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Koblenz

„Zehn Minuten über Koblenz“ Teil 2: Konzept für Sicherheit in der Altstadt gesucht

Von Katrin Steinert
Florinsmarkt und Burgstraße liegen im Ausgehviertel. Vor allem an Wochenenden kommt es immer wieder zu Gewalt und Ruhestörungen.  Foto: Kallenbach
Florinsmarkt und Burgstraße liegen im Ausgehviertel. Vor allem an Wochenenden kommt es immer wieder zu Gewalt und Ruhestörungen. Foto: Kallenbach

Die Altstadt wird immer mehr zum Sorgenkind. Nahezu wöchentlich berichtet die Polizei über nächtliche Prügelattacken, Anwohner beschweren sich seit Jahren über grölende junge Menschen, Pöbeleien, Vandalismus und Wildpinkeln. Dass hier etwas getan werden muss, ist den meisten Kandidaten der zehn Parteien und Wählergruppen bewusst, die bei der Kommunalwahl in den Stadtrat einziehen wollen. Wir haben mit zehn Vertretern jeweils eine Seilbahnfahrt lang darüber gesprochen, welche Ansätze ihre Parteien und Wählergruppen verfolgen. Jeder hatte zehn Minuten Zeit.

Lesezeit: 4 Minuten
Fast alle Vertreter fordern mehr Präsenz der Ordnungshüter in der Altstadt und wollen, dass das Personal aufgestockt wird. Hans-Peter Ackermann (Grüne) hat keine Lösung parat, stellt aber fest: „Die Entwicklung ist besorgniserregend.“ Vor allem die Anwohner müssen vor Lärm und Übergriffen geschützt werden. „Das geht nur mit mehr Präsenz durch das ...
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Eskalation in der Großsiedlung: Was tun?

Koblenz. Die Großsiedlung Neuendorf ist als sozialer Brennpunkt von Koblenz bekannt. Mittlerweile ist das Viertel auch sichtbar zum Brenn-Punkt geworden: Zuletzt wurden nicht mehr „nur“ öffentliche Mülltonnen, sondern auch Autos angezündet. Über dieses und weitere Themen aus dem Bereich Sicherheit und Soziales haben wir beim politischen Speeddating unserer Zeitung in der Seilbahn gesprochen. Wir wollten von den Vertretern der zehn Parteien und Gruppierungen, die für den Stadtrat kandidieren, wissen, welche Ansätze sie für Großsiedlung, Hauptbahnhof und Flüchtlingsintegration haben, und wo sie weitere Schwerpunkte ihrer Arbeit sehen. Dazu hatten sie eine Gondelfahrt Zeit.

1 Was muss in der Großsiedlung passieren, damit die Lage nicht weiter eskaliert? Alle zehn Bewerber sind sich einig: Es gibt nicht die eine Lösung für die vielschichtigen Probleme in der Großsiedlung, aber vieles sei auf den Weg gebracht. Dass zuletzt sogar Autos brannten, beunruhigt dennoch. Stephan Wefelscheid (Freie Wähler) setzt auf Kontrolle: „Das ist eine einzige Katastrophe, hier muss die Polizei stärker observieren und ermitteln, welche Täter das sind.“ Torsten Schupp (Wählergruppe Schupp) fordert: „Überall, wo es brennt, müssen Polizei und Ordnungsamt mehr präsent sein.“ Davon sind auch Anne Schumann-Dreyer (CDU), Sven Schillings (FDP), Joachim Paul (AfD) und Christian Altmaier (FBG) überzeugt. Altmaier fordert „eine härtere Hand“, wenn es brennt und Steine gegen die Polizei fliegen. Paul (AfD) meint, dass man auch fragen muss, inwieweit jugendliche Migranten eine Rolle spielten und woher sie stammen. Er betont: „Auf der Karthause und in Lützel deuten sich ähnliche Entwicklungen an.“ Schillings (FDP) wünscht sich generell mehr Verkehrs- und Streifenpolizisten im Straßenbild, weil dies weniger geworden sei. „Das würde in Neuendorf und Lützel sicher helfen.“ Beamte würden durch bürokratische Aufgaben davon abgehalten.

Einige Befragte hoffen auf weichere Faktoren wie die bauliche Aufwertung des Viertels. Die stadteigene Wohnbau modernisiert nach und nach 400 Wohnungen, investiert 16 Millionen Euro. Übers Landesförderprogramm „soziale Stadt“ fließen seit 2015 insgesamt 1 Million Euro ins Quartier, etwa in moderne Außenbegegnungsflächen und einen neuen Aufenthaltsraum. Hans-Peter Ackermann (Grüne) freut sich über neue Vorgärten für die Blocks. „Wir hoffen, dass die Bewohner diese pflegen und damit mehr für ihre Umgebung sorgen.“ Das Konzept gefällt auch Torsten Schupp (Wählergruppe Schupp): „Wer selbst etwas schafft, achtet mehr darauf.“ Marion Lipinski-Naumann (SPD) stimmt zu, sagt aber: „Da muss man mit mehr Sozialarbeit ansetzen.“ Die Kinder sollten von der Kita an begleitet werden. Es seien nur wenige, die Probleme machten, aber die die anderen mitziehen. Sie seien nicht bösartig, sondern verzweifelt oder gelangweilt. Das denkt auch Anne Schumann-Dreyer (CDU). „Es ist wichtig, dass die Jugendlichen beschäftigt sind.“

Sebastian Beuth (Die Partei) sagt: „Man hat sich zu lange mit den Problemen, aber nicht mit Lösungen beschäftigt.“ Zwei Vorschläge: „Wir haben die Idee der Arena, wo Polizeiautos gewollt angezündet werden können.“ Ob das ernst gemeint ist, bleibt bei einer Satirepartei fraglich. Konstruktiver ist seine Idee, hier eine Art Nachtbürgermeister zu installieren. „Die Leute brauchen Ansprechpartner am Ort.“ Oliver Antpöhler (Die Linke) denkt weitgreifender: „Wir müssen für eine komplette Durchmischung der sozialen Schichten in jedem Stadtteil von Koblenz sorgen.“ Er meint, das könne man erreichen, indem überall 20 Prozent sozialer Wohnungsbau vorgeschrieben wird.

2 Gibt es konkrete Vorschläge, was nun am Hauptbahnhof getan werden muss, wenn die Toilettenanlage steht? Ein Sicherheitskonzept zur Lage am Hauptbahnhof mit Wildpinklern, Vandalismus, saufenden Gruppen und Pöbeleien ist auf den Weg gebracht, aber noch nicht komplett umgesetzt. Es sieht unter anderem mehr Sozialarbeit (Streetwork) vor. Marion Lipinski-Naumann (SPD) sagt, was die meisten, unter anderem Anne Schumann-Dreyer (CDU) nahezu wörtlich, äußern: „Die Toilette wird gerade gebaut und wir warten auf die Sozialarbeit.“ Sie glaubt, dass die Instrumente was bringen. „Aber das dauert halt.“ Weitere konkrete Vorschläge gibt es auch. Hans-Peter Ackermann (Grüne) sagt: „Uns fehlt, dass dort ein Raum zur Begegnung eingerichtet wird.“ Das sieht Joachim Paul (AfD) genauso. Und er sagt: „Wir wollen ein Alkoholverbot auf der Bahnhofsfläche.“ Christian Altmaier (FBG) ist auch gegen Saufgelage auf öffentlichen Plätzen. Stephan Wefelscheid (FW) meint, dass die neue Dezernentin Ulrike Mohrs das anpacken soll. Sven Schillings (FDP) möchte, dass das Ordnungsamt härter durchgreift. Oliver Antpöhler (Linke) warnt vor einer Kriminalisierung der Menschen, die dort rumhängen. Er fordert, diese mit dem Blick „tolle Menschen“ kennenzulernen. Altmaier (FBG) meint, dass die WC-Anlage rausgeschmissenes Geld ist und die Stadt besser mit dem Betreiber verhandeln sollte, dass die WCs im Bahnhof nachts offen sind.

Eine runde Sache war das RZ-Seilbahn-Speeddating mit den Stadtratskandidaten schon. Aber rund läuft es in der Stadt nicht überall.  Foto: Thomas Frey
Eine runde Sache war das RZ-Seilbahn-Speeddating mit den Stadtratskandidaten schon. Aber rund läuft es in der Stadt nicht überall.
Foto: Thomas Frey

3 Was ist nötig, um die Integration der Flüchtlinge in Koblenz voranzubringen? Die Flüchtlingswelle hatte 2015 auch Koblenz unvorbereitet getroffen. Unterbringung und Betreuung wurden weitgehend mithilfe hunderter Ehrenamtlicher gestemmt. Zuletzt kommen weniger Asylbewerber, aber immer noch wöchentlich einige zu uns. Den Erwerb der deutschen Sprache finden alle der Befragten wichtig. Sven Schillings (FDP) meint, dass aber nur wenige ihre Sprachkurse abschließen würden. „Wir müssen als Stadt dafür sorgen, dass die Sprachkurse verpflichtend sind.“ Torsten Schupp (WG Schupp) betont einen weiteren Aspekt, den viele nennen: „Wir müssen den Menschen eine Perspektive geben, ob beruflich oder ehrenamtlich.“ Das sei aber schwierig, weil Landes- und Bundesvorgaben, etwa zu Aufenthaltsstatus und Arbeitserlaubnissen, dies erschwerten. Marion Lipinski-Naumann (SPD) betont: „Das Schlimmste ist, zwei Jahre Langeweile zu haben.“ Stephan Wefelscheid (FW) findet es eine Frechheit, dass knapp 100 Flüchtlinge nun wieder in Containern leben sollen, nachdem die Stadt drei Gebäude in der Rheinkaserne in Lützel für viel Geld hergerichtet hat. Der Grund: Die Bundeswehr braucht Platz.

Anne Schumann-Dreyer (CDU) und Hans-Peter Ackermann (Grüne) betonen, dass die Bemühungen um Integration in Kitas, Schulen, Ausbildung und Arbeitsmarkt laufen. Ackermann meint: „Das dauert aber, bis alles fruchtet.“ Oliver Antpöhler (Die Linke) sieht generell eine Chance in der Vielfalt, zu der auch Flüchtlinge beitragen. „In einer Stadt mit zwei Flüssen kommt irgendwie jeder vom anderen Ufer.“ Sebastian Beuth (Die Partei) empfindet Flüchtlinge als bereichernd. „Deutschland sollte so viele Flüchtlinge aufnehmen, wie das Mittelmeer.“ Dort sind allein im vergangenen Jahr 2200 Menschen auf ihrer Flucht ertrunken.

Joachim Paul (AfD) sieht ein Vollzugsdefizit, wo Ausreisepflichtige Deutschland nicht verlassen. Er wirft der Landesregierung vor, statistisch zu tricksen. Er wollte wissen, wie viele Flüchtlinge in Koblenz geduldet und wie viele ausreisepflichtig sind. „Die Antwort lautete, dass 337 Personen vollziehbar ausreisepflichtig und im Besitz einer Duldung sind“, so Paul. Wie viele genau ausreisepflichtig sind, geht daraus nicht hervor. Das Ordnungsamt müsse verstärkt bei diesen aufs Verlassen des Landes drängen, wenn nötig, Abschiebungen einleiten.

4 Wo liegen die eigenen Schwerpunkte im Bereich Sicherheit und Soziales? Sebastian Beuth (Die Partei) will das „S“ in der SPD wieder großmachen, Satire eben. Und: Schulden machen, wenn es Menschen hilft, etwa beim Ausbau der Kinderbetreuung. Stephan Wefelscheid (FW) nennt die Altstadtwache, wohnortnahe Kitas und die Schulbausanierung. Christian Altmaier (FBG) will Barrierefreiheit konsequent angehen und Vereine stärker fördern. Anne Schumann-Dreyer (CDU) möchte Angsträume beseitigen, Schulwege sicherer machen, Kinderbetreuung in Kitas und Schulen ausbauen, dabei Qualität vor Quantität beachten. Joachim Paul (AfD) fordert finanzielle Unterstützung der Eltern, die ihr Kind daheim betreuen, mehr Personal und Taser für den kommunalen Vollzugsdienst und die Sicherheitslage im Blick zu behalten („Gewalttaten gegen das Leben haben sich in Koblenz verdreifacht“). Marion Lipinski-Naumann (SPD) ist für längere Kitaöffnungszeiten sowie Ganztagsgrundschulen und Jugendbegegnungsstätten in jedem Stadtteil. Oliver Antpöhler (Linke) fordert, Pflichtleistungen im sozialen Sektor zu erweitern (gesundheitliche Grund- und Essensversorgung aller) sowie extra Notunterkünfte für obdachlose Frauen einzurichten. Sven Schillings (FDP) will, dass die Stadt Mehrgenerationenkonzepte entwickelt und dafür mehr Bauland bereitstellt, Schulen schneller renoviert und dort mehr Sozialpädagogen installiert. Hans-Peter Ackermann (Grüne) ist für soziale Teilhabe aller Menschen. Torsten Schupp (WG) möchte alle kommunalen Fahrzeuge mit mobilen Defibrillatoren ausstatten.

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