Hacke, Spaten, Gartenglück: Der Kleingarten wird 200 Jahre alt

Rund 400 Quadratmeter Gartenglück: Roswitha Picht und ihr Mann Siegfried pflegen fast täglich ihre Blumen in der Koblenzer Kleingartensiedlung „Sonnenland“.
Rund 400 Quadratmeter Gartenglück: Roswitha Picht und ihr Mann Siegfried pflegen fast täglich ihre Blumen in der Koblenzer Kleingartensiedlung „Sonnenland“. Foto: Sascha Ditscher

Zum Geburtstag gibt's Blumen: Der Kleingarten wird 200 Jahre alt. Millionen Menschen beackern heute in Deutschland 967 000 dieser umzäunten Fleckchen Erde. Ist das spießig oder spaßig? Ein Besuch in einer Anlage in Koblenz.

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Von unserer Redakteurin Angela Kauer

Das kleine Glück beginnt hinter einer blau gestrichenen Tür aus Metall. Aber es lässt nicht jeden sofort herein. Die Tür hat keinen Knauf. Wer keinen Schlüssel hat, ist aufgeschmissen. Josef Kögler hat einen – und sperrt auf. Der 63-Jährige – graue Haare, grüngraue Augen, fester Händedruck – ist stellvertretender Vorsitzender des ältesten und größten Koblenzer Kleingartenvereins. Im „Sonnenland“ beackern 365 Mitglieder 260 Parzellen. Köglers Schritte knirschen auf dem Kiesweg hinter der blauen Tür. Rechts und links auf akkurat abgesteckten Grundstücken blühen Zucchini vor kleinen Lauben. Büsche hängen voll mit Bohnen. Pflaumenbäume neigen ihre Äste unter der Last ihrer Früchte. Es ist Erntezeit.

Vor 50 Jahren wurde die Koblenzer Kleingartensiedlung gegründet – auf einem Trümmerfeld, als grüne Lunge der kleinen Großstadt, erzählt Kögler. Ganz neu war die Idee damals nicht. Geboren wurde sie vor 200 Jahren, etwa 600 Kilometer nördlich von Koblenz, in Kappeln an der Schlei in Schleswig-Holstein. Von 1814 an verpachtete ein Pastor kleine Grundstücke zur Selbstversorgung – Armengärten. Den Kleingartenverein Kappeln gibt es heute noch.

50 Jahre später begann mit einem Spielplatz eine Bewegung, die heute oft als Synonym für die der Kleingärtner dient: die Schreberbewegung. Deren Namensgeber, der Leipziger Arzt Moritz Schreber (1808–1861), hatte mit Gärtnern überhaupt nichts am Hut, wie die Leiterin des Deutschen Kleingärtnermuseums in Leipzig, Caterina Hildebrand, sagt. Vielmehr habe er kritisch die orthopädischen Probleme der von ihm behandelten Kinder beobachtet und von „Tummelplätzen“ geträumt, auf denen sie sich austoben und bewegen können sollten. Erst nach seinem Tod, im Mai 1864, wurde ein Schulspielplatz nach Schreber benannt. Als Schulgärten hinzukamen, waren es Schrebergärten.

Ob nun Klein- oder Schrebergarten: Heute gibt es in ganz Deutschland 967 000 dieser umzäunten Fleckchen Erde. Nach Angaben des Bundesverbands Deutscher Gartenfreunde erstrecken sie sich auf 460 Quadratkilometern und machen damit eine Fläche aus, die größer ist als die Stadt Köln. Die meisten Kleingärten gibt es in Metropolregionen – etwa rund um Berlin oder im Ruhrgebiet. Aber auch das eher ländlich geprägte Rheinland-Pfalz zählt etwa 100 Vereine.

Teuer ist das kleine Glück meist nicht. Im Koblenzer „Sonnenland“ zahlen Pächter im Jahr 16 Cent pro Quadratmeter. Der durchschnittliche Kleingarten ist 350 bis 400 Quadratmeter groß.

Kleingärtnern kommt nicht (mehr) von Kleingeist

So wie Parzelle 200 von Doris und Hans Gerhard Hohmann. Seit 49 Jahren teilen sie ihr Leben, seit 35 Jahren gehört der Garten dazu. Fast jeden Tag. Die Laube mit der hellen Fassade haben sie selbst gebaut – 20 Quadratmeter groß, mit offenem Vorbau. So will es das deutsche Kleingartengesetz. Die Kinder haben hier ihre Sommer verbracht. Heute kommen die Enkel vorbei. Die Haare der Hohmanns sind mit den Jahren grau geworden. Aber ihr Garten hält sie fit. Ein paar Tomaten gibt es eigentlich immer zu ernten. Oder eine Handvoll Bohnen. Oder einen Kopf Salat – alles ungespritzt, natürlich.

Ein Drittel des Hohmann'schen Gartens ist Nutzgarten, ein Drittel blüht, ein Drittel ist Rasenfläche. Auch das schreibt das Kleingartengesetz so vor. Und daran halten sie sich hier im „Sonnenland“. Auch wenn der stellvertretende Vereinschef Kögler findet: „So viele Regeln gibt es eigentlich gar nicht.“ Niemand schneidet hier mit der Nagelschere seinen Rasen. Und ob die Hecke nun 120 oder 140 Zentimeter hoch ist, misst auch keiner nach. Kleingärtnern kommt schließlich nicht (mehr) von Kleingeist. „Grundsätzlich kann hier jeder seinen Garten so gestalten, wie er ihn schön findet“, sagt Kögler.

Für Roswitha Picht sind es die Rosen, die ihren Garten schön machen. 60 Stöcke hat sie gepflanzt. „Sie brauchen mich jeden Tag“, sagt die 66-Jährige. Sie streift ihre Gartenhandschuhe über, nimmt die Gartenschere zur Hand. Schnipp, schnapp – trockene Blüten und Blattwerk fallen auf den Rasen. Seit 2003 hat Picht ihre Parzelle am Veilchenweg gepachtet. Es ist ihre zweite. Denn schon zusammen mit ihrem ersten Mann hatte sie hier eine Laube. Die Ehe ging in die Brüche, die Liebe zum Garten blieb. Und so kam Roswitha Picht über Köln, wo sie arbeitete, zurück nach Koblenz – zurück ins „Sonnenland“. Das kleine Glück braucht manchmal einen zweiten Anlauf.

Der Garten, sagt die Rentnerin, sei ihre Oase. „Hier wird mein Kopf sofort frei.“ Die Zeit spielt am Veilchenweg keine Rolle. Wenn ihr Mann Siegfried dabei ist, dann kommt es schon mal vor, dass sie erst um 2, 3 Uhr in der Nacht nach Hause fahren. Nur manchmal, wenn die beiden am Abend so vor ihrer Laube sitzen, dann würde sich Roswitha Picht mehr Ruhe wünschen. Einige jüngere Gartenfreunde, sagt sie, verwechselten ihr Grün mit einer Partyzone. Gerade vergangene Nacht, da hätten sie wieder gefeiert, am unteren Ende des Quartiers.

Die kleinen Konflikte im kleinen Glück, sie bleiben nicht aus. Im „Sonnenland“ begegnen sie dem mit Pragmatismus: Vor einigen Jahren haben sie aus einem Stück Brachland eine Gemeinschaftswiese gemacht. Auf dem Platz daneben spielen sie sonntags Boule. Jeder, der mag, kann dazukommen. Das soll das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken. Auch an anderen Stellen in der Siedlung sind neben den privaten Parzellen Freiräume zum Spielen und Verweilen entstanden. „Die Menschen sollen sich kennenlernen“, sagt Kögler.

Denn der Generationswechsel hinterm Jägerzaun, er ist in vollem Gange. Immer mehr junge Familien streben nach einer eigenen Scholle, heißt es beim Bundesverband der Kleingärtner. Sie wollen die Natur erleben, ihr eigenes Gemüse säen und ernten. In einer globalisierten Welt, in der schwer zu durchblicken ist, auf welchen Wegen die Supermarkttomate es auf den Esstisch geschafft hat, ist das Gärtnern längst zum Gegentrend geworden. Das merken sie auch in Koblenz. „Gerade unter den Neubewerbern haben wir viele Jüngere um die 30“, sagt Kögler. Die Mitglieder seines Vereins seien eine bunte Mischung der Gesellschaft.

Ohne ein kleines bisschen Chaos geht es nicht

Dazu gehören auch Menschen, die ihre Wurzeln in anderen Ländern haben – wie Sergej Herdt. Der 40-Jährige stammt aus der ehemaligen Sowjetrepublik Turkmenistan. Nach Deutschland ist er gekommen, um zu arbeiten. Und Arbeit macht ihm auch sein kleines Glück. Seinen Garten im „Sonnenland“ hat er seit vier Jahren. Richtig fertig ist er damit noch nicht. „Es gibt immer etwas zu tun“, sagt der Hüne mit den kräftigen Händen. „Manche unterschätzen das.“ Er nicht. Er brauche das Jäten und Mähen, das Graben und Bauen, sagt er. Für ihn ist das ein Ausgleich zur Arbeit im Schichtbetrieb. Und wenn er sich doch einmal helfen lassen muss, dann ist immer jemand da. „Hier sagt keiner Nein, wenn du was brauchst“, sagt Herdt. Jeder weiß Rat.

Und fast immer wissen sie weiter – hier im „Sonnenland“. So war das auch, als nach und nach die Bienen ausblieben. „Wir haben gemerkt, dass unsere Pflanzen nicht mehr ordentlich bestäubt wurden“, erinnert sich Kögler. Etwas mehr als drei Jahre ist das jetzt her. Keine Pflaumen, kaum Bohnen, nur wenige Zucchini – die Erntezeit war keine Freude damals.

Doch dann hatten die Gartenfreunde eine Idee: Sieben von ihnen ließen sich zu Imkern ausbilden. Der Verein schaffte drei Bienenvölker an. Zu Hause sind die Bienen nun in einem Bauwagen am Rande des „Sonnenlands“. Dort, wo Brennnesseln und Löwenzahn stehen bleiben dürfen. Ohne ein kleines bisschen Anarchie funktioniert es eben nicht, das kleine Glück.