Koblenz/Bad Neuenahr-Ahrweiler

Das Engagement der Menschen aus Koblenz und der Region ist ungebrochen: Große Solidarität macht die Ahrbewohner glücklich

Von Doris Schneider
Bei so vielen Arbeiten kann im Grunde wirklich jeder anpacken, egal ob beim Reinigen der Straßen (Foto) oder bei einer Eimerkette, mit der Matsch und Schutt aus den Häusern befördert wird.
Bei so vielen Arbeiten kann im Grunde wirklich jeder anpacken, egal ob beim Reinigen der Straßen (Foto) oder bei einer Eimerkette, mit der Matsch und Schutt aus den Häusern befördert wird. Foto: Sascha Ditscher

Man erkennt sie an den Gummistiefeln, den Schaufeln und Eimern, an fester Kleidung und Arbeitshandschuhen: Schon weit mehr als eine halbe Stunde vor der Abfahrt der Koveb-Shuttlebusse am Samstagmorgen sammeln sich die ersten Helfer, rund 100 sind es an diesem Morgen, die Richtung Ahrtal aufbrechen. Sie alle eint der Wunsch zu helfen. Schutt zu räumen, Keller zu reinigen, Menschen zu unterstützen. Menschen, die sie nicht kennen, die aber Hilfe benötigen. Szenen eines Tages.

Lesezeit: 5 Minuten
Anzeige
Leon Sassenrath vom Alnatura-Laden am Zentralplatz kommt mit einem Einkaufswagen voller Brezeln, Snacks und Getränke vorbei. „Nehmt euch!“ Das Team hat am Abend beschlossen, die Helfer auf seine Art zu unterstützen. „Cool, dass ihr das macht“, sagt er. Eine Frau bringt Kuchen vorbei, drückt ihn einem der Helfer in die Hand. Später im Bus macht er die Runde.

In den Bus steigt auch ein Ehepaar von der Ahr. Ihr Haus ist vom Hochwasser betroffen, unbewohnbar. Das Gröbste haben sie gemeinsam mit Unterstützung vieler Helfer gereinigt, jetzt muss es trocknen, der Gutachter muss her. Das Ehepaar hat die Nacht in einem Koblenzer Hotel verbracht, kostenlos. „Wir fahren jetzt unseren Nachbarn helfen“, sagen die beiden. Dass sie am Abend wieder mit nach Koblenz fahren können, hier ein Bett und eine Dusche haben, macht sie glücklich und dankbar. Aus dieser Aktion ist der Busshuttle überhaupt entstanden, denn wenn die Busse ohnehin nach Bad Neuenahr-Ahrweiler fahren, um Einwohner dort abzuholen und sie am nächsten Tag wieder hinzubringen, dann kann man auch Helfer mitnehmen, war die Überlegung. Und sie funktioniert seit einigen Tagen, ist auch zunächst bis 31. Juli verlängert. Allerdings darf der Bus Montag nicht fahren, da private Helfer keinen Zugang bekommen, damit in großem Stil Müll abgefahren werden kann.

11 Uhr am Samstag, der Bus biegt an der Tankstelle in Ahrweiler ab. Viele der Helfer sind unsicher, was sie erwartet. Am Morgen liegt eine Smogwolke über der Stadt. Das ändert sich, als es am Mittag anfängt zu regnen. Aber zumindest in diesem Teil des Ahrtals bleiben Unwetter an diesem Tag aus. Viele bange Blicke der Anwohner gehen gen Himmel: Was, wenn es wieder viel regnet? Was, wenn wieder Wasser in die Häuser fließt, die gerade mühevoll gereinigt werden – und was, wenn sich die Katastrophe, die vor eineinhalb Wochen niemand hätte voraussagen können, wiederholt?

In einem großen Pulk sind die Koblenzer Helfer erst unterwegs, manche haben auch selbst auf der Fahrt auf der Seite ahrhelp.com oder anderen Facebook- oder Internetseiten Hilfegesuche gefunden, Adressen, die sie nun gezielt ansteuern. Und sonst fragt man. Denn während es in manchen Straßenzügen schon richtig gut aussieht, steht in vielen anderen noch Wasser. Und Matsch. Müllberge türmen sich. Und in den Dörfern oberhalb an der Ahr, muss es noch viel schlimmer aussehen.

Bei so vielen Arbeiten kann im Grunde wirklich jeder anpacken, egal ob beim Reinigen der Straßen oder bei einer Eimerkette (Foto), mit der Matsch und Schutt aus den Häusern befördert wird.

Doris Schneider

Anwohner zeigen mit Schildern, dass sie einen Wagen benötigen, der ihnen hilft.

Doris Schneider

An vielen Stellen wird auf Bettlaken oder Mauern den Tausenden Helfern gedankt, die mit anpacken.

Doris Schneider

Helfern haben am Bahnhof Getränke bereitgestellt.

Doris Schneider

Im Koblenzer Shuttlebus sind auch Kim Sebastian Scherer, Mike Hohle und Samira Schuh mitgefahren.

Doris Schneider

Auch Xiang Wang und Edvinas Rommel hatten das Bedürfnis zu helfen.

Doris Schneider

Leon Sassenrath bringt am Morgen Proviant an den Bus.

Doris Schneider

Ein Keller, in dem Matsch und Wasser gummistiefelhoch stehen, der nachher nahezu besenrein ist. Eine Garage, die leer geräumt und von Matsch und Wasser befreit ist. Auch wer nicht viel kann, kann hier helfen. Überall in den Gärten und an den Häusern bilden sich Menschenketten, die mit Schlamm oder Müll gefüllte Eimer durchreichen. „Wir kommen klar, danke“, sagen drei Menschen in einem kleinen Garten nahe der Ahr zuerst. Doch dann freuen sie sich, als fünf Helfer sie dabei unterstützen, den Schuttberg, der sich angesammelt hat, um einige Meter zu versetzen, damit der Bagger ihn anfahren kann. Denn es geht mit acht Leuten einfach viel schneller, viel effektiver: Die einen füllen Eimer im Hocken, die andere tragen und leeren sie. Und dann ist die Arbeit getan.

Und wo viele zusammenkommen, da sind auch große Projekte möglich, erzählen Samira Schuh, Kim Sebastian Scherer und Mike Hohle später beim Warten auf die Rückfahrt. In einem Haus konnten sie helfen, den Keller leer zu räumen und im Erdgeschoss die Räume notdürftig zu reinigen – hier gab es noch weder Strom noch Wasser, das macht es schwierig. An einer anderen Stelle dann fanden sich in einem größeren Haus insgesamt rund 35 Helfer. Während das Wasser am Anfang noch kniehoch im Keller stand und alles verschlammt war, waren am Ende des Arbeitseinsatzes sogar schon die Böden rausgerissen, sodass das Haus jetzt so weit bereit zum Trocknen ist. „Der Mann stand draußen, fast ein bisschen apathisch“, berichten die Helfer. „Er hat gesagt, er hätte nie gedacht, dass das mal fertig wird.“

Edvinas Rommel war schon ein paar Mal zum Helfen an der Ahr, auch Xiang Wang ist nicht zum ersten Mal da. Überall wird noch Hilfe benötigt, ist ihre Beobachtung, auch wenn nun vor allem die Profihelfer rein müssen, um Schutt aufzuladen. „Je mehr Leute zusammen sind, umso mehr kann man schaffen“, sagt Xiang Wang. „Auch in China gibt es immer Naturkatastrophen, da ist es wichtig, dass man zusammenhält.“ Wie sehr die Menschen im Ahrtal die Unterstützung zu schätzen wissen, sieht man an vielen Stellen: Bettlaken sind an den Straßen gespannt, Zäune bemalt mit Dank an die Helfer.

Und auch den Helfern selbst wird geholfen: Überall findet man Essensstände oder Wasserflaschen. „Wir sind von Oldenburg gekommen, wollen warmes Essen anbieten“, sagt eine junge Frau, die vor der Realschule Würstchen grillt. Auch viele Organisationen aus der Region sind aktiv: Vor dem Bahnhof in Ahrweiler hat der Lions Club Sophie von La Roche aus Koblenz aufgebaut, was man benötigen könnte: Essen, Getränke, Tierfutter, Desinfektionsmittel, Schaufeln, Eimer. Hier gibt es auch einen Infopunkt, das improvisierte Impfzentrum, einen Arzt. Feuerwehrwagen aus der Region sind hier im Einsatz, Polizisten, Hilfsorganisationen. Und eben die Tausenden privaten Helfer.

Während die schaufeln und schuften, ergibt sich für viele Bewohner die Möglichkeit, neue Kraft zu schöpfen – und zu reden. Denn auch für viele, die die Unwetter unverletzt und ohne den Verlust von Freunden oder Angehörigen überstanden haben, haben sich die Erlebnisse eingebrannt. Eine junge Frau erzählt, wie sie mit ihren Eltern die ganze Nacht im ersten Stock des Hauses saß, das Wasser bis zur Decke des Erdgeschosses. Die Klingel wurde von dem schwappenden Wasser immer wieder berührt. „Ding Ding Ding Dong, die ganze Nacht. Da wirst du verrückt.“ Sie glaubt nicht, dass die Eltern wieder ins Haus zurückkehren. Das Vertrauen ist weg.

Am späten Nachmittag sammeln sich die Koblenzer an der Bushaltestelle. Viele sind groggy von der oft ungewohnten Arbeit, aber glücklich, etwas getan zu haben. Die Menschen, die sie unterstützen konnten, waren so dankbar, schöpften neuen Mut aus dem Wissen und Erleben, dass sie nicht allein sind, erzählen viele. Als der Bus am Zentralplatz hält, kommt einem die trubelig-bunte Großstadt schon nach den wenigen Stunden im grauen Matsch und allgegenwärtigen Martinshorn vor wie eine andere, heile Welt. Und das ist sie auch.

Von unserer Redakteurin Doris Schneider

Private Helfer dürfen zwei Tage lang nicht ins Gebiet

Die Hilfe ist überwältigend, aber sie muss kanalisiert werden: Bereits am Samstagmorgen kam eine erste Meldung der Polizei mit der Aufforderung, nicht mehr ins Unwettergebiet an der Ahr zu fahren. Zu diesem Zeitpunkt (10.30 Uhr) waren bereits sämtliche Zufahrtstraßen ins Ahrtal völlig verstopft, die Busse aus Koblenz kamen gerade noch so durch.

„Der Shuttlebusbetrieb im Bereich Innovationspark A 61, Nähe Haribo, wurde komplett eingestellt. Andere Shuttlebusse stehen im Stau. Es wurden bereits mehrere Tausend Helferinnen und Helfer in die Gebiete gebracht“, so die Polizei am Samstag. Die Staus bringen mit sich, dass auch große Baumaschinen, die beispielsweise zum Straßen- und Brückenbau, sowie zum Wiederaufbau der Trinkwasserversorgung im Katastrophengebiet benötigt werden, ihren Einsatzort nicht erreichen konnten. Ebenfalls kamen die Fahrzeuge zum Abtransport von Müll und Bauschutt sowie Einsatz- und Rettungsfahrzeuge nicht durch. Für Sonntag und Montag sprach die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion den Individualverkehr in den Bereichen Dernau/Rech sowie Bad Neuenahr-Ahrweiler untersagt. „Ausgenommen von dieser Regelung sind die Anwohner dieser Orte, die Müllabfuhr sowie die offiziellen Einsatzkräfte.“

Durch die Flutkatastrophe hat sich eine große Menge Müll und Unrat angesammelt, der umgehend entsorgt werden muss. Am Sonntag und Montag gibt es dazu eine konzertierte Aktion mehrerer Entsorgungsunternehmen, unterstützt von örtlichen Landwirten mit deren landwirtschaftlichen Fahrzeugen. Bedingt dadurch gibt es auch auf der A 61 Verkehrsprobleme, weil viele langsamere Lkw unterwegs sind. dos

Flutkatastrophe im Ahrtal
Meistgelesene Artikel