Dernau

Die große Wohnungssuche nach der Flut: Unterkünfte für Zigtausende obdachlose Hochwasseropfer sind Mangelware

Von Sandra Fischer
„Bis hierhin stand das Wasser“: Anton Zimmermann in seinem Flut geschädigten Haus, das er gerne verkaufen möchte – inklusive Versicherung. Die letzten Lebensjahre möchte der Senior mit seiner Frau fernab von Trümmern und Schutt verbringen, am liebsten in Andernach.  Fotos: Sandra Fischer
„Bis hierhin stand das Wasser“: Anton Zimmermann in seinem Flut geschädigten Haus, das er gerne verkaufen möchte – inklusive Versicherung. Die letzten Lebensjahre möchte der Senior mit seiner Frau fernab von Trümmern und Schutt verbringen, am liebsten in Andernach. Fotos: Sandra Fischer Foto: Sandra Fischer

55 Tage ist es heute her, seit eine nie da gewesene Flutwelle das Leben von Zigtausenden Menschen zerstörte und die meisten von ihnen wohnungslos wurden. Sie sind in Hotels, Apartments oder Ferienwohnungen untergebracht und suchen verzweifelt eine langfristige Bleibe, bis sie ihr durch das Hochwasser geschädigte Haus wieder bewohnen können.

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Das kann mitunter Jahre dauern. Je nach Versicherung wird diese erste Unterkunft unterschiedlich lange bezahlt. Für ein Jahr, ein halbes oder auch nur für 100 Tage, wie im Fall einer Dernauerin.

Keine Handwerker zu bekommen

Die lebensrettende Leiter zum Speicher, wo sich das Ehepaar plus Kater Sammy vor der Flut rettete.
Die lebensrettende Leiter zum Speicher, wo sich das Ehepaar plus Kater Sammy vor der Flut rettete.
Foto: Sandra Fischer

Sieben Bautrockner tun im Haus der 73-Jährigen ihr Möglichstes, um das durchflutete Haus zu trocknen. „Die werden sicher noch zwei Monate laufen müssen“, schätzt die Seniorin. Zusammen mit ihrem Mann ist sie nach dem Hochwasser in einem Apartment untergekommen. Das kostet stolze 65 Euro pro Tag, macht 1950 Euro im Monat, einen Betrag, den sich das Rentnerehepaar nach Ablauf der 100 Tage nicht leisten kann und will: „Das ginge dann alles zulasten der Renovierung unseres Hauses.“ Und die kann dauern: „Circa 2,5 bis 3 Jahre“ schätzen die beiden, wird es dauern, bis sie wieder in ihrem Eigenheim wohnen können. „Man wird ja keinen Handwerker bekommen. Sobald die Häuser trocken sind, braucht das ganze Ahrtal Handwerker, die sind ja jetzt schon komplett ausgebucht.“

Auch die Wohnungssuche gestaltet sich schwierig: „Versuchen Sie jetzt mal, eine Wohnung zu finden, wo 17.000 Leute eine Unterkunft brauchen“, bringt es die Dernauerin auf den Punkt. „Wo sollen wir denn hin? In einem Zelt schlafen?“, fragt sie und erzählt von einem Betroffenen, der nun in einem Caravan wohnt. Mit 73 Jahren sei man aber nun mal nicht so flexibel wie in jungen Jahren: „In unserem Alter kann man nicht mehr auf einem Luftbett und mit Pappkartons leben.“ Zurzeit lebt das Ehepaar zwar aus Aldi-Tüten und auf insgesamt 30 Quadratmetern, aber „es könnte schlimmer sein: „Wir gucken aufs Grüne, wir können die Tür hinter uns zumachen, und als Nachkriegsgeneration sind wir beengte Verhältnisse gewohnt und haben auch kein Problem mit Sachen aus der Kleiderkammer. Im Krieg haben wir auch gebrauchte Kleidung getragen.“ Nun ist das Ehepaar auf der Suche nach einer möblierten Wohnung – damit sie für die Zwischenwohnung nicht auch noch Einrichtungsgegenstände anschaffen müssen – und möglichst in der Nähe. Denn auch nach der Katastrophe hängt ihr Herz an der Heimat und dem grandiosen Zusammenhalt vor Ort.

Das können auch Anton Zimmermann und Ehefrau Heidrun Lübeck bestätigen. Beim täglichen Besuch ihres Flut geschädigten Hauses packen zwei Frauen vom Helfershuttle nicht nur kräftig mit an und entsorgen schwere Bretter für das Ehepaar, sie haben auch Blumen mitgebracht, als bunter Lichtblick in all der Tristesse. Einer jener Moment, wo die Tränen fließen. Tränen der Freude und der grenzenlosen Dankbarkeit über die Hilfsbereitschaft und Uneigennützigkeit der Helfer, die sich mit dem Ahrtal solidarisieren. Trotzdem wollen Zimmermann und Lübeck nicht zurück in ihr Haus.

„Wir haben nur noch eine kurze Lebenserwartung, und die Zeit wollen wir so angenehm wie möglich verbringen. Das kann uns Dernau leider nicht bieten. Wir möchten in den uns verbleibenden Jahren nicht nur Schutt und Asche sehen, und das wird noch auf Jahre so sein hier“, sagen die beiden und zeigen auf ihre unmittelbare Nachbarschaft. Aus dem einen Haus werden im Minutentakt Einrichtungsgegenstände geworfen, Freiflächen zeugen von ehemaligen Standpunkten abgerissener Häuser, in der Straße geben sich Lkw und Bagger ein ständiges Stelldichein. „Kein Haus, an dem nicht gehämmert wird“, fasst Zimmermann zusammen.

Geschätzte 400.000 Euro Schaden

An seinem Eigenheim prangt ein „Zu verkaufen“-Schild, und beim Rundgang durch das weitläufige Anwesen kann man trotz Flutschaden noch deutlich erkennen, was für ein schönes Haus es vor dem 14. Juli gewesen sein muss. Besonders die von Weinreben umrankte Terrasse, die vor der Flut einen traumhaften Blick auf das einst so idyllische Ahrtal bot. Nun dominieren Schutt- und Müllberge und die konstante Geräuschkulisse von Werkzeugen und Maschinen. Auf etwa 400.000 Euro schätzt Zimmermann den Schaden durch die Flut, inklusive des Autos, das gerade mal 2000 Kilometer auf dem Tacho hatte und nun in die ewigen Jagdgründe der Ahrfluten eingegangen ist. Im Obergeschoss zeigt Zimmermann die Pegelmarke, die das eindringende Wasser hinterlassen hat. Nachdem er den verschlammten und nassen Kater Sammy vom Dach gefischt hatte, blieb dem 74-Jährigen samt Frau und besagtem Kater nur noch der Speicher als sicherer Rückzugsort.

Acht Stunden harrten die drei dort aus, bis der Wasserspiegel zurückging. Mit Badezimmerschiebern machte sich das Ehepaar daran, das Haus vom Schlamm zu befreien, bis sie am Donnerstagnachmittag von Amphibienfahrzeugen der Bundeswehr abgeholt wurden. „Sie sind in Lebensgefahr, Sie müssen sofort raus“, habe der Soldat ihm gesagt, als Zimmermann noch schnell die Pässe holen wollte. „Gestern, da waren wir in Lebensgefahr“, habe er daraufhin geantwortet, so der Senior. Die Pässe mussten trotzdem im Haus bleiben, eine Tasche durfte mit, und da saß der Kater drin, erinnert sich seine Frau schmunzelnd. Nach einem Aufenthalt im Auffanglager bei Haribo und einer Nacht in der Realschulturnhalle in Andernach wurde das Paar schließlich in einem Hotel in Andernach untergebracht, wo sich die beiden sichtlich wohlfühlen und voll des Lobes sind für den Besitzer. „Im Gegensatz zu den anderen Flutopfern, die in Hotels untergebracht sind, bekommen wir drei Mahlzeiten am Tag, Hilfe bei der Wohnungssuche, und auch wenn noch keine Entschädigung von der Versicherung kam, wir mussten noch keinen Pfennig für unser Zimmer zahlen.“

Grundstück und Rohbau verkaufen

Apropos Versicherung: Zimmermann gehört zu den Glücklichen, die länger als 100 Tage ihre Unterkunft bezahlt bekommen. Trotzdem hofft der 74-Jährige, sein Grundstück mit dem Rohbau bald verkaufen zu können, inklusive der Versicherungsauszahlung. Er hat da vor allem junge Menschen und Familien im Blick, die vor der Flut gerne im Ahrtal gebaut hätten, aber kein Bauland fanden.

Entweder, weil es in Familienhand bleiben soll oder als Flachlage für den Weinanbau genutzt wird. Auch wenn Zimmermanns Tochter, die in Bayern lebt, ihren Vater gerne in ihrer unmittelbaren Umgebung hätte, würden Zimmermann und Lübeck gerne in Andernach bleiben. „Uns gefällt es sehr gut hier. Die Stadt ist prima für Leute in unserem Alter.“ Doch bisher hatten die beiden noch kein Glück bei der Wohnungssuche. Bis zu 150 Mitbewerber schauen sich die freien Wohnungen an und diese darf altersbedingt nicht im dritten Stock ohne Aufzug sein. Kater Sammy sollte allerdings kein Hinderungsgrund sein, der ist nämlich bei einer Familie in Krunkel untergekommen und lässt regelmäßige Updates über WhatsApp schicken.