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Vallendar

Bestsellerautor Peter Wohlleben kritisiert Forstwirtschaft: Kollegen im Kreis Mayen-Koblenz schlagen Alarm

Von Stefanie Braun
Achim Kern (Foto) ist Förster in Vallendar. Er und andere Zunftskollegen fühlen sich durch Aussagen von Förster und Bestsellerautor Peter Wohlleben zum Klimawandel verunglimpft.
Achim Kern (Foto) ist Förster in Vallendar. Er und andere Zunftskollegen fühlen sich durch Aussagen von Förster und Bestsellerautor Peter Wohlleben zum Klimawandel verunglimpft. Foto: Stefanie Braun

Borkenkäfer, Trockensommer, Heißzeiten – und dem Wald geht's schlecht. Die Neuigkeit ist alles andere als neu. Der Schuldige eigentlich auch schon gefunden: der Klimawandel. Doch, dass es für den deutschen Wald erst so schlimm werden konnte, liegt für den Förster und Bestsellerautor Peter Wohlleben auch an der Arbeit seiner Zunftkollegen. Einer davon, Förster Achim Kern, weist die Angriffe entschieden zurück.

Lesezeit: 5 Minuten
In einem Artikel für das Nachrichtenmagazin „Stern“ berichtet Wohlleben, der als Förster in Rheinland-Pfalz tätig war, über systematisch vergiftete Bäume, verstümmelte Wurzeln, und Wälder, die eher Plantagen sind. Er denke und hoffe auch, dass die Hitzewellen „das längst überfällige Ende der konventionellen Forstwirtschaft einläuten“, schreibt er. Försterkollegen sind entsetzt: Nicht nur ...
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Berühmter Förster aus der Eifel im RZ-Interview: Bestsellerautor Wohlleben geht mit Kollegen hart ins Gericht

Förster und Bestsellerautor Peter Wohlleben (Eifel) sorgt mit seinen Schriften für Aufsehen und Bewunderung bei Lesern, bei Försterkollegen aber oft für Unmut. Mit der RZ spricht er über den Begriff „Waldsterben“, Experimente mit Bäumen und den Wald der Zukunft.

Autor und Förster Peter Wohlleben  Foto: Miriam Wohlleben
Autor und Förster Peter Wohlleben
Foto: Miriam Wohlleben

Herr Wohlleben, kann man gerade von einem Waldsterben sprechen?

Wohlleben: Nein, es handelt sich überwiegend um ein Plantagensterben. Speziell in Rheinland-Pfalz sind größtenteils Fichten und Kiefern betroffen. Es stirbt zwar mal eine Buche, aber eben in stark durchforsteten Wäldern. Wälder, die halbwegs intakt sind – was gerade bei alten Laubwäldern der Fall ist – stehen stabil da. Das Interessante an Laubwäldern ist, dass sie im Vergleich zum Offenland im Sommer durchschnittlich 10 Grad kühler sind. In Nadelholz-Monokulturen kann es bis 8 Grad wärmer werden als in Laubwäldern. Ein Rezept im Kampf gegen den Klimawandel sind also alte Laubwälder. Das aber beißt sich mit der Nutzbarkeit.

Haben Förster etwas falsch gemacht?

Die Förster noch nicht mal. Das Forstsystem hat etwas falsch gemacht, weil es zu stark auf Nadelhölzer gesetzt hat, um die Industrie zu versorgen. Oft werden hier die Nachkriegsaufforstungen angeführt, aber bis zum vergangenen Jahr wurden – auch in Rheinland-Pfalz – noch Douglasien aufgeforstet. Die Nadelbaumart geht selbst in den USA, wo sie beheimatet ist, durch den Klimawandel ein. Forstwissenschaftler aus dem wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung haben bis vor Kurzem noch Szenarien entwickelt, die eine Erhöhung des Nadelholzanteils auf 70 Prozent empfehlen.

Wie müsste Forstwirtschaft aussehen, um den Wald zu retten?

Die müsste zurückhaltender sein. Die Wälder werden zu stark genutzt, und es wird zu viel Holz herausgeholt. Sie haben nicht mal die Hälfte an lebender Biomasse, die ein natürlicher Wald hat. Durch ständiges Auflichten kommt viel Sonne auf den Boden. Pilze und Bakterien arbeiten dann besonders effektiv, wodurch sich Humus abbaut und auch Kohlenstoff. Gerade alte Wälder lagern besonders viel Kohlenstoff ein. Wir sind wieder beim Thema Schutz und Nutzung. Ein Kompromiss kann nur heißen: 10 bis 20 Prozent Schutzgebiete im Wald und 80 Prozent so bewirtschaften, dass ein Laie keinen Unterschied merkt zwischen Reservat und Natur. Sprich: Laubwälder, wo Bäume sehr alt werden dürfen und noch viele alte Bäume stehen, von denen man hier und da einen nutzt. Unterm Strich bedeutet das nicht weniger Holz für die Industrie, weil kühle gesunde Wälder viel produktiver sind.

Kann man da überhaupt wirtschaften?

Das ist nicht die Frage, sondern haben wir in 50 Jahren noch Wald? Jeder, der Priorität auf Holzerzeugung legt, ist auf dem Holzweg. Wichtig ist, den Wald zu erhalten – was auch die gesetzliche Aufgabe der Forstverwaltung ist. In Zukunft geht es darum: Haben wir noch einen – so natürlich wie möglichen – Wald? Und erst in zweiter Linie stellt sich die Frage, was für Holz wird erzeugt?

Wie bewerten Sie das Experimentieren mit fremden Bäumen in hiesigen Wäldern?

Das ist eine große Dummheit. Im Wald hat dieser Plantagenbau nichts mehr zu suchen. Dann ist der Förster nicht besser als jeder Kartoffelbauer. Bäume sind die Ausgangslage für das Ökosystem. Wenn sie die Nahrungsgrundlage von ansässigen Tieren wechseln, bricht die Nahrungskette zusammen. Man kann diesem fein austarierten Ökosystem den wichtigsten Baustein nicht entziehen und eine fremde Art dahinsetzen. Dieses neue Ökosystem steht wackelig. Auch wenn man eine amerikanische Roteiche reinholt, hat man nicht das amerikanische Ökosystem mit eingeführt. Mit diesem wackeligen Ökosystem wollen wir in eine Zukunft gehen, die besonders viel Stress für die Bäume bereit hält? Das halte ich für einen schweren Fehler.

Warum ist für Sie ein eingriffsarmer Wald ein idealer Wald?

Es gibt viele Forschungen dazu, dass ungestörte Wälder am stabilsten sind. Wenn wir ständig auflichten und mit schweren Maschinen reinfahren, tut das den Wäldern nicht gut. Ein ungestörter Wald ist reaktionsfähig und kann viel auspendeln. Zudem ist das wie mit einer Kathedrale. Warum soll man Notre Dame wieder aufbauen oder Elefanten schützen? Sie wecken Empathie in uns. Mit den Wäldern ist das genauso. Warum muss die Natur gezähmt sein, in Reihen gepflanzt, in einheitlichen Baumarten und Alter? Warum können wir nicht einen Teil des Waldes so erhalten, dass sich die Natur ungestört entwickeln kann?

Wie sieht der Wald der Zukunft aus?

Natur ist immer ein Prozess. Es wird Veränderungen im Wald geben. Man muss schauen, was er macht und ihn möglichst machen lassen. Wenn wir jetzt pflanzen, legen wir das für die nächsten Jahrzehnte fest, und wenn wir uns da vertun, sieht's schlecht aus. Wo wir vielleicht 5000 Bäume pro Hektar pflanzen, pflanzt die Natur 30.000, 50.000 oder sogar 100.000 Bäume selbst. Man muss gucken, was sich durchsetzt und was sich verschiebt.

Sie berichten von radikalen Forstmethoden: Kappen von Wurzeln, Sprühen von Entlaubungsmittel und Vergiften von Bäumen. Werden diese noch angewandt?

Wenn man Bäume pflanzt, die älter sind als ein Jahr, lässt sich das Wurzelkappen nicht vermeiden. Bei Baumschulbäumen, die oft drei- bis vierjährig sind, haben sich die Wurzeln teils über einen Meter ausgedehnt. Bei Sämlingen, die man in staatlichen Wäldern pflanzt, passiert das nicht mehr, da ist man weiter. Das Versprühen des Entlaubungsmittels gab in den 70er-Jahren. Man macht es nicht mehr, es wird nicht thematisiert. In Vietnam sprechen wir über Dioxin in Böden, aber in Rheinland-Pfalz nicht. Warum? Hier sind auf Tausenden Kilometern Laubwälder totgespritzt worden. Da sollte man wenigstens Untersuchungen machen, was noch im Boden vorhanden ist. Aus gesundheitlichen Gründen hat damals ein Umdenken stattgefunden, ähnlich wie bei der Glyphosatdiskussion heute.

Sie sprechen von einem „sozialen Miteinander der Bäume“. Ist es nicht so, dass der Stärkste überlebt?

Das ist eine falsche Interpretation der Evolution. Es heißt „Survival of the fittest“, aber to fit heißt passen. Der Passendste überlebt, also wer sich am besten den Bedingungen anpasst. Aber nicht im Sinne von Ellbogen auspacken. Nach Forschungen ist nun klar, dass Bäume soziale Netzwerke bilden. Das wird von vielen Förstern abgelehnt. Das ist, wie wenn man Schweinebauern sagt, dass es Ferkeln wehtut, wenn man die Hoden ohne Betäubung entfernt. Wenn man weiß, dass der Wald ein soziales Ökosystem ist und dann mit der Motorsäge dran geht, ist das eine Beschädigung. Ich selber nutze allerdings auch sehr viel Holz, das ist ein toller Rohstoff. Aber man sollte sich vor Augen halten, dass man in ein soziales Netzwerk eingreift.

  • Im August ist Wohllebens Buch „Das geheime Band zwischen Mensch und Natur“ erschienen.
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