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Als „Zuckertoni“ bekannt: Ausstellung in der Stehbach-Galerie gewährte Einblicke in das Leben des Mayener Originals

Von Elvira Bell
Im Alter von nur 30 Jahren hatte der Zuckertoni schon einen großen Bekanntheitsgrad erreicht. „Stadtbekannt, besonders beliebt bei Kindern, die Güte in Person“, erinnert sich der Heimatschriftsteller Reinhold Spitzlei.
Im Alter von nur 30 Jahren hatte der Zuckertoni schon einen großen Bekanntheitsgrad erreicht. „Stadtbekannt, besonders beliebt bei Kindern, die Güte in Person“, erinnert sich der Heimatschriftsteller Reinhold Spitzlei. Foto: Eilvira Bell

Die Burgfestspiele sind in dieser Spielzeit um eine Facette – eine heimatbezogene – reicher geworden. Für einige Wochen stand Anton Kohlhaas im Fokus des Kulturzentrums „In der Stehbach“. Obwohl der Gelegenheitsarbeiter – 1904 in Mayen geboren – am Rande der Gesellschaft lebte, ist er seinerzeit zu einem nicht wegzudenkenden Teil des Stadtbilds geworden. „Zuckertoni“, das wohl bekannteste Mayener Original hätte sich beim besten Willen nicht träumen lassen, wie die Begegnungen, die er als junger Bursche, aber auch als älterer Mensch in seiner Heimatstadt erlebte, genau 49 Jahre nach seinem Tod in den Köpfen der Menschen nachhallen.

Lesezeit: 3 Minuten
Was hätte der Zuckertoni wohl gesagt, wenn er von einer solch späten Verehrung seiner Person in Form einer Ausstellung und von dem Bürgerbühnenprojekt gewusst hätte? „Er hätte sicher nur gelacht“, vermutet Hans Schüller. Der 67-jährige Erste Vorsitzende des Geschichts- und Altertumsvereins (GAV) hatte Zuckertoni persönlich gekannt. In Kooperation mit der ...
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Zeitzeugen erinnern sich an den Zuckertoni

Welche persönlichen Erinnerungen verbinden Zeitzeugen mit dem Zuckertoni, der seinen Lebensunterhalt mit dem Sammeln von Altkleidern und -eisen bestritt? Was ist den Menschen von ihm und seinem Karren, den er von seiner Mutter übernommen hatte, in Erinnerung geblieben? Hans Schüller, der Vorsitzende des Geschichts- und Altertumsverein, stellte unserer Zeitung dankenswerterweise Aufzeichnungen von Interviews zur Verfügung.

Hans Josef Knorr bezeichnet Anton Kohlhaas als einen sehr armen Mann. „Als Kinder zogen wir mit ihm durch die Stadt und halfen ihm beim Sammeln von Lumpen und Alteisen. Er hatte immer Kamellen in der Tasche, die er den Kindern gab. Er war ein sanftmütiger Geselle, der niemandem etwas zuleide tat. Immer eigentlich – trotz allem – ein glücklicher Mensch.“

Josef Wick erinnert sich daran, wie der Zuckertoni in die Werkstatt der Schreinerei Keiffenheim kam. Dort habe er Beschläge und Kleinteile aus Metall aufgelesen, um diese dann weiterzuverkaufen. Kennengelernt hatte Josef Wick den Zuckertoni im Jahre 1955.

Auch Karl-Heinz Hannus erinnert sich an den „Zuckerdünnes“, „wie wir ihn auf Mayener Platt nannten. Ich, Jahrgang 1950, habe ihn als Lausbub gut gekannt und ihm mit meinen Kameraden manchen Streich gespielt, wenn er mit seinem Leiterwagen (Köhrsche) durch die Straßen und Gassen von Mayen zog. Einmal streiften wir Burschen hinter ihm her, und lösten die Splinte an zwei Radnaben seines Köhrsche und versteckten uns dann. Der Toni hatte seinen Karren gut geladen, legte den Gurt um Schulter und Bauch und zog seinen Karren an.“ Es habe nicht lange gedauert, „da machten sich zwei Räder selbstständig, und die ganze Ladung lag auf der Straße, die auch von Autos befahren wurde. Diese mussten anhalten, bis der Toni den Karren wieder repariert und seine Kartons verladen hatte. Wir hatten natürlich wieder unseren Spaß gehabt“, so Hannus.

Auch Norbert Breil aus Kruft weiß von Begegnungen mit dem Zuckertoni zu berichten. Breil besuchte von 1952 bis 1958 die Realschule in Mayen. „Gegen Mittag, wenn die Schule endete, gingen wir von der Bachstraße über die Koblenzer Straße zum Ostbahnhof. Wir Knirpse im Alter von 12 bis 14 Jahren waren ja nicht immer ganz brav. Der Zuckertoni ging oft denselben Weg wie wir. Er zog seinen halb beladenen Handwagen hinter sich her. Wir waren so frech und stellten unsere Schulranzen auf seinen Handwagen. Als er merkte, dass nach St. Veit hinauf der Wagen schwerer wurde, drehte er sich um und sah die Schulranzen. Wir haben dann schnell unsere Ranzen genommen und sind weggelaufen, riefen ihm aber noch Zuckertoni nach.“ Er habe dann noch von Weitem böse geschimpft und auf Mayener Platt geflucht. „Das war meine Begegnung mit Zuckertoni, worüber ich heute lächele, aber trotzdem traurig bin, dass wir damals den armen Mann so geärgert haben“, resümiert Norbert Breil.

Nachdenklich stimmen auch die Erinnerungen von Gudrun Maas aus Bell. Die heute über 80-Jährige hatte als Kind mit ihren Eltern und Geschwistern in Mayen neben dem heutigen Modehaus Küster gelebt. Am Heiligen Abend in den 1950er-Jahren hatte ihr Vater für eine Überraschung und für Bestürzung gesorgt. Er hat den Zuckertoni mit nach Hause gebracht. „Wir hatten uns alle schick gemacht. Der Zuckertoni, den wir sonst nur aus der Ferne kannten, war uns unheimlich.“ Auch ihm selbst sei es, obwohl er ja eingeladen worden war, unangenehm gewesen, in das Weihnachtsfest zu platzen. Der Toni merkte, dass seine Anwesenheit der Familie unangenehm war. Er rettete die Situation, in dem er das warme Essen ablehnte und um ein Butterbrot bat. „Dies bekam er und ging seiner Wege.“

Auch von einer weiteren Episode, die sich an Weihnachten zugetragen hat, ist in den Aufzeichnungen zu lesen. Zuckertoni ist am ersten Weihnachtstag bei seinen Nachbarn vorbeigekommen und wünschte ein frohes Fest. Ein Nachbar namens Seul hatte ihn eingeladen: „Kummen Se eren Herr Kohlhaas. En Cognac?“ Worauf der Zuckertoni erwiderte: „Na, de Stadt soll net denke, dat de Zuckertoni at am ürschte Weihnachtsdach besoff es!“ Von nun an wiederholte sich das jedes Jahr.

Auch der seit 1966 in den USA lebende Professor Rolf T. Wigand weiß von dem Mayener Original und Unikum zu berichten. „Als Kinder hatten wir ab und zu – eigentlich ein sehr gemeiner Streich – Spaß mit ihm und seinem Leiterwagen. Wenn er nicht guckte, zogen wir genau an der Stelle, wo die Deichsel befestigt war, einen Stift oder Bolzen heraus. Schlimm, wie wir waren; wir lachten dann und fanden dies sehr lustig.“

Ebenso wie Wigand erinnert sich auch Bernd Schmitz aus Ettringen an eine lebensgroße Fotografie des Zuckertonis, die in einem Schaufenster des Modehauses Küster im Rahmen eines saisonalen Ausverkaufs aufgestellt war. Den Zuckertoni vor die Linse einer Kamera zu bekommen, sei gar nicht so einfach gewesen. Nachdem er mehrere Verabredungen mit dem Fotografen und dem Dekorateur verstreichen ließ, kam die Aufnahme schließlich in den Mayener Anlagen doch noch zustande. „Als Gegenleistung sollte der Zuckertoni einen hochwertigen Anzug bekommen.“ Als der Toni auf den edlen Stoff blickte, habe er an sich herab auf seinen doch etwas heruntergekommenen Anzug gesehen. „,Behaalt Ihr Eure Anzuch. Esch säin doch good anjedohn.‘ Sprach’s und ging seiner Wege“, so Schmitz, der in den 50er-Jahren im Modehaus Küster eine Lehre zum Fensterdekorateur absolviert hatte.

Von einer besonderen Begebenheit wusste auch Wolfgang Reppenhagen zu berichten. Wenn der Zuckertoni in den 50er-Jahren sammelnd die Westbahnhofstraße hinaufzog, rief er bis zur Eifelstraße: „Lompe, Altäise, Papier.“ In Höhe des Finanzamtes habe er gerufen: „Lompe, Lompe, Lompe.“ Ab der Praxis von Dr. Orth dann wieder: „Lompe, Altäise, Papier.“

Dass noch heute an dem Ort, wo früher das Schnapsglas des Zuckertonis stand, ein Bild von ihm steht, erklärt Hildegard Venekes. Der Zuckertoni war des Öfteren zu ihrem Vater ins Öl- und Fettgeschäft Wiegelmann („Im Burgfrieden“) gekommen. Er habe um etwas Fett für seinen Wagen gebeten. „Da mein Vater nicht viel Zeit hatte, gab er dem Zuckertoni eine Dose und zeigte ihm das große Fass mit dem Fett, damit er sich selbst etwas nehmen konnte. Als mein Vater und ich zurückkamen, war der Toni verschwunden. Er steckte kopfüber im Fettfass. Nur die Füße schauten heraus.“ Dem Zuckertoni habe das rein gar nichts ausgemacht. Er zog anschließend mit dem Wagen von dannen. „Und immer, wenn der Toni wieder vorbeikam, lud mein Vater ihn zu einem Schnaps und einer Zigarette ein“, so Hildegard Venekes. ef

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