Ahrweiler

Alltag hat sich von einem Tag auf den anderen radikal geändert: So leben die Menschen nach der Katastrophe

Von Gabi Geller
Kurze Pause für die Soldaten, bevor es weitergeht.
Kurze Pause für die Soldaten, bevor es weitergeht. Foto: Gabi Geller

Die Menschen an der Ahr werden das Wort „Katastrophe“ nie wieder als Bezeichnung für irgendeine noch so große Widrigkeit des Lebens benutzen. Die Menschen im Ahrtal wissen inzwischen nämlich, was eine „Katastrophe“ ist. Sie haben erlebt, dass über Nacht alles nicht mehr existiert, was ein Leben lang selbstverständlich war: Strom, Wasser, Gas, Telefon, Straßen, Brücken, Geschäfte, die eigene Wohnstatt. Was immer bis Mittwoch, 14. Juli, wichtig war – jetzt geht es allein um die Frage: Wie komme ich an das Nötigste zum Leben?

Lesezeit: 3 Minuten
Anzeige

In Ahrweiler herrscht fieberhafte Aktivität. Die Stadt ist wegen fehlender Ahrquerungen in zwei Teile zerschnitten. Dabei haben die Anwohner des südlichen Ahrufers die schlechtere Karte gezogen. Die Altstadt, die Supermärkte, alle möglichen Anlaufstationen für Informationen und Hilfsgüter liegen auf der anderen Seite des Flusses. Da kommt einiges an Frust hoch. Ausnahme: der Trupp von rund einem Dutzend hier eingesetzter Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr. Es gibt viel Lob, aber auch vereinzelte Kritik. Die Chefin der Truppe: „Wir gehen von Haus zu Haus und helfen vor allem älteren und allein lebenden Menschen. Wenn in dem Haus ein junges Paar lebt, nun ja, dann gehen wir davon aus, dass hier die Hilfe nicht so nötig ist wie vielleicht nebenan.“ Das wird gleich darauf bestätigt von einer stark sehbehinderten älteren Dame, die ihre Tränen nicht zurückhalten kann. „Die Soldaten haben mir den ganzen Keller ausgeräumt. Das war wirklich wunderbare Hilfe.“

Auf die Verwaltung und die Politik ist hier keiner gut zu sprechen. „Hier wird alles privat organisiert“, weiß Pascal Persie. Er ist aus Bachem und packt mit an „Es sähe schlimm aus, wenn wir unsere Bauern nicht hätten. Das sind Macher, die reden nicht lange, sondern kommen mit ihren Maschinen von überall.“ Das stimmt offenkundig. Schweres Gerät hebt hier Sperrmüll statt Heu auf die Laster, Bagger schieben Schlamm statt Mist zusammen. „Was hier echt fehlt, ist ein mobiler Reifenservice und ein Hydraulik-Service“, findet Persie. „Und große Aggregate und Pumpen.“ An der zerstörten Brücke haben Ärzte und medizinisches Personal aus Godesberg eine medizinische Versorgungsstation aufgebaut. Ein Soldat lässt sich eine Schnittwunde an der Hand fachmännisch versorgen. Andere Menschen brauchen Medikamente oder haben sich bei der Räumarbeit verletzt. Unbehandelt kann so etwas böse Folgen haben.

Lucas Bornschlegl (links) und sein Kumpel Jonathan Spitz an der privat organisierten Versorgungsstation an der ehemaligen Ahrbrücke.
Lucas Bornschlegl (links) und sein Kumpel Jonathan Spitz an der privat organisierten Versorgungsstation an der ehemaligen Ahrbrücke.
Foto: Gabi Geller

Außer der Gulaschkanone der Godesberger Familie Wirfs „Am Schwimmbad“ gibt es eine große Versorgungsstation nahe der Ahrtorbrücke. Auch die wurde privat organisiert. Aufgebaut hat sie Lucas Bornschlegl. „1000 Euro Anschubfinanzierung für die erste Ausstattung habe ich reingesteckt, danach kamen die Spenden, und jetzt läuft die Sache“, erzählt der junge Mann. Er ist glücklich und ein wenig stolz, denn für die Anwohner ist die Station ein Segen. Man kann sie fußläufig erreichen, anstatt viele Kilometer fahren zu müssen.

Mit seinem Freund Jonathan Spitz und der Polizei bewacht er die Station des Nachts. Das sei nötig, sagt er. Geschichten von Plünderern machen seit Tagen die Runde. Aus Wracks würden Ersatzteile ausgebaut, heißt es. Ob es stimmt, ist noch unklar. Aber den geschädigten Anwohnern am südlichen Ahrufer ist das ziemlich egal. Essen und Trinkwasser in Flaschen kann man hier bekommen, aber was ist mit Brauchwasser? Zum Waschen etwa oder um die Toilette zu spülen? Man will sich doch wenigstens einmal die Hände waschen. Es wird vor dem Wasser der Ahr gewarnt, weil es gesundheitsschädlich sei. Selbst Menschen, deren Haus nicht geflutet wurde, suchen überall nach Wasser. Ein prall gefüllter Swimming-Pool wird zum Wasserspender für die Nachbarschaft. „Ich habe Glück, denn ich habe noch die alten Toilettenspülungen im Haus,“ sagt Willi Beu. Die als Kasten hinter der Toilette hängen und in die man Wasser kippen kann. „Die Modernen sind ja in die Wand gebaut. Da geht das nicht.“ Er hat den zerstörten Keller und die erste Etage ausgeräumt. Mit Hilfe einer Gruppe junger Menschen, die am Wochenende einfach gekommen sind und den ganzen Tag geschuftet haben. „Es soll bloß keiner mehr was gegen die jungen Leute von heute sagen. Die waren einfach grandios und haben pausenlos geholfen.“

Viele Helfer haben sich privat organisiert und sind mit schwerem Gerät gekommen.
Viele Helfer haben sich privat organisiert und sind mit schwerem Gerät gekommen.
Foto: Gabi Geller

Die Frage, wie es weitergehen wird, beantwortet er genau so wie alle Flutgeschädigten hier: „Wir machen keine Pläne. Ich denke nur noch von jetzt bis gleich.“ Und ein gemeinsames Anliegen haben die Menschen hier auch: eine bessere Information. „Man weiß überhaupt nichts. Weder, wo es etwas gibt noch wie lange das noch dauert und was man machen soll“, beschwert sich Bernd Krah. Man wisse ja, dass die Verwaltung überfordert sei, aber hin und wieder mal eine Info sei doch wohl möglich. Eine Tageszeitung hat er seit Tagen nicht gesehen. Wann gibt es wieder Post? Infos gehen von Mensch zu Mensch. Bei der Gulaschkanone liegt ein Stapel Rhein-Zeitungen, am Altenheim kann man Wasser kriegen. Aber viele Fragen bleiben. Was mache ich mit meinem Impftermin? Wann gibt es endlich eine Notbrücke in die Stadt? Gibt es Toiletten irgendwo? Und immer wieder die Frage: Wo und wann wird eine Wasserversorgung eingerichtet?

Von unserer Mitarbeiterin Gabi Geller