mit rund 90 Parzellen entwickeln? Leicht nasse Füße hat es hier immer mal wieder gegeben, aber so etwas?

So schwebt auch die Frage im Raum, ob alle Anwohner ihre Häuser wieder aufbauen oder woanders einen Neuanfang suchen. „Erst mal warten, was der Gutachter der Versicherung sagt“, so eine Betroffene in der Wilhelm-Söller-Straße. Doch kommt überhaupt ein Gutachter? Erst wenige Monate im neuen Haus, haben längst nicht alle eine Elementarversicherung abgeschlossen. So sind in wenigen Minuten zahlreiche Lebensträume dahin. Mitten in der Matsche lag gestern noch ein altes zerfleddertes Buch von Johannes Mario Simmel. „Hurra, wir leben noch“, ausgerechnet, oder eher passend so der Titel. Und genau das ist bei allem Leid für viele der Betroffenen ein unschätzbarer Gewinn.

Von unserem Mitarbeiter Jochen Tarrach