Sinzig

Aufräumarbeiten sind in vollem Gange: Verschlammte Habseligkeiten säumen Sinzigs Straßen

Von Mirjam Hagebölling
In den Straßen von Sinzig, wie hier „Am Teich“, türmen sich verschlammte Möbel und Habseligkeiten.  Fotos: Mirjam Hagebölling
In den Straßen von Sinzig, wie hier „Am Teich“, türmen sich verschlammte Möbel und Habseligkeiten. Fotos: Mirjam Hagebölling Foto: Mirjam Hagebölling

Hier auf der Jahnwiese türmen sich meterhoch Schutt und Müll. Kipplaster liefern eine Fuhre nach der anderen an. Daneben grasen friedlich Ponys und Lamas im Gehege des Zirkus Balu. Die Gegensätze könnten kaum extremer sein an Tag fünf der Flutkatastrophe.

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Die Aufräumarbeiten sind in vollem Gange, verschlammte Möbel, Matratzen und andere Habseligkeiten säumen die Straßen entlang der Ahr. Überall das gleiche Bild: Im Grünen Weg, in der Kölnischen Straße und in der Straße „Am Teich“ wird geschippt, geräumt und gesäubert. Alexander Schmunk aus dem Grünen Weg erzählt, die untere Etage seines Hauses sei nicht mehr bewohnbar. Seine Sachen hat er dank der Unterstützung von Freunden, Verwandten und einigen freiwilligen Helfern bereits herausgeräumt. Beim Betreten des Hauses wird das wahre Ausmaß der Katastrophe bewusst: Hier ist nichts mehr da, die Wände feucht, der Boden durchweicht. „Das Wasser hat bis zum Rollladenkasten gestanden, da sieht man noch eine Schlammspur“, erläutert Schmunk. Er ist dankbar über die Hilfe von Freunden und Verwandten. Die Trinkwasserversorgung funktioniere inzwischen gut über die Feuerwehr. „Doch was ist mit der zugesagten Hilfe der Regierung?“ fragt Schmunk und spricht das aus, was sicherlich viele denken.

Von der Zwei-Zimmer-Wohnung des 27-jährigen Michael Engelmann, der am Teich 33 wohnte, ist nicht mehr viel übrig. Mit vereinten Kräften werden hier die Schlammmassen weggeschippt. Die Tapeten lassen sich mühelos von den Wänden ziehen, und der Estrich ist derart durchweicht, dass er zerbröselt. Der Schock sitzt noch tief bei dem jungen Mann. Am Mittwochabend seien sie bereits um 22 Uhr von der Feuerwehr gewarnt worden, die Geschwindigkeit, mit der das Wasser plötzlich vor seinem Fenster stand, habe nicht nur ihn überrascht, sondern in dem gesamten Wohnkomplex regelrecht zu Panik geführt. Seine Katze konnte er noch mitnehmen. Er flüchtete zu seinem Auto, das er bereits frühzeitig in sicherer Entfernung geparkt hatte. „Ich habe zunächst meine Eltern eingesammelt, und dann sind wir bei Verwandten untergekommen“, erzählt Engelmann. Die Tiefgarage sei bereits eingestürzt, und nun warte man auf einen Gutachter, der das gesamte Haus in Augenschein nehmen müsse. Ihn schmerzt besonders, dass das Fotoalbum mit Kinderbildern nicht mehr aufgetaucht ist. „Derzeit weiß ich nicht, wie es weitergeht, zum Glück kann ich abwechselnd bei Freunden und Verwandten unterkommen“, betont Engelmann. Auch sein Chef sei sehr verständnisvoll und habe eine eigene Spendenaktion ins Leben gerufen.

Ein paar Häuser weiter ist Christoph Niesen dabei, den Schlamm aus seinem Garten zu schippen. Die untere Etage des Holzhauses ist komplett zerstört, Scheiben zerbrochen, und der Garten gleicht einem Trümmerfeld. Viele Freunde und Verwandte haben ihre Hilfe angeboten, und auch freiwillige Helfer sind dabei. „Hier helfen Leute, die ich noch nie gesehen habe,“ meint Niesen. „Das Haus muss kernsaniert werden, denn die Dämmung ist ebenfalls nass. Die obere Etage kann eventuell noch bewohnt werden. Morgen kommt der Gutachter, dann haben wir Klarheit,“ sagt Niesen. Schlimm war für ihn besonders, alle Kinderbücher seines vierjährigen Sohnes wegschmeißen zu müssen. Sorgen bereitet dem Berufsschullehrer die Situation an den Schulen, die ebenfalls von der Flutkatastrophe betroffen sind. „Bei dem Ausmaß der Zerstörung wird es sicherlich Monate dauern, bis die Schulen wieder öffnen. Vor allem sind ja auch die Zufahrtswege betroffen, so dass die Schüler gar nicht zur Schule kommen können,“ meint Niesen.

Die Schuttberge entlang des Straßenrandes wachsen unaufhörlich. Zwischen all dem Müll sind Gartenzwerge, Weihnachtspyramiden und Kuchenformen zu finden. Zeugnisse einer unbeschwerten Zeit. Dieselgeruch und Staub liegen in der Luft. Die Verwüstungen entlang der Kölner Straße sind immens. Der Bungalow von Familie Heidelberg in der Kölner Straße hat ebenfalls starken Schaden genommen und auch hier ist nicht klar, ob er jemals wieder bewohnbar sein wird. Das Haus, das dem Sinziger Mineralbrunnen gehörte, liegt direkt am Wasserschutzgebiet. „Wir sind erst vor fünf Jahren hier eingezogen und hatten uns gerade alles hübsch gemacht. Vor Kurzem haben wir noch eine neue Couch gekauft. Jetzt ist alles weg,“ sagt Patricia Heidelberg. Ihr gesamtes Hab und Gut sei voller Öl und Schlamm und nicht mehr zu retten gewesen. „Ich kann das ganze Ausmaß noch nicht begreifen. Ich stehe völlig neben mir und kann nachts nicht schlafen“, erzählt sie. Ihre Tochter habe in der Nacht der Evakuierung am ganzen Leib gezittert und nur geweint. Seit einer schweren Erkrankung der Mutter und nach dem Ausnahmejahr während der Corona-Pandemie habe die 16-Jährige große Ängste. „Wir stützen uns gegenseitig und geben uns Halt. Das Wichtigste ist: Wir haben überlebt. Wir haben uns und unsere Eltern und unsere Verwandtschaft“, betont Heidelberg. Derzeit könne sie nicht vorausschauend denken, es sei allerdings klar, dass sie eine Übergangswohnung benötigen, bis das Haus wieder bewohnbar sei. „Zum Glück haben wir eine Elementarversicherung. Am schlimmsten ist, dass alle Fotos und Erinnerungsstücke weg sind, wie beispielsweise das Amulett meiner Oma,“ meint Heidelberg. Sorgen bereitet ihnen neben dem auslaufenden Heizdiesel im Keller die Bodenplatte, die rissig ist.

Im Haus der offenen Tür in der Barbarossastraße ist derweil ein Hilfsangebot entstanden. Kleidung, Getränke und Lebensmittel, die gespendet wurden, können von Betroffenen abgeholt werden. Auch Kinder können versorgt und betreut werden. „Wir haben viele Spenden von überallher bekommen. Neulich kam jemand mit einem Kofferraum voller Lebensmittel extra aus Lahnstein zu uns. Ich bin überwältigt von der riesigen Solidaritätswelle“, betont Sozialarbeiter Thorsten Krams.