Ehlingen

Dorfgemeinschaft hält zusammen: Ehlingen zeigt Flagge und hofft jetzt auf den Durchbruch

Von Frank Bugge
Ernst Füllmann vor dem selbst gemauerten Steinofen in seinem Garten, der ein Ruhepol für Flutopfer und Helfer ist. Tochter Iris Koglin hat mit ihrer „Vier-Freunde-Gruppe“ die Versorgung und Hilfe in Ehlingen organisiert.
Ernst Füllmann vor dem selbst gemauerten Steinofen in seinem Garten, der ein Ruhepol für Flutopfer und Helfer ist. Tochter Iris Koglin hat mit ihrer „Vier-Freunde-Gruppe“ die Versorgung und Hilfe in Ehlingen organisiert. Foto: Frank Bugge

Das Dorf hat ein deutliches Zeichen gesetzt: In Ehlingen, dem östlichsten Stadtteil von Bad Neuenahr-Ahrweiler, haben die Einwohner an ihren zum Teil von der Flutkatastrophe ramponierten ebenso wie an den unversehrten Häusern die Dorfflagge gehisst. Sie zeigt auf den rot-weißen Ortsfarben den heiligen Hubertus und die Kapelle, das historische Wahrzeichen des Ortes.

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Die Ehlinger zeigen Flagge wie sonst nur an Festtagen und wollen damit demonstrieren: „Wir sind noch da, stehen zusammen und lassen uns nicht unterkriegen.“ Die Ahrflut hat das halbe, tiefer liegende Dorf getroffen. Die andere und weiter oben liegende Hälfte Ehlingens ist unversehrt. Von dort kam und kommt die Hilfe für jene, deren Höfe und Gärten, vor allem aber Keller und Wohnungen inzwischen leer geräumt und freigepumpt sind.

Innenwandverkleidungen und Putz sind runter. Runter muss ebenso alle Außendämmung, da die Ahrbrühe dahinter gedrungen ist. Hier und da hört man noch jemanden mit dem Bohrhammer den Estrich rausreißen. Es laufen die Bautrockner.

Helfer vom THW sind abgezogen

Die Zeit der großen Hilfs- und Arbeitseinsätze ist vorbei. Die Helfer vom THW, die in der höher liegenden Alten Schule untergebracht waren und im Sportlerheim in Löhndorf duschen konnten, sind abgezogen. Freundschaften sind entstanden, berichtet Franziska Füllmann, die gerade vor einem derzeit unbewohnbaren Haus von Freunden, die es für einige Zeit verlassen haben, den Wasserbehälter eines Trockners ausleert.
Den THW-Helfern aus Heusweiler (Nahe Völklingen/Saarland) haben die Ehlinger („250 Einwohner, wenn man Hunde und Katzen mitzählt“, so ein Feuerwehrmann) eine Flagge mitgegeben. Die wollten damit zu ihrem Bürgermeister marschieren und quasi eine offizielle Städtepartnerschaft mit Ehlingen begründen.

Die Alte Schule war zudem in den ganz schlimmen Tagen das Info-, Melde- und Versorgungszentrum. Es ist inzwischen geschlossen. Derzeit türmen sich Tüten und Kartons auf dem Gehweg davor auf. „Bitte, bitte, bitte keine Sachspenden mehr abgeben“, ist auf Hinweiszetteln zu lesen. Vor Ort wird nichts mehr gebraucht. Zudem haben die Ehlinger bei der Renovierung ihrer Häuser genug zu tun und haben keine Zeit, Kartons mit einem Mix an Sach- und Lebensmittelspenden zu sortieren. Was allerdings schmerzt, wie Franziska Füllmann berichtet, ist die Erfahrung, dass durchaus alte, unbrauchbare oder gar verschmutzte Kleidung abgegeben wurde. Oder offensichtlich einfach im Vorbeifahren auf den großen Haufen geworfen wurde. Der müsse schleunigst von der Stadt abgefahren werden, sonst wachse der Haufen weiter.

Katastrophenlegende des Ahrtals

Ein paar Häuser weiter mit schmuckem und großem Garten wohnt Ernst Füllmann. Der 80-Jährige ist über seine ehrenamtlichen Aktivitäten über die Dorfgrenzen hinaus bekannt. Als „Macher“ haben er und Tochter Iris Koglin in den Tagen nach der Flut die Arbeit und die Hilfe organisiert und den Garten zur Dorfzentrale gemacht. Die Füllmannsche Pizzaaktion gehört mittlerweile zu den Katastrophenlegenden des Ahrtals: Nach dem Stromausfall sind freiwillige Helfer mit der Schubkarre von Haus zu Haus durchs Dorf gezogen und haben alle noch essbaren Tiefkühlpizzas eingesammelt. Ernst Füllmann heizte seinen selbst gebauten großen Steinbackofen im Garten an. Schließlich gab es 80 Portionen für Helfer und Flutopfer.

Während sich Iris Koglin und ihre Unterstützer aus der „Vier-Freunde-Gruppe“ über die Kreisgrenzen hinaus aufmachten, um vom Spendengeld Hilfsgeräte und Stirnlampen, Batterien sowie Stromgeneratoren zu kaufen, liefen die Aufräumarbeiten. Der Garten von Ernst Füllmann, abseits des Katastrophengebiets, wurde mittags und abends zum Ruhepol. „Einfach mal raus aus dem Dreck.“ Die ersten Abende habe Enttäuschung und Niedergeschlagenheit geherrscht, berichtet Iris Koglin. Dann habe sich der Junggesellenverein getraut, einmal Kölsche Lieder aufzulegen. Diese Mischung aus Melancholie, Schlitzohrigkeit und Lebensfreude. „Dann ist der Knoten geplatzt.“ Die Stimmung sei lockerer, positiver geworden. Man konnte im Ruhepol essen und trinken und sich durchaus die eigenen traumatischen Erlebnisse ein wenig von der Seele reden.

Lange Zeit mit dem Thema Hochwasser beschäftigt

„Wir haben aber noch einen Marathon vor uns“, prognostiziert die engagierte Frau. „Denn wenn die Häuser auf Rohbau zurück und trocken sind, dann geht es erst mit dem Wiederaufbau los.“ Vater Ernst Füllmann hat einen dicken Schnellhefter mit Papieren vor sich. Nein, keine Unterlagen von den aktuellen Einsätzen, sondern ein Thema, das ihn seit fast 50 Jahren umtreibt. „Die Katastrophe für Ehlingen ist hausgemacht“, so sein Urteil. Mehr als 15 Jahre habe er im Stadtrat von Bad Neuenahr-Ahrweiler gesessen und gekämpft: Dagegen, dass die von Löhndorf kommende Umgehungsstraße zur Ahr und weiter bis Neuenahr im Westen und Norden als Autobahn A 571 den Ort wie einen Damm oder eine Staumauer umgibt. Im Jahre 1986 habe es schließlich, wie von ihm gefordert, Pläne gegeben, unterhalb vom Dorf zur Ahr hin einen großen Durchbruch zu machen.

Das wurde nie realisiert. Zuletzt hat der Ehlinger nach dem Hochwasser von 2016 in der Sache vor zwei Jahren eine Petition ans Land gestellt – sie wurde abgelehnt. Nach der Einschätzung von Füllmann hätte ein solcher Durchbruch den großen Schaden für Ehlingen abwenden können. Denn in der Flutnacht trat das Ahrwasser weiter oben bei Heimersheim über die Ufer und flutete den Nachbarstadtteil Green, die Felder und schließlich Ehlingen. Das Wasser der Ahr ging schließlich zurück: Unterhalb von Ehlingen bildete sich ein See. „Der war lange Zeit einen Meter höher als der Wasserspiegel der Ahr“, bestätigt ein Feuerwehrmann.

Er habe immer davor gewarnt, mit Bauten oder Baugebieten zu nah an die Ahr zu gehen, ergänzt der 80-jährige Füllmann. Die Katastrophe im Neubaugebiet Heppingen hätte nicht sein müssen, so die Einschätzung des Altkommunalpolitikers.
Frank Bugge