Gedenken an Holocaust-Opfer
Zeitzeugin führt Wäller Schülern Nazi-Terror vor Augen
Die Schüler aus Ransbach-Baumbach verfolgten das Gespräch von Ellen Diehl (Friedrich-Ebert-Stiftung) mit Ruth Melcer (89), die als Kind den Holocaust überlebt hat.
Thorsten Ferdinand

Fast 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs gibt es nur noch wenige Zeitzeugen. Schüler der Erich-Kästner-Realschule in Ransbach-Baumbach hatten nun die Gelegenheit, mit einer Holocaust-Überlebenden ins Gespräch zu kommen. Ein besonderes Erlebnis.

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Jedes Jahr am 9. November gedenkt Ruth Melcer ihres kleinen Bruders, der vor mehr als 80 Jahren von den Nazis ermordet wurde. Mit sechs Jahren war der jüdische Junge zu klein für einen Einsatz im Arbeitslager, weshalb er mit anderen Kindern in einem Wald in Polen erschossen wurde. „Den genauen Todestag meines Bruders kenne ich nicht“, sagt die inzwischen 89-jährige Zeitzeugin. Der 9. November ist als Jahrestag der Reichspogromnacht aber ein geeignetes Datum, um auch an sein Schicksal zu erinnern.

„Am Ende meines Lebens bin ich wieder mit Hass, Antisemitismus und Ausgrenzung konfrontiert. Ich kann das kaum ertragen.“
Die 89-jährige Holocaust-Überlebende Ruth Melcer.

Ruth Melcer überlebte den Holocaust - auch dank ihrer Mutter, die ihr Alter falsch angab und sie so vor der Erschießung bewahrte. Bis heute ist es der Jüdin ein Anliegen, jungen Menschen von ihren schrecklichen Erlebnissen im Dritten Reich zu berichten. Viele Jugendliche können sich kaum vorstellen, dass diese Dinge wirklich passiert sind, hat die 89-Jährige festgestellt.

Zeitzeugen wie Ruth Melcer gibt es fast 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs immer weniger. Doch die moderne Technik macht es möglich, dass ihre Erfahrungen Hunderte oder gar Tausende von Schülern gleichzeitig erreichen. So auch am Freitag, als Ruth Melcer auf Einladung der Friedrich-Eberth-Stiftung über ihr Schicksal sprach. Mehr als 200 Schulklassen hatten sich für die Veranstaltung angemeldet, die im Internet übertragen wurde, darunter auch Schülerinnen und Schüler der Erich-Kästner-Realschule plus in Ransbach-Baumbach.

Mehrere Klassen der Erich-Kästner-Realschule plus in Ransbach-Baumbach verfolgten den Erfahrungsbericht der Zeitzeugin im Internte-Chat.
Thorsten Ferdinand

Für ihren Geschichtslehrer Martin Schilk wird es immer schwieriger, Teenager für das Thema Holocaust zu sensibilisieren. „Für die Jugendlichen von heute ist das sehr weit weg“, hat der Pädagoge festgestellt. Umso wichtiger sei es, das Gespräch mit den noch lebenden Zeitzeugen zu suchen, die aus eigener Erfahrung von diesen schrecklichen Erlebnissen berichten können.

Wie wertvoll solche Begegnungen sind, zeigten auch die Reaktionen der Schülerinnen und Schüler in Ransbach-Baumbach. „Man merkt, dass die Dinge, die in den Geschichtsbüchern stehen, wirklich passiert sind“, fasste ein junger Mann seine Eindrücke zusammen.

Eindringliche Appelle an die junge Generation

Im Chat konnten die Jugendlichen auch persönliche Fragen stellen und machten von dieser Möglichkeit regen Gebrauch. Sie interessierten sich zum Beispiel für die Lebensbedingungen in den Arbeitslagern der Nazis und waren erschrocken, als sie erfuhren, dass der Zeitzeugin dort aufgrund von Mangelernährung die Zähne ausgefallen waren. Etwas Brot, eine dünne Suppe und ranzige Butter - mehr gab es für die jungen Gefangenen nicht.

Als die Schüler schließlich wissen wollten, wie die Zeitzeugin das aktuelle Erstarken von Rechtspopulisten in vielen europäischen Ländern erlebt, kämpfte die 89-Jährige mit den Tränen. „Am Ende meines Lebens bin ich wieder mit Hass, Antisemitismus und Ausgrenzung konfrontiert“, sagte die Holocaust-Überlebende mit brüchiger Stimme. „Ich kann das kaum ertragen.“ Jetzt sei die junge Generation gefragt: Sie müsse die Demokratie verteidigen, damit sich die Geschichte nicht wiederhole, appellierte die Zeitzeugin. „Wir dürfen uns jetzt nicht wegducken“, sagte Ruth Melcer mit Nachdruck.

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