Ahrbrück

Die Fluthelden aus Ahrbrück: Wie ein Helfertrupp über sich hinauswuchs, um Menschen zu retten

Von Dirk Eberz
Mit voller Ausrüstung hat sich ein Trupp aus Feuerwehr und Rettungssanitätern in der Flutnacht über einen steilen Berg gequält, um Menschen in Ahrbrück zu retten und mit Nahrung zu versorgen.
Mit voller Ausrüstung hat sich ein Trupp aus Feuerwehr und Rettungssanitätern in der Flutnacht über einen steilen Berg gequält, um Menschen in Ahrbrück zu retten und mit Nahrung zu versorgen. Foto: Hans-Jürgen Vollrath

Vielleicht werden sie am 14. Juli wieder am Feuerwehrgerätehaus zusammensitzen, von dem aus sie die Ahr an normalen Tagen nicht mal sehen können. Wehrleiter Torsten Claesgens, Florian Ulrich, David und Rene Weingarz, Jan Claesgens. Und der Rest der Truppe. Die Fluthelden von Ahrbrück, die im Dorf jeder kennt. Dann werden sie den Geist dieser Schicksalsnacht beschwören, der ihr Leben für immer verändert hat.

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Vielleicht werden sie nur quatschen. „Wenn alles gut geht, werden wir dann ein Bier zusammen trinken“, sagt Jan Claesgens. Es könnten auch zwei werden. Sie haben es sich verdient. Zwei Menschen haben dem kleinen Trupp wohl ihr Leben zu verdanken, der mitten in der Flutnacht zu einem Einsatz aufbricht, für den es kein Handbuch gibt. Eigentlich ist es reiner Wahnsinn, weil sie ihr Leben riskieren.

Alle sind Ehrenamtler. Besoldungsgruppe null. Und eigentlich haben sie alle kurz vor Mitternacht ihre Pflicht schon getan. Seit mehr als zehn Stunden sind die Feuerwehrleute da schon ununterbrochen im Einsatz. Und nass bis auf die Haut. Sie sind von Haus zu Haus gezogen, um die Menschen vor der Flut zu warnen. Fast alle Bewohner sind evakuiert und in Sammelpunkten untergebracht, als die Ahr erstmals in der Geschichte auch ins Feuerwehrgerätehaus schwappt. Sie müssen umziehen.

Schweres Gepäck, Finsternis und ein steiler Berg

Auch im vermeintlich sicheren Bahnhof, in dem rund 30 Menschen Zuflucht gesucht haben, läuft das Erdgeschoss voll. Panik bricht aus. Die Männer wollen helfen. Aber das Dorf ist längst von den Fluten verschluckt worden. Sie kommen nicht mehr durch. Der einzige Weg zum Bahnhof führt über einen Berg. Erst steil hoch, dann steil runter. Mit schwerem Gepäck. Und stockfinster. Trotzdem wird schnell ein Trupp aus Freiwilligen zusammengestellt. Sie können einfach nicht tatenlos rumsitzen.

Denn in Ahrbrück kennt jeder jeden. Auch im Bahnhof harren Freunde und Verwandte aus. Wehrleiter Torsten Claesgens und Florian Ulrich bleiben als Ansprechpartner in der Einsatzzentrale zurück, als gegen 23 Uhr neun Feuerwehrleute und zwei Rettungssanitäter losziehen. Jeder hat 30, 40 Kilo auf dem Buckel. Essen, Getränke, Sauerstoff, Defibrillatoren. Dazu schleppen sie Tragen hinter sich her. Eine Riesenplackerei. Trotzdem sind sie schon 30 Minuten später oben. Im diffusen Schein der Taschenlampen verschnaufen sie in einer Schutzhütte. Ihre Eindrücke haben sich tief ins Gedächtnis eingebrannt. „Ölgestank und Lärm“, erinnert sich Jan Claesgens. „Man hat sein eigenes Wort kaum verstanden.“ Aus dem Tal hallt ein unheimliches Grollen.

„Die Leute haben uns applaudiert, als sie uns gesehen haben, das war ein Gänsehautmoment für uns.“

Jan Claesgens

Um Mitternacht sind sie unten. Das Rauschen des Wassers ist jetzt ohrenbetäubend. Ein dicker Ölfilm schimmert gespenstisch rot auf dem Wasser. Die Männer stehen hüfthoch im Wasser. Und gehen trotz der reißenden Strömung weiter. „Das ist eigentlich ein absolutes No-Go“, sagt Florian Ulrich. Aber es ist eine eingeschworene Seilschaft, die da vorsichtig Schritt für Schritt ins Ungewisse tappt. Weißer Nebel wabert über den entfesselten Fluss. Ein Gastank ist geplatzt. Alle Lampen aus. Nur ein Funke könnte zur Explosion führen.

Gut, dass sie mit Rene Weingarz einen Gas- und Wasserinstallateur in ihren Reihen haben, der die gefährliche Lage entschärfen kann. Auf ihrem Weg durchs Dorf retten sie einen Mann, der sich auf einen Baum geflüchtet hat. „Der hätte wohl sonst nicht überlebt“, vermutet Jan Claesgens. Sie werden ihn später mit einer Schubkarre in Sicherheit bringen. Ein anderer Mann steht auf einer Leitplanke und hat sich verzweifelt an ein Verkehrsschild geklammert. Auch ihn werden sie aus seiner misslichen Lage befreien – mit einem Traktor.

Auch Ahrbrück hat es besonders heftig in der Flutnacht getroffen.
Auch Ahrbrück hat es besonders heftig in der Flutnacht getroffen.
Foto: imago images/Hans Blossey

Irgendwie schafft es der Trupp tatsächlich bis zum Bahnhof, der von der tosenden Ahr umschlossen ist. Die Menschen haben sich in den zweiten Stock geflüchtet. Viele haben seit Stunden nichts gegessen. Kinder schlafen in den Armen ihrer Mütter. „Die Leute haben uns applaudiert, als sie uns gesehen haben“, erinnert sich Jan Claesgens. „Das war ein Gänsehautmoment für uns.“ Der Lohn für ihren mutigen Einsatz. Der Trupp verteilt Wasser und Essen. Eine Frau muss mit Sauerstoff versorgt werden. Sonst sind alle wohlauf.

Fluthelden werden zu Vorbildern

Neun Menschen werden die Nacht in Ahrbrück hingegen nicht überleben. Die Hälfte der Häuser wird beschädigt, 30 werden komplett zerstört. Noch Tage nach der Flut sind sie von der Außenwelt abgeschnitten. Kein Feuerwehrmann wird mehr als ein, zwei Stunden Schlaf finden. „Scheppen, scheppen, pumpen“, beschreibt Jan Claesgens seinen Arbeitsalltag. Gut 100 Keller räumen sie aus.

„Das war wie in Kriegszeiten“, erinnert sich Jan Claesgens. Es fehlt an allem. Vor allem an Nahrung. Und so wird kurzerhand ein Einkaufsmarkt aufgebrochen, um die Menschen mit dem Nötigsten zu versorgen. „Da liefen ja Leute in Unterhosen rum“, erinnert sich Jan Claesgens an die Stunde null in Ahrbrück. Aber alle packen mit an. Und so ist der kleine Ort mit seinen weniger als 1200 Einwohnern in der Zeit nach der Katastrophe noch enger zusammengerückt. Die Feuerwehr war immer ein fester Teil der Dorfgemeinschaft. „Wir sind aber jetzt noch mehr in den Fokus gerückt“, freut sich Jan Claesgens. Vor allem für Kinder und Jugendliche sind die Fluthelden zu Vorbildern geworden. Die Wehr in Ahrbrück durfte sich schon über Zuwachs freuen.