Bad Neuenahr-Ahrweiler

Ein Sach(un)verständiger? – Von der Versicherung versetzt

Von Cordula Sailer
Bei Magdalene und Horst Tegtmeier heißt der Baustatus noch Rohbau.
Bei Magdalene und Horst Tegtmeier heißt der Baustatus noch Rohbau. Foto: Jens Weber

Der grüne Rasen, der akkurat geschnitten im Vorgarten sprießt, ist ein Stückchen Normalität für Familie Tegtmeier in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Den Rollrasen haben Fluthelfer im Frühjahr verlegt. Ein paar Treppenstufen mit schmiedeeisernem Geländer führen zur Haustür hinauf. Wer durch die Tür eintritt, steht kurz vor dem Jahrestag der Flutkatastrophe noch nicht in der (alten) Normalität, sondern im Rohbau des Erdgeschosses.

Lesezeit: 3 Minuten
Anzeige

Ob Horst Tegtmeier und seine Frau Magdalene mit ihrer Tochter Rebecca in diesem Jahr wieder in ihr Einfamilienhaus einziehen können, ist für sie noch ungewiss.

„Wir dachten, fürs Alter ist es besser hier“, sagt der 68-jährige Horst Tegtmeier. Ihr Haus in der Eifel hat die Familie verkauft – für alle Erledigungen brauchte sie dort das Auto, die Nahversorgung in Bad Neuenahr-Ahrweiler war besser. Zum 1. Juli 2021 ziehen die Tegtmeiers zu dritt in ihr frisch saniertes und erweitertes Haus im Ahrtal. Zwei Wochen später kommt die Flut, die Keller und Erdgeschoss unter Wasser setzt und Schlamm und Verwüstung zurücklässt.

Für ihr Gebäude haben sie eine Elementarversicherung abgeschlossen, berichten die Tegtmeiers. Der von der Versicherung vermittelte Sachverständige habe den Schaden etwa zweieinhalb Wochen nach der Flut besichtigt. Doch sein Vorgehen findet die Familie befremdlich, was Horst Tegtmeier Anfang November in einem Anschreiben an die Versicherung zum Ausdruck bringt: „Das erstellte Gutachten ist in seiner Form sehr oberflächlich und ungenau. Es fehlen detaillierte Auflistungen der Einzelschäden sowie Wertangaben über die Neubeschaffungen“, schreibt er unter anderem.

Ein langer und beschwerlicher Weg

Die vom Sachverständigen geschätzte Schadenssumme ist aus Sicht der Tegtmeiers zu niedrig angesetzt. Sie haben die starke Vermutung, dass ihr Haus mit einem anderen verwechselt wurde. Im Gutachten sei ihrem Einfamilienhaus teils eine Ausstattung zugeschrieben, die so nicht vorhanden gewesen sei – andere, sehr wohl vorhandene Ausstattung tauche darin jedoch nicht auf. Umso erstaunlicher sei es, dass für Handwerksarbeiten im Haus bereits mehr als die geschätzte Schadenssumme bewilligt worden sei.

Doch Handwerker zu finden, sei eine Herausforderung an sich gewesen, berichtet die Familie. Der Sachverständige habe erklärt, dass beim Engagement der Handwerksbetriebe eine Abtretungserklärung vonnöten sei. „Die Handwerker wollen aber nicht gern mit der Versicherung abrechnen“, sagt Horst Tegtmeier. Ein Umstand, der bei einigen Firmen dazu geführt habe, Aufträge abzulehnen. „Später haben wir erfahren, dass wir die Erklärung doch nicht gebraucht hätten“, erklärt der Hausherr. Der erste Handwerksbetrieb findet sich im Dezember im Haus ein: „So um Nikolaus herum hat der Elektriker angefangen“, erinnert sich Magdalene Tegtmeier. Dazu komme, sagt die Familie, dass die Prüfung von Kostenvoranschlägen durch den Sachverständigen zum Teil Wochen gedauert habe – sie wendet sich an ihre Versicherung.

„Um zu einer Entspannung der Situation beizutragen“, schreibt diese den Tegtmeiers im März, werde künftig eine andere Mitarbeiterin des Sachverständigenbüros die Kostenvoranschläge bewerten. Eine Mitarbeiterin, so Horst Tegtmeier, die das Haus bis heute nicht persönlich besichtigt habe. Die Versicherung der Familie beinhalte eine „Erstattung auf Neuwertbasis“, erklärt Tegtmeier. Doch die vom Sachverständigenbüro angenommenen Preise würden nicht der Realität entsprechen, sie lägen deutlich darunter. Zudem bemängelt die Familie mangelnde Sachkenntnis. Unter den Parkettboden einen Ausgleichsbelag zu legen, damit dieser gerade liegt, habe die Sachverständige zum Beispiel nicht als notwendig erachtet. Das Verhalten des Sachverständigenbüros hat aus Sicht der Tegtmeiers zu einer Bauverzögerung von drei bis vier Monaten geführt.

Noch immer kein Vorankommen

Ein Versuch Ende April, selbst einen weiteren Sachverständigen mit einem Gutachten zu beauftragen, sei gescheitert: Das Ergebnis seien eine fehlerhafte Sanierungscheckliste für die betroffenen Räume und eine Rechnung von rund 2000 Euro gewesen. Unkomplizierter habe dagegen die Zusammenarbeit mit freiwilligen Helfern ausgesehen, die das Haus nach der Flut ausräumten und vom Schlamm befreiten: „Ohne die Helfer wären wir verloren gewesen“, ist die 40-jährige Rebecca Tegtmeier überzeugt. Noch wohnen die Tegtmeiers in einer Mietwohnung.

Wir hatten die Hoffnung, vor Weihnachten einzuziehen, jetzt kann es nächstes Jahr werden

Rebecca Tegtmeier

Im Haus fehlen noch die Heizung, Bodenbeläge, Maler- und Fliesenarbeiten müssen noch erledigt werden. Die Handwerker dafür habe die Familie jetzt alle an der Hand, doch das grüne Licht der Versicherung fehle. „Wir machen weiter und gehen in Vorleistung“, sagt Horst Tegtmeier. Die Familie hat sich einen Anwalt genommen. Sie hofft, mit dessen Hilfe die Kosten rückwirkend von der Versicherung erstattet zu bekommen.

Die Ahrflut schildern die Tegtmeiers als traumatisierendes Erlebnis: Auf dem Balkon im ersten Stock harrten sie in der Flutnacht aus, hörten Hilfeschreie von Nachbarn, konnten aber nicht helfen. Was macht das mit einem, wenn man nach einem so schweren Unglück auch noch Streitigkeiten mit der Versicherung hat? „Wir wünschen uns, um diese Katastrophe zu verarbeiten und um endlich zur Ruhe zu kommen, dass eine für alle Parteien akzeptable Lösung gefunden wird und man nicht immer weiter kämpfen muss. Wir wollen nach Hause! “, sagt Rebecca Tegtmeier.