Koblenz. 75 Prozent der Unternehmen haben akuten Bedarf an Mitarbeitern mit abgeschlossener Berufsausbildung, rund die Hälfte sucht verstärkt nach Mitarbeitern mit einer höheren Berufsbildung. Bei Mitarbeitern mit akademischer Bildung liegt dieser Wert bei lediglich 22 Prozent. Und wenn gute Chancen für diese Gruppe bestehen, gibt es diese für Absolventen mit ingenieur- oder und naturwissenschaftlichem Hintergrund und Informatiker. Das sind die Haupterkenntnisse des Fachkräftereports der vier Industrie- und Handelskammern im Land.
Ist eine technische Ausbildung also ein Freibrief, um im Beruf durchzustarten? Ganz so einfach ist es nicht, was zum Beispiel ein Blick auf die Metall- und Elektroindustrie im nördlichen Rheinland-Pfalz zeigt. Hier ist es eher unwahrscheinlich, dass ein Fachkräftemangel im großen Stil droht. Auf Anfrage teilte der Arbeitgeberverband VEM Die Arbeitgeber mit, dass die Mitgliedsbetriebe auch im neuen Ausbildungsjahr alle Stellen besetzen konnten.
Allerdings mussten einige Unternehmen kurzfristig abgesprungene Bewerber, die bereits einen Ausbildungsvertrag abgeschlossen hatten, durch andere Jugendliche ersetzen. Dieses Phänomen ist nicht neu. Der Verband weist darauf hin: Schon in der Vergangenheit gab es häufiger Fälle, in denen Ausbildungsplätze nicht angetreten wurden, weil sich für Bewerber Alternativen ergeben haben, die sich oft doch noch für ein Studium entschieden.
Dennoch ist die VEM-Spitze zufrieden. „Für die jungen Leute sind unsere technischen Berufe genauso attraktiv wie die IT- und die kaufmännischen Berufe. Unsere jahrzehntelange Imagekampagne für unsere zukunftsfesten Berufe hat Früchte getragen“, betont Thorsten Bröcker. Der Hauptgeschäftsführer weist ferner darauf hin, dass in diesem Wirtschaftszweig bei jungen Leuten, gemessen an der Zahl der eingegangenen Bewerbungen, die IT- und Elektroberufe besonders beliebt sind. An der Spitze der gewünschten Berufe steht der Mechatroniker.
„Viele Mitgliedsunternehmen haben zwar mit Absatzproblemen und der allgemeinen politischen Verunsicherung zu kämpfen, lassen aber gleichzeitig nicht in ihren Ausbildungsanstrengungen nach. Die Mehrheit der Unternehmen bildet angesichts der demografischen Entwicklung weiterhin über den aktuellen Bedarf hinaus aus“, analysiert Hauptgeschäftsführer Bröcker.
Und für diese hohe Bereitschaft, Fachkräftemangel in der Zukunft vorzubeugen, gibt es auch Beifall von der IG Metall. Beispielhaft nennt Ali Yener die guten Arbeitsbedingungen in den großen Koblenzer Industrieanlagen. Für den ersten Bevollmächtigten und Geschäftsführer der IG Metall in Koblenz gehört aus seiner Sicht auch die Bezahlung nach Tarif. Die geltenden Verträge haben auch für die Ausbildung klare Regelungen.
Für kleinere Betriebe ohne Tarifbindung ist das ein echtes Problem. Entweder können oder wollen sie nicht mitmachen. Das Ergebnis: Nicht nur erfahrene Profis, sondern auch der potenzielle Nachwuchs orientiert sich anderweitig. „Der oft so beklagte Fachkräftemangel ist eben vielfach hausgemacht – durch die Arbeitgeber selbst“, heißt es im Ausbildungsreport des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Ein weiterer Grund ist die fehlende Kreativität. Ausbildungsallianzen kleinerer Betriebe, die damit der Konkurrenz trotzen, sind rar.
Oft liegt der Nachwuchsmangel in den kleineren Betrieben an den Inhabern selbst, weil sie immer noch den klassischen Lehrling suchen. HwK-Hauptgeschäftsführer Ralf Hellrich weist darauf hin, dass vor allem eine Gruppe vernachlässigt wird: die der Hochschulabbrecher. Dabei gibt es hier viele junge Erwachsene, die aufs Handwerk umsatteln würden. Sie haben allerdings ein Problem: Sie müssen wegen höherer finanzieller Verpflichtungen in der Regel mehr Geld verdienen als Jugendliche.
Die Handwerksorganisation arbeitet deshalb an Möglichkeiten, eine Lehre in modularer Form anzubieten. Und zwar berufsbegleitend. „Da müssen wir etwas tun“, erklärt Hellrich. Das wird aber allein nicht helfen, weil größere Betriebe nicht nur bei der Bezahlung, sondern auch bei der Gestaltung der Arbeitszeiten flexibler sind. Umgekehrt ermöglicht das Handwerk größere Freiheiten und einen leichteren Einstieg in die Selbstständigkeit. Gute überbetriebliche Ausbildungsstätten und interessante Weiterbildungswege bis hin zum Studium kommen dazu.
Und was ist, wenn sich die aktuelle politische Lage weltweit so verfinstert, dass es doch zu einer Kojunkturkrise kommt? Ali Yener hofft, dass sich die Betriebe ähnlich verhalten wie bei der Finanzkrise vor zehn Jahren. Die Kurzarbeit wurde dazu genutzt, um in Zusammenarbeit mit der Bundesagentur für Arbeit Qualifizierungsmaßnahmen anzubieten. Die Förderungsinstrumente wurden inzwischen sogar verfeinert. So hat die Arbeitsagentur vor allem das Angebot für ältere Arbeitnehmer erweitert, um sie besser auf den technischen Wandel in den Betrieben vorzubereiten.
Von unserem Mitarbeiter Reinhard Kallenbach